Sind es wirklich Zeiten des Wandels für die Katholische Kirche? Eine Frage, die nicht nur die Kirche beschäftigen darf.

Ein Kommentar von Tom Urig: In der vergangenen Ausgabe unserer Jugendsozialarbeit News berichteten wir über die Initiative #OutInChurch, die sich mit einem großen, mutigen Outing gegen Diskriminierung und ein menschenfeindliches kirchliches Arbeitsrecht einsetzt – und wir veröffentlichten Forderungen unseres Mitgliedsverbandes BDKJ nach grundlegenden Änderungen von Strukturen und der Lehre der katholischen Kirche, um neues Leid zu verhindern. Als Teil dieser Kirche sind wir auch als BAG KJS gefordert, uns einzubringen und uns für Veränderungen zu engagieren, insbesondere dann, wenn es darum geht, junge Menschen zu schützen und ihre Benachteiligung zu beenden.

Damit stehen wir dem „Synodalen Weg“ nahe, ein Dialogforum, das im Nachgang zur MHG-Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ begonnen wurde und bei dem sich Ende der vergangenen Woche engagierte Katholik*innen mit den deutschen Bischöfen zu einer dritten Versammlung in Frankfurt trafen.

Es wurden dort doch recht eindeutige Beschlüsse zu notwendigen Reformen gefasst: Zum einen ein Orientierungstext, zunächst eine ausgesprochen theologische Schrift, die aber den Rahmen für die Reformideen setzt. Zu den bekannten Quellen der Glaubenswahrheiten -Bibel, Tradition und Lehramt – werden darin weitere hinzugefügt: die theologische Wissenschaft, die „Zeichen der Zeit“ und der „Glaubenssinn des Volkes Gottes“. Der zweite Beschluss betrifft einen Grundlagentext zum Thema Macht in der Kirche. Er stellt das bisherige Machtgefüge zwar nicht komplett infrage, benennt aber doch die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats als Maßstab für die Kirche. Unter Berufung auf Papst Franziskus wird „Synodalität als Prinzip der Kirche“ herausgestellt. Es zeigt allerdings auch den schlimmen Zustand der katholischen Kirche, wenn in diesem Beschluss eigentliche Selbstverständlichkeiten gefordert werden müssen, etwa „dass die Rechtskultur der Kirche an den Grund- und Menschenrechten ausgerichtet werden muss“.

Recht konkret wird der dritte Beschlusstext, auch wenn darin „nur“ zu einer freiwilligen Selbstbindung der jeweiligen Domkapitel bei der Bestellung von Bischöfen aufgerufen wird: Das jeweilige Domkapitel (ausschließlich Priester) soll sich um „geschlechter- und generationengerecht“ von einem Synodalen Rat ausgewählte Mitglieder ergänzen und gemeinsam die Liste geeigneter Bischofskandidaten festlegen, welche das Domkapitel dem Apostolischen Stuhl zusendet.

Diese Abstimmungen fanden mehr als eine zwei Drittel Mehrheit der Versammlung und wurden auch nicht durch die den Bischöfen eingeräumte Sperrminorität verhindert. Nicht ganz unwichtig ist es an dieser Stelle zu erwähnen, dass der Kölner Kardinal Woelki und sein Weihbischof Schwaderlapp, beide offene Kritiker des Synodalen Weges, bei dieser Versammlung fehlen mussten. Es wäre sonst im Hinblick auf die Sperrminorität wohl knapper geworden. Manche Äußerungen der Bischöfe lassen aufhorchen, etwa wenn mehrere Hirten nun offen den Zölibat in Frage stellen oder der Eichstätter Bischof Hanke empfiehlt, darüber nachzudenken, ob die Kirche nicht generell auf ihre arbeitsrechtlichen Sonderregelungen, den sogenannten Dritten Weg, verzichten solle. Eine richtige Forderung, die nicht nur Gewerkschafter*innen seit vielen Jahren erheben.

Es bleibt zu hoffen, dass die Mächtigen in dieser Kirche jetzt nicht nur die „Zeichen der Zeit“ erkennen, sondern den so dringend notwendigen Wandel auch beherzt umsetzen. Es liegt an den Bischöfen und an der römischen Kurie, mit Papst Franziskus an der Spitze, nun als redliche Hirten dafür zu sorgen, dass Kirche ein sicherer Ort für alle jungen Menschen sein kann. Die deutschen Bistumsleitungen könnten schon „ohne Rom“ in diesen Tagen die Grundordnung für den kirchlichen Dienst verbindlich aussetzen, zumindest aber in den diskriminierenden Teilen. Dazu würde es auch keinen Beschluss des Synodalen Weges brauchen. Die monarchische Macht, und damit auch die Möglichkeit, Unrecht sehr schnell zu beenden, lag und liegt bei den Bischöfen.

Offen gesagt: Ich bin nicht sehr optimistisch. Viel zu oft haben in dieser Kirche verantwortliche Männer wichtige Anliegen katholischer Räte, Verbände und Initiativen schlicht ignoriert oder über Jahre und Jahrzehnte verzögert. Schon in den achtziger Jahren wies etwa die Katholische Junge Gemeinde (KjG) in ihren Beschlüssen die Bischöfe auf dringend notwendige Reformen bei den Fragen der Sexualmoral oder der Gleichberechtigung von Frauen hin. Hätten damalige Bischöfe die Forderungen des Jugendverbandes ernst genommen – es wäre vielen Menschen unsägliches Leid erspart geblieben.

Wir alle in dieser Kirche werden darauf achten müssen, dass die wichtigen Beschlüsse des Synodalen Weges nicht als ungehörte Bittschriften enden. Wir, die in dieser Kirche bleiben, die sich ehrenamtlich oder beruflich in ihren Strukturen engagieren, wir müssen dazu beitragen, das kirchliche Machtsystem von Grund auf zu ändern, anstatt es mit seinen menschenfeindlichen und ungerechten Ausprägungen zu schützen. Als Bundesarbeitsgemeinschaft der Katholischen Jugendsozialarbeit müssen auch wir noch stärker die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt gegen junge Menschen in unseren Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe vorantreiben. Aber auch unser freiheitlicher demokratischer Staat ist gefordert: Systeme die sexualisierte Gewalt gegen Kinder- und Jugendliche ermöglichen oder gar dulden, Arbeitgebende, die systematisch ausgrenzen und diskriminieren, Strukturen, die Menschen aufgrund ihres Geschlechts schlechter stellen, all das darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben.

Der Anlass für den Synodalen Weg sind die in der MHG-Studie aufgedeckten massenhaften Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Die Missbrauchsbetroffenen haben sich nun enttäuscht über den Ausgang der dritten Vollversammlung des Synodalen Wegs geäußert. Erneut hätten die Anliegen der Opfer keine Rolle gespielt, so die Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“. Auch ein Blick auf die schleppenden und recht unterschiedlich engagierten Aufarbeitungsprozesse in den Bistümern zeigt einmal mehr, dass Politik und Gesellschaft bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche gefordert sind. Die dringenden Reformen hin zu einer Kirche, die ein sicherer Ort für Kinder und Jugendliche sein kann, wird die Katholische Kirche nicht alleine auf den Weg bringen. Notwendig ist auch die Einsetzung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission durch den Deutschen Bundestag.

Tom Urig ist Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. Ehrenamtlich ist er Mitglied im Diözesanrat des Erzbistums Berlin und einer der Sprecher*innen dessen AG zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs.

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