Das Phänomen gesellschaftlicher Ausgrenzung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sei in den vergangenen Jahren nicht geringer geworden, erläuterte Elise Bohlen von IN VIA, Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit in Deutschland, – und belegte das mit Zahlen: Sechs Prozent der Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss. 1,9 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren haben keinen Berufsabschluss. Sie sind fünf Mal häufiger von Erwerbslosigkeit betroffen als andere. Bohlens Schlussfolgerung: Die Jugendberufshilfe, die benachteiligte junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf unterstützt, werde weiter dringend benötigt. Doch die Arbeitsbedingungen der Fachkräfte sind schlecht. Überlastung sei ein großes Thema, berichtete Bohlen. Die »Projektisierung« verhindere Kontinuität und verlässliche Angebote.
Auch aus Sicht von Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand liegt in der Jugendberufshilfe vieles im Argen. »Die Politik muss ihre Hausaufgaben machen und die Rahmenbedingungen verbessern«, forderte die Gewerkschafterin. Allerdings stünden auch die Träger in der Verantwortung, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Ein Weg dahin könne ein gemeinsamer Tarifvertrag in der Branche sein. »Dann würde der Wettbewerb über die besten Angebote und die höchsten Vermittlungsquoten geführt – nicht über den niedrigsten Preis«, so Bühler.
Die kurzfristige und unsichere Finanzierung ist für Sibylle Klings von IN VIA Köln eines der großen Probleme der Branche. »Es tut mir leid, wenn ich engagierten Mitarbeitern nach zwei Jahren sagen muss: Jetzt ist Schluss.« Hinzu komme, dass die Beschäftigten vielfach »gegen die eigene Überzeugung« arbeiten müssten. Die Prüfungs- und Prämienvorgaben stünden oft in Widerspruch zu dem, was die Jugendlichen eigentlich bräuchten. Das sei auch für die Fachkräfte eine Belastung.
In der Jugendberufshilfe sei Vertrauen und Kontinuität besonders wichtig, sagte Anne Daniels vom Kolping Bildungswerk Aachen. »Aber ich kann den Jugendlichen nicht einmal versprechen, dass ich nach den Sommerferien noch da bin«, so die Sozialarbeiterin, die zum dritten Mal befristet angestellt ist nach eigener Einschätzung deutlich weniger verdient als in anderen Bereichen der sozialen Arbeit. »Wenn ich in diesen prekären Bedingungen bleibe, bin ich selbst irgendwann ein Sozialfall«, fürchtet sie.
Auch Mirjam Aasman hat lange in einer unsicheren Situation gearbeitet. Als Lehrkraft hatte sie gleich zwei Stellen bei ein und demselben Bildungsträger – eine mit einem 0,2-Prozent-Anteil auf drei Monate befristet, eine weitere mit 0,4-Prozent-Anteil für vier Monate. Für die Jugendberufshilfe hatte der kirchliche Träger die Bezahlung gegenüber den sonst geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) abgesenkt. Heute arbeitet Aasman als Geschäftsführerin der Jugendwerkstatt Gießen. Die AVR könne die evangelische Einrichtung nur einhalten, weil sie von der Kirche und durch Spenden unterstützt werde. Auch der Personalschlüssel könne so verbessert werden. »Schließlich wollen wir die Jugendlichen nicht nur verwalten und abfertigen, sondern richtig betreuen.«
Niko Stumpfögger, Bereichsleiter Betriebs- und Branchenpolitik im ver.di-Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen, betonte: »Wer gute Qualität will, braucht Kontinuität und muss erfahrenes Fachpersonal an Bord halten.« Die größtenteils über Projekte und Vergabeverfahren laufende, kurzfristige Förderung passe nicht zu diesem Anspruch. Sie führe dazu, dass Fachkräfte abwanderten.
Professor Wolfgang Schröer von der Uni Hildesheim appellierte an die Verbände und Organisationen der Jugendberufshilfe, »laut zu werden«. Sie müssten für bessere Bedingungen streiten – und auch politische Bildung betreiben. Es gehe nicht nur darum, Jugendliche für einen Job zu qualifizieren, sondern auch, sie zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu machen. Der Wissenschaftler erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass junge Menschen in überbetrieblichen Maßnahmen anders als in der betrieblichen Ausbildung keine Mitbestimmungsrechte haben. Schröer plädierte für eine gesellschaftliche Diskussion über die Rechte von Jugendlichen. Anders als die frühkindliche Bildung komme Jugendpolitik bei den Parteien kaum vor. Die Jugendberufshilfe müsse eine Rolle dabei spielen, sie wieder zum Thema zu machen.“
Quelle: ver.di: Daniel Behruzi