Wer – wie Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit – mit jungen Menschen arbeitet, bekommt Einblick in deren Haltungen und Einstellungen. Zugleich helfen Jugendstudien, sich ein Gesamtbild zu machen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat relevante Studien und Trends aus dem Jahr 2024 miteinander verglichen und deren Erkenntnisse mit Fokus auf politische Einstellungen und politisches Problembewusstsein destilliert.
„Jugendstudien zeigen immer auf, wohin sich Gesellschaften bewegen“, betont Dr. Robert Philipps als Autor des Vergleichs. Die Trendstudie Jugend in Deutschland, die TUI-Studie „Junges Europa“, die Shell-Jugend, die Sinus-Jugendstudie und die FES-Studie „Jugend wählt“ lieferten im Jahr 2024 Erkenntnisse über junge Menschen und deren Einstellungen zu verschiedensten Themen. Die Bilanz aller Studien: Die Mehrheit ist optimistisch, zugleich wachsen die Sorgen. Das Vertrauen in den Staat und die Demokratie als Staatsform ist ungebrochen hoch, das Zutrauen in Parteien und Politiker*innen sinkt dagegen dramatisch.
Erklärungsversuche der Wissenschaft
Professor Dr. Klaus Hurrelmann erklärt dazu im ZDF: „Die Parteien in Deutschland haben die jungen Menschen sehr vernachlässigt aus meiner Perspektive. Sie nehmen ihre Themen nicht systematisch auf und sie sprechen auch nicht kommunikativ ihre Sprache. Sie haben nicht den digitalen Kanal im Vordergrund, der für die jungen Leute aber das alles Entscheidende ist.“ Gesellschaftsforscherin Silke Borgstedt (Sinus) stellt zudem in einem Interview mit Table-Media (Paywall) fest: „Politik sollte die Sorgen der Menschen immer ernst nehmen. Aktuell sehen wir aber, dass es oft nicht um Lösungen, sondern eher um ein Instrumentalisieren der Sorgen geht. Die einen sagen, es läuft alles in die falsche Richtung. Die anderen sagen, du bildest dir [das] doch nur ein“.
Widerspruch zwischen Haltung und Parteienzuspruch
Im Vergleich der Studien wird deutlich, dass von jungen Menschen ihre starke demokratische Grundhaltung nicht als Widerspruch zum Befürworten von AfD-Positionen wahrgenommen wird. Migrationskritische und populistische Positionen verfangen bei jungen Menschen und stehen im Kontext ihrer Ängste vor Krieg, wirtschaftlichem Abstieg und sozialer Ungleichheit. Der Vergleich der FES stellt fest: Bei der Sorge vor einer „Zunahme von Flüchtlingsströmen“ sei es in den letzten beiden Jahren zu einer Verdopplung der Werte gekommen (auf 41 %, Jugend in Deutschland). Zugleich sei die Angst vor Ausländerfeindlichkeit weiterhin ausgeprägt (58 %, Shell-Studie). Ebenso angestiegen ist die Sorge vor einem Erstarken des Rechtsextremismus (von 32 % in 2023 auf 44 % in 2024, Jugend in Deutschland). Jugendforscher Dr. Klaus Hurrelmann erklärt im ZDF: „Die AfD bietet sehr einfache Antworten an, kann damit im Moment punkten“. Zum Gedankengut der AfD zeigen sich vorwiegend Männer mit niedriger Bildung außerhalb der großen Städte affin – im Gegensatz zu jungen Frauen mit hoher Bildung in Großstädten, die klar die AfD ablehnen.
Aufgabe für die politische Bildung
Stimmt also die These, dass Jugendstudien zeigen, wohin sich Gesellschaften bewegen, dann werden Handlungsbedarfe für politische Bildung und Demokratiebildung deutlich: Plakative Aussagen von Parteien müssen thematisiert, einem Fakten-Check unterzogen und daraufhin bewertet werden, welche Folgen sie für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt haben. Denn der Zusammenhalt ist für junge Menschen in allen Studien ebenso wichtig wie die Demokratie als Staatsform.
Autor: Michael Scholl