Einen Impuls zur Demokratie setzte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Professorin Dr. Nicola Fuchs-Schündeln. Während der Klausur der Fraktionsspitzen von CDU/CSU und SPD warnte sie vor populistischer Sprache, riet zum konstruktiven demokratischen Miteinander, beschrieb die Bedeutung der Daseinsvorsorge und skizzierte die Stärke einer zeitgemäßen Wirtschaftspolitik für den Erhalt der Demokratie.
Die Wissenschaftlerin riet den Spitzenpolitiker*innen der Koalition, sich weniger an kurzfristigen Stimmungen in digitalen Medien zu orientieren. Deutschland benötige „mehr denn je eine langfristig orientierte und visionäre Politik“, sagte Dr. Nicola Fuchs-Schündeln. Es gebe einige Indikatoren dafür, dass Wähler*innen bereit seien, „mutige Reformen zu akzeptieren und sogar zu honorieren, wenn sie den tief empfundenen Stillstand in diesem Land aufbrechen“.
Wirtschaftswachstum
Reformen seien dringend notwendig, analysierte die Professorin für Makroökonomie und Entwicklung, die an der Goethe-Universität Frankfurt lehrt. „Ohne Wachstum fehlt den Bürgerinnen und Bürgern die positive Zukunftsperspektive, ohne Wachstum können wir uns die notwendigen Investitionen nicht leisten, ohne Wachstum nehmen Verteilungskämpfe zu, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden und den Populisten Öl ins Feuer gießen“, sagte sie. Dazu, so lassen sich die Argumente bündeln, müsse sich das Wachstum von klassischen deutschen Branchen – Automobilbau, Chemie, Maschinenbau – auf andere Bereiche erweitern, etwa im Service-Sektor. Ideen umzusetzen, verlange Risikobereitschaft bei allen Akteur*innen in der Politik, bei Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden, letztlich bei allen Bürger*innen.
Ein Baustein dazu: Deregulierung. Dies bedeute zum Beispiel, kleinteilige rechtliche Regelungen gegen Vertrauen und Selbstständigkeit zu tauschen. Nicht ohne Folgen: „Auch die Einzelfallgerechtigkeit wird leiden“, sagt die Ökonomin. Andererseits werde Wirtschaft angekurbelt, weil Investitionen und Risikoübernahme durch Unternehmen erleichtert sind. Staatliche Entscheidungen werden schneller und machen den Staat handlungsfähiger. Zuletzt spare Deregulierung Geld, denn Bürger*innen, Verwaltungen und Unternehmen können sich produktiven Tätigkeiten widmen, statt Zeit mit Dokumentation und Kontrolle von Regeln zu verbringen.
Exkurs in die Sozialpolitik
Überträgt man diese Gedanken zur Deregulierung in der Wirtschaftspolitik auf die Sozialpolitik, könnte das bedeuten: Mit Fallpauschalen statt Einzelmaßnahmen, mit sinnvoll gestecktem Rahmen statt kleinteiligen Kontrollen, Nachweisen und Verwaltungsakten könnten Leistungsempfänger*innen, Berater*innen, Vermittler*innen und Sozialarbeiter*innen stärker den Fokus auf Begleitung legen, den Weg in die Selbstständigkeit fördern und das Vertrauen in den Sozialstaat stärken. Die gegenwärtige Praxis basiert auf Einzelfallprüfungen und ‑entscheidungen. In der Bilanz kann Deregulierung im Sozialbereich zugunsten der Leistungsempfangenden ebenso zur Stärkung der Demokratie beitragen. Diesen Aspekt hat die Wissenschaftlerin in ihrem Impuls indes nicht ausgeführt.
Daseinsvorsorge
Doch sie hat die Bedeutung der Daseinsvorsorge herausgestellt. „Es gibt aus der Forschung überzeugende Belege dafür, dass eine gut funktionierende Daseinsvorsorge vor Ort die Unterstützung für die Demokratie fördert“, sagt Dr. Nicola Fuchs-Schündeln. Eine Studie aus Italien stelle zum Beispiel heraus, dass Kürzungen im Erhalt lokaler Straßen, Müllabfuhr, Wasser- und Energieversorgung, Bildung und Polizei die Stimmanteile der Extreme signifikant erhöhen. Zudem schüre eine unzureichend funktionsfähige Infrastruktur Ressentiments gegenüber Ausländer*innen, die als „weniger würdig“ angesehen werden, Teile der knappen öffentlichen Ressourcen zu erhalten. Forschungsergebnisse aus Großbritannien zeigen laut WZB-Präsidentin, dass in wirtschaftsschwachen Regionen Menschen aus ärmeren Haushalten eine große Demokratieskepsis zeigen, während in einer prosperierenden Region arme Menschen davon ausgingen, dass sich ihre wirtschaftliche Lage in der Zukunft verbessern kann – verbunden mit positiven Einstellungen zur Demokratie.
Der Rat der Wissenschaftlerin: „Wir brauchen also dringend die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, die so lange vernachlässigt wurden, und die diese Regierungskoalition nun endlich angehen will. Wir brauchen darüber hinaus eine Staatsreform, die das staatliche Handeln so vereinfacht, dass die Bürger es als schnell und effektiv wahrnehmen“, wie es die Initiative für einen handlungsfähigen Staat herausgearbeitet habe.
Kampf gegen Populismus
Was weder der Demokratie noch der Wirtschaft helfe, sei Populismus. Dr. Nicola Fuchs-Schündeln führt aus, dass das Wirtschaftswachstum sinkt, wenn Populisten die Regierung übernehmen. „Populistische Parteien oder Personen werden in der Wissenschaft dadurch definiert, dass sie eine ‚Wir gegen sie‘-Mentalität fördern, oder anders gesagt eine ‚das Volk gegen die korrupten Eliten‘-Spaltung unterstellen“, erklärt sie. Nicht nur seien die Effekte von populistischen Regierungen auf das Wirtschaftswachstum negativ, zugleich nehme die Ungleichheit unter rechtspopulistischen Regierungen deutlich zu. Die negativen Wachstumseffekte kämen daher, dass populistische Regierungen erstens in der Regel protektionistisch agieren, zweitens demokratische Institutionen untergraben. „Dadurch gehen gute, stabile Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verloren, und Vetternwirtschaft und Korruption nehmen zu“, sagt die WZB-Präsidentin und mahnt: „Demokratie ist auch ohne populistische Politik möglich.“
Text: Michael Scholl