Die Einkommen in Deutschland haben sich weiter polarisiert. Die Gruppe der mittleren Einkommen ist geschrumpft, weil der Anteil der Haushalte unter der Armutsgrenze deutlich und der über der statistischen Reichtumsgrenze etwas zugenommen hat. Armut und Reichtum haben sich verfestigt. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Es zeigen sich wesentliche Unterschiede nach Geschlecht und Region: Dauerhafte Armut kommt in Ostdeutschland etwa sechs Mal so häufig vor wie in den alten Bundesländern. Westdeutsche Männer haben am häufigsten ein dauerhaft hohes Einkommen. Bildung und Vollzeiterwerbstätigkeit sind wesentliche Faktoren, um Armut zu vermeiden und ein höheres Einkommen zu erzielen. Die Studienautorin und Verteilungsexpertin Dr. Dorothee Spannagel fordert daher, die sozialen Hürden beim Bildungszugang abzubauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern.
Markanter Anstieg der Armutsquote
Im Langzeitvergleich seit den 1990er Jahren zeigt sich nach Spannagels Analyse vor allem bei der Armut ein markanter, weitgehend kontinuierlicher Anstieg: Waren damals rund 11 Prozent aller Menschen in Deutschland einkommensarm, stieg die Quote bis auf knapp 16,8 Prozent im aktuellsten Jahr 2015.
Weniger schaffen es, in 5 Jahren aus der Armut zu kommen
Besonders problematisch ist nach Analyse der Forscherin, dass sich parallel zu den Anstiegen sowohl die Einkommensarmut als auch der Einkommensreichtum verfestigt haben. Dabei war die Entwicklung bei armen Haushalten erneut deutlich stärker als bei reichen. Das zeigt der Vergleich von drei 5-Jahres-Zeiträumen. So hatten 3,1 Prozent der Bevölkerung zwischen 1991 und 1995 in jedem dieser Jahre nur ein Einkommen unter der Armutsgrenze zur Verfügung. Dagegen waren es im Zeitraum von 2001 bis 2005 bereits knapp 5,2 Prozent, die sich auch über fünf Jahre nicht aus der Armut lösen konnten. Trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung stieg der Anteil in den fünf Jahren von 2011 bis 2015 noch einmal leicht auf nunmehr 5,4 Prozent. Knapp die Hälfte davon, 2,4 Prozent, haben nicht einmal 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung.
Ungleiche Einommen: Klare Schere zwischen West und Ost, Frauen und Männern
Als weiteren Faktor, der die Entwicklung besorgniserregend erscheinen lässt, nennt Studienautorin Spannagel, dass sich dauerhafte Armut und dauerhafter Reichtum in bestimmten Regionen und Bevölkerungsgruppen konzentrieren und aktuelle Trends am Arbeitsmarkt die Verfestigung weiter begünstigen dürften, wenn nicht gegengesteuert wird:
- West-Ost: 95 Prozent der dauerhaft Einkommensreichen in der Bundesrepublik leben in West-, nur fünf Prozent in Ostdeutschland. Hingegen leben knapp 62 Prozent der dauerhaft Armen leben in den neuen Ländern, obwohl dort nur ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ansässig ist.
- Mann-Frau: Etwa drei Viertel der dauerhaft Einkommensreichen sind Männer. Unter den dauerhaft Armen stellen dagegen Frauen die Mehrheit.
- Bildung: Je höher die Bildung, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, ein hohes Einkommen zu erzielen. Dauerhafte Armut droht hingegen besonders häufig Menschen mit niedrigen Abschlüssen. Kinder aus Haushalten mit hohen Einkommen starten mit einem klaren Vorteil auf ihren Bildungsweg. Dadurch schließt sich der Kreis, Armut und Reichtum werden „vererbt.“
- Vollzeit-Teilzeit: Erwerbstätigkeit in Vollzeit schützt nach den SOEP-Daten klar vor dauerhafter Armut. Für Teilzeitbeschäftigte oder Menschen mit Minijobs bestehen hingegen kaum Aussichten auf ein hohes Einkommen. Dabei hat vor allem Teilzeit in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen.
Der Verteilungsbericht nutzt die neuesten verfügbaren Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), die sich auf das Jahr 2015 beziehen. In der Widerholungsbefragung SOEP machen jährlich 11.000 Haushalte unter anderem Angaben zu ihren Einkommen. Basis der Analyse ist das reale verfügbare Haushaltseinkommen, also das Einkommen nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen, inklusive aller Sozialtransfers wie beispielsweise Kinder- oder Arbeitslosengeld.
Quelle: WSI