Auszüge aus der Publikation „Chancengerechtigkeit, Bildung und Soziale Marktwirtschaft“ aus der Reihe Argumente zur Martkwirtschaft und Politik von Guido Raddatz:
“ In den letzten Jahren wurden zahlreiche Defizite des deutschen Bildungssystems diskutiert – sowohl hinsichtlich seiner Effizienz, ein im Durchschnitt hohes Bildungsniveau zu erreichen, als auch im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit, für Kinder aus allen sozialen Schichten gleichermaßen gute Bildungschancen herzustellen.
Zwar hat es – … – in den letzten Jahren einige Fortschritte gegeben. Dennoch sind nach wie vor erhebliche Herausforderungen zu erkennen:
## Im Jahr 2010 verließen 6,6 Prozent der Schüler die Schule ohne zumindest einen Hauptschulabschluss zu erreichen. … Gleichzeitig ist die Abschlussquote bei höherer Bildung im internationalen Vergleich relativ niedrig.
## Empirischen Untersuchungen zufolge gibt es in Deutschland einen nicht unerheblichen funktionalen Analphabetismus. Schätzungsweise rund 7,5 Mio. Erwachsene bzw. 14,5 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter verfügen nur über sehr eingeschränkte Lese- und Schreibkompetenzen und scheitern bereits an kürzeren zusammenhängenden Texten.
Was ist zu tun? Ausgewählte Ansätze für ein besseres und chancengerechteres Bildungssystem
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Kinder aus bildungsfernen Schichten laufen im deutschen Bildungssystem offensichtlich Gefahr, benachteiligt zu werden, so dass sie ihr Bildungspotential nicht ohne Weiteres ausschöpfen können. In späteren Jahren ist eine Korrektur, z.B. auf dem zweiten Bildungsweg, vielfach nur noch schwer oder mit hohen Kosten möglich. Ungleiche Bildungschancen münden in ungleiche Startchancen für das Erwerbsleben. Ein sozial selektives Bildungssystem begünstigt daher auf lange Sicht eine Verfestigung sozialer und ökonomischer Ungleichkeit über Generationen hinweg. Mit Chancengerechtigkeit, aber auch den weiteren Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft ist ein solcher Zustand auf Dauer nicht vereinbar.
Frühkindliche Bildung in den ersten Lebensjahren bis zur Grundschule
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Die mit einer Stärkung der frühkindlichen und vorschulischen Bildung verbundenen Kosten stellen auf lange Sicht eine lohnende Investition dar. Und das nicht nur, weil sie langfristig über eine höhere Produktivität und höheres Wirtschaftswachstum zu höheren Staatseinnahmen führen, sonder auch, weil sie einem sozialen Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenwirken. Dabei muss zudem berücksichtigt werden, dass in Deutschland das Verhältnis von öffentlichen zu privaten Bildungsausgaben im Bereich der frühkindlichen Bildung (Elementarbereich) und der schulischen Bildung (Primar- und Sekundarbereich) unterhalb des OECD-Durchschnitts wie auch des EU21-Durchschnitts liegt, im tertiären Bereich hingegen darüber. Diese Gewichtung der öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland widerspricht der ökonomischen Logik und auch dem Prinzip der Chancengerechtigkeit. Während die Entscheidung für oder gegen ein Studium von den Betroffenen in der Regel in eigener Verantwortung unter Abwägung von Kosten und Nutzen getroffen werden kann und private (Teil-)Finanzierungsmodelle in Form von Studiengebühren bei entsprechenden Rahmenbedingungen kein unüberwindbares Hindernis darstellen, ist die gesellschaftliche Verantwortung für den Bildungserfolg jüngerer Kinder deutliche höher zu veranschlagen: Bildungsdefizite aufgrund fehlender Bildungschancen in jungen Jahren schließen den späteren Bildungserfolg, z.B. in Form eines Hochschulstudiums, vielfach von vorneherein aus oder lassen sich nur unter hohen Kosten aus dem Weg räumen. Zudem spricht auch der fallende Verlauf von Bildungsertragsraten im Lebenszyklus für ein Umkehrung der Gewichtung bei den öffentlichen Bildungsausgaben.
Schulische Ausbildung weiter verbessern und chancengerechter machen
Im Bereich der schulischen Bildung muss es neben der weiteren Steigerung des Bildungsniveaus und der kognitiven Kompetenzen insgesamt vor allem um mehr Chancengerechtigkeit für Kinder aus bildungsfernen und sozial schwächeren Familien gehen. Da sich der Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds mit zunehmenden Alter zu verfestigen droht, gilt es diesbezüglich vor allem, die ersten Schuljahre und den Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen in den Blick zu nehmen.
… Es empfiehlt sich … für Deutschland, die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler auf weiterführende Schulen erst bei einem höheren Alter, beispielsweise nach der 6. Klasse, vorzunehmen. Um die regionalen Mobilität von Familien mit Kindern dabei nicht zu behindern, sollte dies für alle Bundesländer einheitlich erfolgen. Darüber hinaus wirkt sich auch eine niedrige Anzahl weiterführender Schultypen tendenziell positiv auf die Bildungschancen von Kindern aus sozial schwachen Familien aus. Vor diesem Hintergrund ist die – … – abnehmende Bedeutung der Hauptschule zu begrüßen. Der Übergang zu einem zweigliedrigen Schulsystem sollte weiter forciert werden. Hingegen führen die deutschen Gesamtschulen nicht zu einer verbesserten Chancengerechtigkeit, da sie als zusätzlicher Schultyp neben den bestehenden Schulformen eine stärkere Selektion ermöglichen und daher gerade kein längeres eingliedriges Schulsystem erstzen.
Um die Effizienz der schulischen Bildung zu verbessern und das Bildungsniveau insgesamt zu erhöhen, empfiehlt sich … für Deutschland ein mehrteiliges, in Teilen interdependentes Reformbündel. Die Hauptstoßrichtung ist dabei eine Veränderung der institutionellen Rahmenbedingungen des Schulsystems hin zu mehr Wettbewerb und besseren Leistungsanreizen – sowohl für Schüler als auch für Lehrer.
Zum einen sollten die Bildungsergebnisse durch mehr externe Zielvorgaben und Leistungskontrollen, sprich zentrale Prüfungen, stärker vergleichbar gemacht werden. Durch zentral gestellte Prüfungsaufgaben entfällt erstens für Schulen und Lehrer die Möglichkeit, „optisch bessere Noten“ durch ein Absenken der Leistungsanforderungen zu unterstützen. …
Zum anderen sollte der Wettbewerb zwischen den Schulen gestärkt und den Schulen mehr Autonomie eingeräumt werden. Müssen Schulen – … – um Schüler konkurrieren, sind von ihnen besondere Anstrengungen und ein effizienzfördernder Wettbewerb zu erwarten. Allerdings benötigen sie dazu Freiräume, nicht zuletzt um beispielsweise unterschiedliche Unterrichtsstrategien verfolgen und voneinander lernen bzw. besonders erfolgreiche Methoden kopieren zu können. …
Da die Bildungsergebnisse ganz entscheidend durch die Lehrerinnen und Lehrer geprägt werden, ist drittens schließlich auch die Qualifikation der Lehrerschaft und ihre Rekrutierung in den Blick zu nehmen. Gute Bildung ist nur mit hochqualifizierten, motivierten und pädagogisch geschulten Lehrkräften möglich. Empirisch hat sich vor allem die in Leistungstests gemessene Kompetenz der Lehrkräfte als zentraler Einflussfaktor herausgestellt. Insofern muss es zu denken geben, wenn in Deutschland vor allem Abiturienten mit unterdurchschnittlichen schulischen Leistungen Lehrer an einer Grund-, Haupt- oder Realschule werden wollen. Lediglich Gymnasiallehrer haben einen ähnlichen Abiturdurchschnitt wie andere Hochschulabsolventen. Die daraus ableitbare geringe Attraktivität des Lehrerberufs für „Spitzenkräfte“ ist vor allem angesichts des bevorstehenden „Generationswechsels“ in vielen Schulen und des damit verbundenen Rekrutierungsbedarfs von jungen Lehrkräften beunruhigend. … „
Die Studie in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.
www.stiftung-marktwirtschaft.de/wirtschaft/publikationen/argumente/detailansicht/bid/71/nr/nr-118-chancengerechtigkeit-bildung-und-soziale-marktwirts.html
Quelle: Stiftung Soziale Marktwirtschaft