Unversorgte Ausbildungssuchende trotz Fachkräftemangel – vertane Chancen auf beiden Seiten

Deutschland steckt mitten im Fachkräftemangel. Überall fehlen qualifizierte Hände – in der Pflege, auf dem Bau, in der IT und im Handwerk. Dieser Mangel bremst die Wirtschaft, gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit und belastet die Sozialsysteme. Selten wird jedoch in den Medien diskutiert: Jedes Jahr bleiben zehntausende Ausbildungssuchende ohne Ausbildungsplatz. Während die Wirtschaft händeringend nach Nachwuchs sucht, bleibt ein enormes Potenzial an suchenden Jugendlichen unberücksichtigt. Hierbei handelt es sich um zwei Probleme, die eng miteinander verbunden sind. Es besteht zweifelsohne dringender Handlungsbedarf, diesen Widerspruch aufzulösen, denn die unversorgten Bewerber*innen sind ein zentraler Teil der Lösung des Fachkräftemangels. Der Handlungsbedarf adressiert insbesondere die Regierung, die stark betont und für sich in Anspruch nimmt, wieder eine prosperierende Wirtschaft schaffen zu wollen.

Der Ausbildungsmarkt im Jahr 2025

Die Zahlen der aktuellen Studie „Der Ausbildungsmarkt im Jahr 2025“ des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sprechen eine klare Sprache: Im Jahr 2025 hat sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt weiter verschärft.

  • Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen stieg um 3.700 auf 560.300, während das Angebot um 25.300 auf 530.300 Plätze sank.
  • Die Angebots-Nachfrage-Relation fiel auf 94,7 – das heißt, rechnerisch gibt es nur noch 95 Plätze für 100 Bewerberinnen und Bewerber.
  • Besonders alarmierend: 84.400 Jugendliche blieben ohne Ausbildungsplatz – der höchste Wert seit der Finanzkrise 2009. Jeder sechste junge Mensch ging leer aus.

Hinter diesen Zahlen stehen junge Menschen mit Zukunftswünschen, die im aktuellen System keinen Einstieg finden. Gleichzeitig bleiben 54.400 Ausbildungsplätze unbesetzt. Der scheinbare Widerspruch – viele suchende Jugendliche und viele offene Stellen – hat eine klare Ursache: das sogenannte Passungsproblem.

Gründe und Losungsansätze für Passungsprobleme

Passungsprobleme entstehen, wenn sich die Wünsche der Jugendlichen und die Bedarfe der Betriebe regional oder beruflich nicht decken. Die BIBB-Analyse zeigt zwei Hauptursachen:

  • Regionale Ungleichgewichte: In Regionen wie Teilen Bayerns oder Baden-Württembergs gibt es mehr Lehrstellen als Bewerber*innen. In Ballungsräumen wie Berlin, Köln oder dem Ruhrgebiet ist es umgekehrt. Doch viele Jugendliche können oder wollen für eine Ausbildung nicht umziehen.
  • Berufliche Ungleichgewichte: Jugendliche bewerben sich auf eine kleine Zahl von „Traumberufen“ – etwa Mediengestaltung, E-Commerce oder Sportmanagement. In diesen Bereichen herrscht starke Konkurrenz. Dagegen bleiben zahlreiche Stellen im Handwerk, Baugewerbe oder Lebensmittelhandwerk unbesetzt – in manchen Berufen wie Klempner*in, Betonbauer*in oder Fleischer*in bis zu 40 %.

Um dieses Potenzial zu erschließen, müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an mehreren Stellschrauben drehen:

  • Frühe und praxisnahe Berufsorientierung: Berufswahlprozesse müssen früher einsetzen und realistisch gestalten werden. Praktika, vor allem in handwerklichen, pflegerischen oder industriellen Berufen, sollten Vorurteile abbauen und Einblicke ermöglichen. Erfolgsgeschichten z. B. von Gesell*innen und Meister*innen gehören stärker in den Fokus.
  • Attraktivität weniger angesehener Berufe steigern: Berufe mit Besetzungsproblemen brauchen modernisierte Ausbildungsinhalte, faire Vergütung, klare Aufstiegsperspektiven und Imagepflege – „Karriere mit Lehre“ muss erlebbar werden.
  • Gezielte Unterstützung für benachteiligte Gruppen: Viele unversorgte Jugendliche haben nur einen Hauptschulabschluss oder einen Einwanderungsbezug. Sie benötigen gezielte Vorbereitung, Begleitung und Betriebe mit Integrationsbereitschaft. Instrumente wie die Assistierte Ausbildung flex oder die Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme bieten dafür gute Ansätze.
  • Flexiblere Ausbildungsmodelle: Teilzeitausbildung, modulare Strukturen, Kompetenzvalidierung und begleitende Nachqualifizierungen können Hürden senken und neue Zugänge schaffen.
  • Wohn- und Mobilitätsförderung: Angemessener und bezahlbarer Wohnraum ist entscheidend. Während Studierendenwohnen gefördert wird, gibt es beim Azubi- und Jugendwohnen erheblichen Nachholbedarf. Das Bundesprogramm „Junges Wohnen“ sollte beide Bereiche gleichermaßen berücksichtigen.

Der Fachkräftemangel gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Es ist wirtschaftlich kurzsichtig und sozial nicht hinnehmbar, Jahr für Jahr zehntausende junge Menschen am Übergang ins Berufsleben auszubremsen oder gar scheitern zu lassen, während Betriebe händeringend nach Auszubildenden suchen.

Die „Unversorgten“ von heute können die Fachkräfte von morgen sein. Dafür müssen wir die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt entschlossen angehen. Es geht darum, Brücken zu bauen: zwischen Jugendlichen und Betrieben, zwischen Berufswünschen und Realität, zwischen Ballungszentren und ländlichen Räumen. Dies erfordert ein Umdenken in der Berufsorientierung, eine Aufwertung der beruflichen Bildung, eine Stärkung von Begleitmaßnahmen und ein gemeinsames Engagement von Betrieben, Verbänden und Politik.

Investitionen in diese jungen Menschen sind Investitionen in die wirtschaftliche Stabilität und den sozialen Zusammenhalt unseres Landes.

 

Autor und Kontakt: Dr. Torben Schön (Fachreferent beim Kolpingwerk Deutschland im Netzwerk der BAG KJS im Themenfeld „Berufliche Integration für alle jungen Menschen erreichen“ – torben.schoen@kolping.de)

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