Der Lockdown ist noch lange nicht komplett aufgehoben, aber viele Einrichtungen der Jugendsozialarbeit nehmen im Rahmen der Vorschriften wieder ihre Arbeit auf. Die finanzielle Absicherung von Trägern, Personal und Maßnahmen bestimmen weitestgehend die Debatte um die Auswirkungen des Lockdowns. Ergänzend dazu richten die “Jugendsozialarbeit News” den Blick auf die Jugendlichen in der Jugendsozialarbeit. Wir fragen “WIE GEHT ES EIGENTLICH DEN JUGENDLICHEN…” und geben der Berichterstattung zur Coronakrise damit eine neue Ausrichtung. Heute antwortet Jutta Meier auf unsere Fragen. Sie arbeitet als Bildungsbegleiterin bei IN VIA St. Lioba gGmbH. Sie ist froh darüber, den Jugendlichen gute Neuigkeiten überbringen zu können, dass die Maßnahmen unter strengen Auflagen Schritt für Schritt wieder stattfinden dürfen.
Welche Jugendlichen betreuen Sie in Ihrer Einrichtung?
Jutta Meier: Die IN VIA St. Lioba gem. GmbH in Paderborn ist eine Einrichtung des IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit Diözesanverbandes Paderborn e.V., die vor allem im Bereich der Jugendberufshilfe / Berufshilfe tätig ist. Zielgruppe sind in erster Linie junge Menschen mit einem Reha-Status im Übergang von der Schule zum Beruf.
Für diese jungen Menschen bietet IN VIA St. Lioba verschiedene Maßnahmen der Berufsvorbereitung und Berufsausbildung sowie Qualifizierungsmaßnahmen und Unterstützungsprojekte an, die kontinuierlich weiter und neu entwickelt werden. Dies sind insbesondere berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, Reha –Ausbildungen, Maßnahmen zur Verhinderung einer dauerhaften Unterbringung in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Eltern-Kind-Wohnen.
Wie geht es den Jugendlichen? Wie gehen sie mit der Situation um?
Jutta Meier: Seit Mitte März war die Einrichtung geschlossen und die Jugendlichen waren zu Hause. Viele der Jugendlichen machen sich Sorgen wie es nach der Maßnahme /Ausbildung für sie weiter gehen kann. Bei den Auszubildenden geht es um zukünftige Arbeitsstellen. Vor der Krise waren ihre Aussichten gut, aktuell stellen Firmen und Gastronomie Mitarbeiter*innen nur in Ausnahmefällen ein.
Ein großer Teil der Teilnehmer*innen aus den berufsvorbereitenden Maßnahmen geht nach Beendigung in eine geförderte Ausbildung. Zurzeit ist es aber immer noch erschwert, die für die Teilnehmer*innen wichtigen persönlichen Sprechtage mit der Agentur für Arbeit, Eltern/Betreuer*in und Bildungsbegleiter*in zu führen.
Den Jugendlichen fehlen die sozialen Kontakte zu den Gleichaltrigen, aber auch die tägliche Struktur, die sie durch den Besuch der Maßnahmen/Ausbildung erhalten. Je länger die Beschränkungen andauern, umso größer wird ihre Verunsicherung, wann sie wieder täglich zum Lernen zu IN VIA St. Lioba zurückkehren dürfen. Wir freuen uns daher, nach und nach Maßnahmen wieder aufzunehmen unter Berücksichtigung der Hygiene-und Abstandsregeln.
Mit welchen Schwierigkeiten hatten die Jugendlichen in den letzten drei Monaten zu kämpfen?
Jutta Meier: Die Rückmeldungen von Jugendlichen zeigen, dass eine große Schwierigkeit die fehlende Tagesstruktur ist. In regelmäßig stattfindenden Telefonaten beraten wir die Jugendlichen. Wir haben mit ihnen individuelle Tagestrukturen durchgesprochen, Wochenpläne zugesendet und haben mit ihnen mögliche Freizeitaktivitäten überlegt. Gemeinsam wurde immer ein nächster Telefonkontakt vereinbart.
Wir wissen, dass die Jugendlichen die Nachrichten und Informationen in den Medien zur Coronakrise nicht immer verstehen oder auch nicht informiert sind. Auch bei den Eltern herrscht hier oft große Unsicherheit. So informieren wir sie regelmäßig über den aktuellen Stand der Krise und sprechen mit ihnen die aktuellen Hygiene –und Abstandsregeln durch.
Einige Jugendliche benötigen auch Hilfen zur Umsetzung ihrer Aufgaben. Sie fühlten sich mit der selbstständigen Arbeit überfordert. Über Telefonate oder per Mail/SMS wurde dann versucht das Problem gemeinsam zu lösen, damit die Motivation zum Lernen erhalten bleibt.
Wie haben Sie Ihren Kontakt zu den Jugendlichen gestaltet?
Jutta Meier: Wir waren und sind im ständigen Austausch mit den Jugendlichen. Dafür nutzen wir alle uns zur Verfügung stehende Kanäle: Telefon, E-Mail, SMS, Briefe. Die Lernpakete haben wir per E-Mail oder Post zugeschickt. Die Kontrolle und Besprechung sowie die Korrektur der erledigten Lernaufgaben erfolgte auch über die genannten Kanäle. Es besteht ein ständiger Austausch zwischen den Beteiligten. Die meisten Jugendlichen haben das sehr ernst genommen und die Aufgaben termingerecht zugesendet. Andernfalls wurden sie erneut aufgefordert zu einem bestimmten Termin die Materialien vorzulegen. Wir spüren in den Gesprächen, dass die Jugendlichen den Kontakt brauchen. Sie reagieren oft erfreut, haben Fragen oder erzählen, was sie bisher gemacht haben.
Wie sah Ihre Förderung und Beratung, etwa über digitale Tools, aus? Welche Erfahrungen haben Sie damit?
Jutta Meier: Wir haben die Erfahrungen gemacht, dass bei den Jugendlichen nicht alle technischen Voraussetzungen für gutes Lernen zuhause erfüllt sind. Ein Smartphone besitzen alle, aber Drucker oder Laptop/PC nicht. Zu Beginn der Situation haben wir bei den Jugendlichen abgefragt, über welche EDV Ausstattung und digitale Tools sie verfügen, so konnten wir individuelle Entscheidungen für die Begleitung der Jugendlichen treffen. Zudem haben wir in den berufsvorbereitenden Maßnahmen eine sehr gute Erfahrung mit der Lernplattform ANTON gemacht.
Die Jugendlichen sind bei Ihnen in den berufsvorbereitenden Maßnahmen oder in der Ausbildung, wie war die Vermittlung von praktischen Fertigkeiten weiterhin möglich?
Jutta Meier: Die Meister*innen haben praktische Aufgaben erstellt. Die Materialien, eine detaillierte Arbeitsbeschreibung und ein Rückmeldebogen, wurden den Jugendlichen per Post zugesandt. Aus dem hauswirtschaftlichen Bereich z. B. haben die Jugendlichen Rezepte nachgekocht oder im Bereich Gartenbau wurden Pflanzensamen ausgesät. Anschließend mussten die Jugendlichen die Aufgaben, das nachgekochte Menü oder die Keimlinge abfotografieren und das Foto an uns schicken. Ein Rückmeldebogen dokumentierte den Verlauf der Arbeit. Das hat ganz gut geklappt.
Was macht Ihnen in dieser Zeit bezogen auf die Jugendlichen Sorgen?
Jutta Meier: Die Maßnahmen/Ausbildungen enden für die meisten Jugendlichen in der Zeit von Juni- August, anschließend sind sie in der Regel dann ausbildungs-oder berufsfähig. Zur beruflichen Eingliederung waren die letzten Monate der Ausbildung/Maßnahme oft entscheidend, da viele Jugendliche über Praktika einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz gefunden haben oder in der beruflichen Entscheidung gefestigt wurden. Diese Phase fällt aus. Praktika waren in den letzten Monaten kaum noch möglich, da die Betriebe hohe Hygieneauflagen hatten und haben und betriebsfremde Personen aktuell ein Gefahrenpotenzial darstellen.
Zudem sind die Jugendlichen in ihrer praktischen Arbeit, aber auch im Erlenen von personalen und sozialen Kompetenzen auf wiederholte Erklärungen, Rückmeldungen und Übungen angewiesen und ihr Wissen langfristig zu speichern und anzuwenden. Die derzeitige Situation hat diese kontinuierliche Entwicklung unterbrochen. Wie schnell die Jugendlichen dann zu ihrer alten Form wieder zurückfinden, wird sich nach der Krise zeigen, genauso welche Auswirkungen die Krise auf die Stabilität in den Familien und somit auch auf die Jugendlichen hat.
Welche Rahmenbedingungen würden Sie sich in der aktuellen Situation von der Politik wünschen?
Jutta Meier: Besonders zu Beginn der Krise fehlten der Einrichtung, den Jugendlichen und auch den Mitarbeitern Informationen, was zu großer Unsicherheit führte. Das betraf aber alle Bildungseinrichtungen. Nach den Erfahrungen, die jetzt gemacht worden sind, sollte ein eindeutiges Handlungskonzept erstellt werden, damit in solchen Situationen mehr Sicherheit bei allen Beteiligten herrscht.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Xenia Romadina von der IN VIA Akademie Paderborn
Quelle: BAG KJS