Die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland sinkt und die Ausländerfeindlichkeit steigt. Diese beiden zentralen Erkenntnisse aus der „Leipziger Autoritarismus-Studie 2024“ lassen vor der vorgezogenen Bundestagswahl aufhorchen.
(Un-)Zufriedenheit mit der Demokratie
In der Theorie findet die Demokratie als Regierungsform große Akzeptanz: 90,4 Prozent der Befragten halten sie für eine gute Idee. Allerdings sind lediglich 43,2 Prozent davon überzeugt, dass sie in Deutschland funktioniert. Vor zwei Jahren sagten dies noch 57,7 Prozent.
Auffällig ist bei der Demokratiezufriedenheit der Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland. Während im Westen die Demokratie in der Praxis von 45,5 Prozent (2022: 58,8) für funktionsfähig befunden wird, ist diese Ansicht im Osten dramatisch von 53,5 auf 29,7 Prozent gesunken. So gering war die Zustimmung zuletzt im Jahr 2006.
Als Hauptgründe für die Unzufriedenheit wurden die Verdrossenheit mit Parteien und Politiker*innen sowie fehlende Partizipationsmöglichkeiten genannt.
Rechtsextremes Weltbild in Ost und West gleichauf
Der Prozentsatz der Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild liegt in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen bei 4,5 Prozent. Um rechtsextreme Haltungen zu untersuchen, werden je drei Fragen zu der Verharmlosung des Nationalsozialismus, Autoritarismus, Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus gestellt. Die Antwortmöglichkeiten umfassen eine Skala von 1 (völlige Ablehnung) bis 5 (volle Zustimmung). Ab einem Gesamtwert von 3,5 gilt das Weltbild als geschlossen rechtsextrem. Dies trifft auf 60 Prozent der befragten AfD-Wähler*innen zu.
Am ausländerfeindlichsten sind aber nicht etwa die in diesem Jahr in den Fokus gerückten jungen Wähler*innen. Vielmehr sind es im Westen die Menschen ab 61 Jahre, im Osten vor allem die 30- bis 60-Jährigen, die Aussagen wie „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet“ zustimmen.
Studienleiter Prof. Dr. Oliver Decker erkennt in den Ergebnissen der diesjährigen Studie im Bereich Ausländerfeindlichkeit „vor allem im Westen eine deutliche atmosphärische Verschiebung.“
Antisemitismus verbindet rechtes und linkes Milieu
Zum ersten Mal wurde in der Studie postkolonialer und antizionistischer Antisemitismus untersucht, um judenfeindliche Haltungen im linken Milieu zu identifizieren. Auch wenn der Anteil von Befragten mit gefestigter antisemitischer Einstellung (West: 4,6 Prozent, Ost: 1,8 Prozent) gering ist, haben einzelne Aussagen hohe Zustimmung erfahren. So stimmten 13,2 Prozent voll und ganz zu, dass es besser wäre, „wenn die Juden den Nahen Osten verlassen würden“. Weitere 24 Prozent stimmen zudem latent zu. Co-Herausgeber der Studie, Dr. Johannes Kiess, erkennt in den Antisemitismus eine „Brückenideologie“ zwischen rechts und links.
Demokratiebildung und Partizipation sind notwendig
Die Ergebnisse der aktuellen Studie passen zu den Wahlerfolgen rechtspopulistischer- und rechtsextremer Parteien bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Darüber hinaus geben sie möglicherweise einen Vorgeschmack auf das Ergebnis der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025.
Die BAG KJS hatte bereits vor der Europawahl im Interesse der Fachkräfte und der jungen Menschen in der Jugendsozialarbeit Forderungen aufgestellt, die in ihrem Kern auch auf Bundesebene Gültigkeit behalten.
Demnach ist es unerlässlich, die Demokratiebildung in der Jugendsozialarbeit finanziell und strukturell zu stärken. Denn die Fachkräfte brauchen entsprechende Kompetenzen und finanzielle Ressourcen, um Jugendlichen demokratiestärkende Angebote machen zu können.
Als Ursache von Frust nannten die Befragten der Leipziger Studie mangelnde Teilhabemöglichkeiten. Aus Sicht der Jugendsozialarbeit brauchen junge Menschen Räume und Gelegenheiten, demokratisches Miteinander zu erleben. Wirksame politische Beteiligung ist deshalb ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Politikverdrossenheit.
Über die Studie:
Seit 22 Jahren analysieren Wissenschaftler*innen der Universität Leipzig die Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in Deutschland. Die Autoritarismus-Studie 2024 untersucht insbesondere Antisemitismus, Sexismus und Antifeminismus, Demokratieverdrossenheit und die sozialen Bedingungen der Vorurteile.
Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller und Elmar Brähler geben die Studie heraus, für die 2.500 repräsentativ ausgewählte Menschen interviewt wurden. Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung.
Quellen: BAG KJS, Deutschlandfunk, Heinrich-Böll-Stiftung, Universität Leipzig, ZEIT