Die Bertelsmann Stiftung bietet mit der Analyse „Zuwanderung und Arbeitsmarkt” Zahlen und Erkenntnisse, die auf zwei aktuelle Debatten wirken: über Migration und über den Standort Deutschland. Beide Themen werden den Wahlkampf und die kommende Legislatur prägen. Notwendig ist anstelle einer populistischen Debatte mit völkisch-nationalistischem Grundrauschen mehr Sachlichkeit. Denn laut Erkenntnis aus der Wissenschaft bleibt der deutsche Arbeitsmarkt langfristig auf Zuwanderung angewiesen.
Jährlich hohe Einwanderungsquote notwendig
„Der erste zentrale Befund der Projektion besagt, dass Deutschland und die Bundesländer langfristig und in substanziellem Umfang weiter auf Zuwanderung angewiesen bleiben, um das Erwerbspersonenpotenzial zu stabilisieren”, schreiben die Wissenschaftler. Vor allem die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden laut der wissenschaftlichen Projektion ohne Zuwanderung bis zum Jahr 2040 rund ein Fünftel der Arbeitskräfte einbüßen. In den anderen Bundesländern sind die Zahlen geringer, bundesweit dürften aber absehbar 11,3 Millionen Menschen als „Erwerbspersonenzahl” fehlen. In ihren unterschiedlichen Szenarien rechnen die Wissenschaftler*innen, dass bis 2040 jährlich zwischen 288.000 und 368.000 Menschen nach Deutschland einwandern müssten, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken.
Effizienzsteigerung der Verwaltung
Allein mit Anwerbung in Drittstaaten werde die Zahl kaum erreicht, prognostiziert die Studie. Daraus lässt sich ableiten, dass stärker und schneller als bisher Menschen als Arbeitskräfte gewonnen werden müssen, die bereits nach Deutschland eingewandert oder geflohen sind. Der Schlüssel liege in der Kommunikation, der Effizienzsteigerung und bei zusätzlichen Ressourcen in den Verwaltungen, um die Menschen zu erreichen und bestehende Verfahren wirksam zu beschleunigen. Von einer weiteren Liberalisierung der Zugänge dagegen raten die Wissenschaftler ab, um zusätzliches Fachkräfteportal zu erschließen.
Dauerstreit um Migration schadet
Im Vorwort zur Studie konstatiert Ulrich Kober, Direktor des Programms Demokratie und Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung: „Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten ein Einwanderungsland geworden und die Frage, wie es mit der Migration mit Blick auf den demografischen Wandel im Land weitergeht, ist von hoher Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands“. Der Dauerstreit über Migration, die damit wachsende Skepsis gegenüber Zuwanderung und die sinkende Aufnahmebereitschaft gäben politischen Kräften Auftrieb, die Migration als „Mutter aller Probleme” skandalisieren. Die Stimmung sei emotional aufgeladen. „Der Versuch, die Migrationsfrage sachlich zu diskutieren, ist vor diesem Hintergrund schwierig, aber unverzichtbar”, betont Ulrich Kober. Durch die Studie werde zugleich deutlich, dass Migration weiter im wohlverstandenen ökonomischen Eigeninteresse Deutschlands liege. Gelingende Arbeitsmarktintegration sei zudem für die zugewanderten Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen aufgenommen wurden, von großer Bedeutung.
Erstellt wurde die Studie durch Alexander Kubis, Volkswirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), sowie Lutz Schneider, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg.
Autor: Michael Scholl
Quelle: Bertelsmann Stiftung