Vereinbarkeit von sozialrechtlichem Dreiecksverhältnis mit dem Europarecht

Die reformierte EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU für öffentliche Aufträge sowie die neue EU-Vergaberichtlinie 2014/23/EU für Konzessionen sind am 17. April 2014 in Kraft getreten. Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Umsetzung innerhalb von zwei Jahren verpflichtet. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. hat wiederholt den Wert von Erbringungsmodellen wie das in Deutschland bekannte sozialrechtliche Dreiecksverhältnis oder das persönliche Budget unterstrichen. Diese Erbringungsformen stärken das Wahlrecht der Nutzer/-innen und gleichzeitig den Wettbewerb zwischen den Anbietern um gute Qualität und die nutzerorientierte Weiterentwicklung des Leistungsangebots. Soweit außerhalb des Anwendungsbereiches des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses und anderen Formen der Leistungserbringung noch Raum für öffentliche Auftragsverfahren verbleibt, sind die Besonderheiten der sozialen Dienstleistungen stärker als bisher zu berücksichtigen. Die reibungslose Abwicklung des Vergabeverfahrens ist kein Zweck an sich, sondern muss letztlich dazu beitragen, für Personen in sozialen Problemlagen qualitativ hochwertige und nachhaltige Hilfen zu bieten, die unter angemessenen Arbeitsbedingungen erbracht werden. Zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien in Deutschland hat der Deutsche Verein deshalb erneut Stellung bezogen. Auszüge aus der Stellungnahme:

„Die neuen EU-Vergaberichtlinien sind als Gestaltungsauftrag zu begreifen, einen sachgerechteren Ausgleich zwischen den Zielen der Transparenz, Objektivität und Nichtdiskriminierung und den besonderen sozialpolitischen Zielen der Qualität, Kontinuität und Verfügbarkeit sozialer Dienstleistungen sowie den Bedürfnissen der Anwender nach mehr Flexibilität auch im Vergaberecht herzustellen.

Klarstellung der Vereinbarkeit bewährter Erbringungsmodelle mit dem Europarecht

Erbringungsmodelle wie das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis und das persönliche Budget ermöglichen ein umfassendes Wunsch- und Wahlrecht der Nutzer/-innen und greifen nicht in die Berufsfreiheit und das Selbstverständnis der Leistungserbringer ein, denen der Marktzugang sowie Mitsprachemöglichkeiten im Rahmen vertraglicher Rahmenvereinbarungen grundsätzlich ermöglicht werden. Im Vergleich zum Vergaberecht, das auf eine zentrale und standardisierende Bedarfs- und Beschaffungsplanung angewiesen ist, sind diese Modelle auch nicht mit verhältnismäßig hohen Beschaffungs- und Bürokratiekosten verbunden. Nicht zuletzt bieten sie mehr Raum für Innovation auf den sozialen Dienstleistungsmärkten, die sich durch ein Nachfragemonopol der öffentlichen Leistungsträger und mangelnde Ausweichmöglichkeiten für die Leistungserbringer auszeichnen.

Der Deutsche Verein begrüßt daher Art. 1 i.V.m. Erwägungsgründen 4 und 114 Vergabe-RL und Art. 1 i.V.m. Erwägungsgrund 13 Konzessions-RL, die nunmehr eindeutig klar stellen, dass der Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts nur dort eröffnet ist, wo öffentliche Auftraggeber überhaupt eine Auswahlentscheidung treffen. Damit ist der EU-Richtliniengeber der Forderung des Deutschen Vereins nachgekommen, den Begriff des öffentlichen Auftrags näher zu definieren, um eine nicht sachgerechte Ausweitung auf sämtliche Formen staatlicher Ausgaben zu verhindern.

Der Deutsche Verein fordert den deutschen Gesetzgeber dazu auf, dass die Umsetzung auf Basis dieser Klarstellung der EU-Vergaberichtlinien erfolgt. Der Deutsche Verein empfiehlt einen ähnlich lautenden Hinweis wie in den Erwägungsgründen 4 und 114 Vergabe-RL sowie in Erwägungsgrund 13 Konzessions-RL zu formulieren. Auch sollte explizit auf die Vereinbarkeit des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses mit dem Europarecht hingewiesen werden.

Wahrung sozialpolitischer Gestaltungsspielräume

Staatliche Stellen bzw. öffentlich-rechtliche Sozialleistungsträger fördern die Aktivitäten freier Träger (…). An dieser Stelle findet weder eine Beauftragung statt, noch wird eine Konzession erteilt. Vielmehr fördern staatliche Stellen die eigenen Aktivitäten freier Träger mit ergänzenden Zuwendungen, wenn die Realisierung der jeweiligen Projekte und Maßnahmen im öffentlichen Interesse liegen. Rechtsgrundlagen sind vor allem jeweils die Fachgesetze und das Haushaltsrecht.

Der Deutsche Verein begrüßt Art. 1 Abs. 4 i.V.m. Erwägungsgrund 114 der Vergabe-RL sowie Art. 4 i.V.m. Erwägungsgrund 6 der Konzessions-RL, die auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, die Leistungen ihrer Daseinsvorsorge im Einklang mit den EU-Beihilferegeln selber zu definieren und zu finanzieren.

Zu Recht verweisen zudem Art. 1 Abs. 5 Vergabe-RL und Art. 4 Konzessions-RL auf die Freiheit der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Sozialsysteme. Nichtwirtschaftliche Sozialdienstleistungen sind vom EU-Wettbewerbsrecht ohnehin ausgenommen. Diese deklaratorischen Wertungen des EU-Richtliniengebers entsprechen der Forderung des Deutschen Vereins, die Förderung sozialer Ziele nicht durch eine Ausweitung des Vergaberechts zu erschweren.

Die neuen EU-Beihilferegeln aus dem Jahr 2012 ermöglichen die größenunabhängige Finanzierung von Sozialdienstleistungen unter den Vorgaben des Freistellungsbeschluss der EU-Kommission ausdrücklich ohne ein Vergabeverfahren im Sinne von Art. 106 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Daneben existieren vereinfachte vergabefreie Finanzierungsmöglichkeiten etwa im Rahmen der DAWI-Deminimis-VO für Sozialdienstleistungen mit einer Fördersumme von bis zu 500.000,– € innerhalb von drei Jahren. Ausgenommen vom EU-Beihilferecht sind zudem lokale Beihilfen, bei denen kein grenzüberschreitender Bezug festgestellt werden kann. (…)

Sozialvergaberecht umsetzen

Die Erteilung öffentlicher Aufträge im Sinne des Art. 1 der Vergabe-RL ist vor allem im Bereich der Arbeitsmarktdienstleistungen (SGB II, SGB III) gesetzlich vorgesehen. Für die Konzessionsrichtlinie ist im Bereich der sozialen Dienstleistungen derzeit kein Anwendungsfall in Deutschland ersichtlich. Auch wenn damit der Anteil der vorgeschriebenen Ausschreibungen am Gesamtvolumen der insgesamt erbrachten sozialen Dienstleistungen gering erscheint, betrifft dies dennoch einen wichtigen Bereich.

Soweit öffentliche Aufträge außerhalb des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses im Bereich der sozialen Dienstleistungen vergeben werden und damit Vergaberecht anzuwenden ist, hält der Deutsche Verein es für unerlässlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber die europarechtlichen Möglichkeiten zu einer sozialverträglichen Modifizierung dieser Verfahren nutzt, die den Besonderheiten der sozialen Dienstleistungen Rechnung trägt. In diesem Sinne begrüßt der Deutsche Verein die Art. 74 ff. Vergabe-RL, die ein besonderes Sozialvergaberegime vorschreiben. Nach Art. 74 Vergabe-RL fallen öffentliche Aufträge über soziale Dienstleistungen erst ab einem Auftragswert von 750.000,– € in den Anwendungsbereich der Vergabe-RL. Art. 75 Vergabe-RL sieht für soziale Dienstleistungen zudem gelockerte Vergaberegeln vor. Es wird lediglich eine vorherige europaweite Auftragsbekanntmachung (…) sowie eine nachträgliche Vergabebekanntmachung gefordert. (…)

Insbesondere begrüßt der Deutsche Verein den neuen Art. 76 Abs. 2 Vergabe-RL, der die Besonderheiten der sozialen Dienstleistungen als sensible Dienstleistungen hervorhebt. Danach müssen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien gewährleisten, dass die öffentlichen Auftraggeber die Notwendigkeit, Qualität, Kontinuität, Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und Vollständigkeit der sozialen Dienstleistungen sicherstellen sowie den spezifischen Bedürfnissen verschiedener Nutzerkategorien, einschließlich benachteiligter und schutzbedürftiger Gruppen, der Einbeziehung und Ermächtigung der Nutzer und dem Aspekt der Innovation Rechnung tragen können. (…)

Der Deutsche Verein fordert den deutschen Gesetz- und Verordnungsgeber dazu auf, Art. 74 ff. und Art. 76 Vergabe-RL in Form eines besonderen Sozialvergaberechts umzusetzen. Die in Deutschland über das EU-Recht hinausgehenden, relativ strengen Regeln im Bereich der sozialen Dienstleistungen sind nicht nur europarechtlich nicht gefordert, sondern in ihrer geringen Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse der sozialen Dienstleistungen auch nicht sachgerecht.
Relativ strenge Regeln bestehen bisher, indem für soziale Dienstleistungen oberhalb der Schwellenwerte durch die Vergabeverordnung (VgV) die Anwendung der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Abschnitt 1 (VOL/A) vorgeschrieben sind. Auch unterhalb der Schwellenwerte schreibt in der Regel das jeweilige Haushaltsrecht die Anwendung der VOL/A vor.

Der Deutsche Verein fordert den deutschen Gesetz- und Verordnungsgeber dazu auf, einen flexiblen Rahmen für soziale Dienstleistungen vorzusehen, an den sich die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe halten müssen. Dabei werden nur allgemeine Vorgaben und Instrumente an die Hand gegeben, die Ausfüllung dieses Rahmens ist den einzelnen Auftraggebern im Zweifel selber überlassen. Der Verweis auf die Basisparagrafen der VOL/A im Bereich der sozialen Dienstleistungen muss stattdessen aus Sicht des Deutschen Vereins fortan grundsätzlich unterbleiben, wobei sich an den Grundsätzen der VOL/A weiterhin orientiert werden kann. (…)“

Quelle: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.

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