Was der 7. Armuts- und Reichtumsbericht offenlegt

Fast jede*r Dritte mit geringer Bildung lebt in Armut – bei hoher Bildung ist es nur knapp jede*r Zehnte. Der 7. Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) bestätigt einmal mehr, dass in Deutschland Bildung maßgeblich über Lebenschancen und Armutsrisiken entscheidet. In Deutschland ist fast jeder fünfte junge Mann zwischen 20 und 34 Jahren ohne beruflichen Abschluss – Tendenz steigend. Laut 7. ARB kletterte der Anteil von 18,6 Prozent (2021) auf 19,3 Prozent (2024). Auch bei jungen Frauen ist die Lage ernst: 13,1 Prozent von ihnen haben keinen Berufsabschluss. Besonders betroffen sind sogenannte „frühe Schulabgänger*innen“ – junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, die keinen Abschluss der Sekundarstufe II besitzen und sich weder in Schule noch Ausbildung befinden. Die meisten von ihnen stammen aus armutsgefährdeten Haushalten. Der Weg in die Armut beginnt oft lange, bevor das Berufsleben überhaupt begonnen hat.

Armut in Deutschland ist kein Randphänomen. Das zeigt der 7. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Mit mehr als 600 Seiten liefert er ein umfassendes Bild sozialer Ungleichheiten – mit überraschender Klarheit, bedrückenden Zahlen und einem besonderen Fokus auf Menschen, die bisher kaum gehört wurden: Menschen mit Armutserfahrungen. Zum ersten Mal wurden ihre Stimmen systematisch einbezogen. In Fokusgruppen und Online-Beteiligungen schildern sie, was es bedeutet, wenn das Geld für neue Schuhe fehlt, wenn auf eine warme Wohnung verzichtet werden muss oder die Einladung zum Kindergeburtstag ausfällt, weil das Geschenk unerschwinglich ist. Der Bericht rückt damit nicht nur ökonomische Kennzahlen, sondern auch die Lebensrealität von armutsbetroffenen Personen in den Mittelpunkt.

Gesundheitliche Ungleichheit beginnt früh

Dem Bericht zufolge gelten rund 17 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, Menschen mit niedriger Bildung, Erwerbslose oder Personen mit Migrationsgeschichte. Kinder und Jugendliche trifft es besonders hart. In Haushalten von Alleinerziehenden liegt das Armutsrisiko bei über 43 Prozent. Je mehr Kinder im Haushalt leben, desto größer ist das Risiko. Paare mit drei oder mehr Kindern gelten in vielen Fällen als strukturell benachteiligt. In „sonstigen Haushaltsformen“ mit Kindern steigt das Risiko von Ausgrenzung oder Deprivation laut Bericht auf über 30 Prozent.

Bildung als Schlüssel – und als Risiko

Dabei ist Armut nicht nur eine Frage des Einkommens. Die Autor*innen beschreiben eindrücklich, wie sich ungleiche Startbedingungen auf Bildungswege, Gesundheitschancen und gesellschaftliche Teilhabe auswirken. Kinder aus armen Haushalten besuchen seltener Gymnasien, verlassen häufiger früher die Schule und starten mit schlechteren Aussichten ins Berufsleben. Folglich sind junge Menschen aus von Benachteiligung betroffenen Familien überproportional von Bildungsverlusten betroffen. Sie haben seltener Zugang zu Nachhilfe, digitaler Ausstattung oder ruhigen Lernräumen. Die Folgen sind geringere Bildungschancen und langfristig schlechtere Berufsperspektiven.

Der Bericht zeigt: Menschen mit geringer Bildung hatten in den Jahren 2022/2023 eine Armutsrisikoquote zwischen 26,2 Prozent und 32,7 Prozent. Bei Menschen mit hoher Bildung lag sie dagegen nur zwischen 7 und 8,8 Prozent. Der 7. ARB stellt einen Bedeutungszuwachs von Bildung auf Armut fest. Wer heute geringere Bildung habe, sei stärker armutsgefährdet als früher. 35 Prozent der Menschen mit niedriger Bildung fallen laut Bericht in die Lebenslage „Armut“, bei hoher Bildung sind es nur 3 Prozent. Der frühkindlichen und schulischen Bildung wird eine armutspräventive Funktion zugeschrieben. Sie könnten die intergenerationale Weitergabe von Armut brechen. Die Bundesregierung hat Maßnahmen angekündigt – zur Verbesserung der Bildungschancen, zur Stärkung des Übergangs zwischen Schule und Beruf sowie zur gezielten Förderung von Weiterbildung für Geringqualifizierte.

Auch gesundheitlich zeigen sich alarmierende Unterschiede. Kinder aus armutsbetroffenen Familien sind häufiger von Entwicklungsverzögerungen, psychischen Belastungen und unzureichender gesundheitlicher Versorgung betroffen. Die Pandemie hat diesen Trend verschärft. Studien zeigen, dass junge Menschen aus sozioökonomisch benachteiligten Regionen höhere Infektionsraten, aber auch größere psychosoziale Belastungen aufwiesen – von Vereinsamung über Bewegungsmangel bis hin zu Lernrückständen.

Jugendarmut im Fokus

Einen ergänzenden und vertiefenden Blick auf die Situation junger Menschen liefert der Monitor „Jugendarmut in Deutschland“, herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit. Er dokumentiert regelmäßig die Lebenslagen junger Menschen und benennt Entwicklungen, die im ARB nicht oder nur in geringerem Umfang behandelt werden. Nach Angaben des Monitors war im Jahr 2023 jede*r vierte junge Erwachsene (18–24 Jahre) armutsgefährdet – bei den unter 18-Jährigen lag die Quote bei über 20 Prozent. Besonders eindringlich schildert der Monitor die Folgen von Armut und die intersektionalen Verschränkungen: eingeschränkte Bildungschancen, mangelnder Zugang zu Wohnraum, psychische Belastungen und die Gefahr, in einem dauerhaften Zustand von Unsicherheit und Ausschluss zu verharren.

Gesundheitliche Ungleichheit beginnt früh

Die COVID-19-Pandemie und die Energiepreiskrise haben bestehende Ungleichheiten weiter verschärft. Besonders junge Menschen ohne finanziellen Rückhalt kämpfen mit gestiegenen Lebenshaltungskosten, unsicheren Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnissen sowie prekären Wohnsituationen. Nicht selten mündet das in einen Kreislauf aus Unsicherheit, Verzicht und Resignation. Wer in der Kindheit in Armut lebt, bleibt häufig auch als Erwachsener ökonomisch verwundbar – ein Umstand, den der Begriff der Armutsverfestigung zutreffend beschreibt.

Was folgen muss

Der 7. ARB identifiziert Handlungsbedarfe: frühkindliche Bildung stärken, soziale Sicherungssysteme armutsfest gestalten, Zugang zu Gesundheitsleistungen verbessern und gezielte Unterstützung für von Benachteiligung betroffene Gruppen ausbauen. Auch eine gerechtere Verteilung von Vermögen und Chancen wird angemahnt – ein Punkt, der politisch besonders umstritten sein dürfte.

Ergänzend dazu fordert der Monitor „Jugendarmut in Deutschland“ strukturelle Reformen wie Investitionen in Jugendhilfe, mehr bezahlbaren Wohnraum, passgenaue Unterstützungsangebote in Ausbildung und Übergangsphasen, eine Verbesserung des Zugangs zu psychischer Gesundheitsversorgung sowie eine armutsfeste Ausgestaltung von Sozialleistungen für junge Menschen. Dabei geht es keineswegs um lediglich statistische Verbesserung, sondern um echte Teilhabe, Würde und Perspektiven.

Sozialsystem unter Druck

Die Autor*innen des 7. ARB betonen, dass es nicht nur um eine existenzsichernde Höhe der Leistungen soziale Sicherungssysteme gehe, sondern auch darum, Zugangshürden abzubauen, Nichtinanspruchnahme zu reduzieren und die Leistungen zielgenauer an den Bedarf anzupassen. Bildung, Teilhabe und soziale Sicherung werden als Hebel gegen Armut hervorgehoben. Andererseits droht durch die Reform des Bürgergelds genau dieser Schutz für die vulnerabelsten Gruppen geschwächt zu werden. Ein eklatanter Widerspruch.

Der 7. Armuts- und Reichtumsbericht ist daher ein wichtiger Spiegel unserer Gesellschaft. Gemeinsam mit dem Jugendarmutsmonitor zeigt er, wo wir stehen – und wo wir hin müssten. Wer Armut bekämpfen will, darf nicht nur die Symptome lindern. Er muss Strukturen verändern. Und dabei die Menschen einbeziehen, um die es geht.

Autorin: Silke Starke-Uekermann

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