„Recht auf Ausbildung“ als Grundrecht verankern

Auszüge aus dem Positionspapier „Recht auf Ausbildung“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e.V.:

Worum es uns geht
Nach wie vor bleiben zu viele junge Menschen ohne eine Berufsausbildung. Trotz der für Bewerber und Bewerberinnen günstigeren Ausbildungsmarktlage hat sich dies nicht grundlegend verändert. Immer noch sind rund 1,5 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss. Diese Jugendlichen sind einer erheblichen Armutsgefährdung ausgesetzt und tragen ein sehr hohes Risiko, die Langzeitarbeitslosen von morgen zu werden. Ihnen fehlen Chancen, einen Platz in der Gemeinschaft einzunehmen, sich zu entfalten und teilzuhaben. Auch die gesellschaftlichen Folgekosten unzureichender Förderung und Integration sind immens. Und schließlich hat die Gesellschaft Bedarf an Fachkräften, um die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der Betriebe zu erhalten. Hierzu müssen alle Kräfte mobilisiert werden. …

Warum ein „Recht auf Ausbildung“ notwendig ist
Da es nicht gelingt, benachteiligte junge Menschen in ausreichendem Maß an der dualen Berufsausbildung teilhaben zu lassen, ist eine Ausbildungsgarantie für diese Jugendlichen notwendig. Dadurch wird ihnen ermöglicht, das im Grundgesetz verbriefte Recht auf die freie Wahl eines Ausbildungsplatzes einzulösen.

Um dem Anspruch einer Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen nachzukommen, schlägt die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit die Verankerung eines Grundrechts auf Ausbildung in Artikel 12 Absatz 2 neu der Verfassung vor: „Jeder hat das Recht auf eine berufliche Ausbildung“. Dieses Grundrecht soll vorrangig über betriebliche Ausbildungsplätze eingelöst werden. Hierzu sollen gesetzlich geregelte und verbindliche Finanzierungselemente für eine betriebliche Ausbildung unter Berücksichtigung des brancheninternen Lösungsprinzips geschaffen werden.

Die betriebliche Ausbildung soll bedarfsgerecht durch ausbildungsbegleitende Hilfen unterstützt werden. Für besonders benachteiligte Jugendliche sollen zudem gesetzliche Regelungen für eine „assistierte Ausbildung“ geschaffen werden, in welcher durch die Kooperation von Betrieb, Berufsschule und Einrichtungen der Jugendberufshilfe das Ausbildungsverhältnis individuell unterstützt und gefördert werden kann. Zur Ergänzung der betrieblichen Ausbildung und für diejenigen Jugendlichen, die mit einer betrieblichen Ausbildung überfordert wären, muss eine ausreichende Anzahl außerbetrieblicher Ausbildungsplätze weiterhin bereitgestellt werden.

Um wen es geht
In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte wird häufig argumentiert, Jugendliche müssten in der Schule lediglich eng begleitet und gut über Berufswahlangebote auf den Einstieg in die Ausbildung vorbereitet werden und schon wäre das Übergangssystem mit nach wie vor rund 300.000 Jugendlichen überflüssig; es gebe mehr Stellen als Bewerber/innen. Dies verwundert nicht, da die Statistiken der Agentur für Arbeit als Bewerber lediglich diejenigen Jugendlichen führen, die wahrscheinlich einen Schulabschluss erreichen werden und sich auch erfolgreich auf Ausbildungsstellen bewerben können. Alle anderen Jugendlichen, z.B. jene ohne Abschluss oder mit multiplen Problemlagen werden lediglich als Ratsuchende gezählt und erscheinen daher auch nicht als „unversorgte Bewerber“ in den Statistiken. Sie werden damit gesellschaftlich unsichtbar. Ebenfalls gesellschaftlich nicht sichtbar sind all diejenigen Jugendlichen, die sich im sogenannten Übergangssystem befinden und somit als „versorgt“ eingestuft werden.

Gänzlich aus dem Blick von Politik und Öffentlichkeit sind diejenigen Jugendlichen geraten, welchen dauerhaft nicht der Start in Ausbildung gelingt, die sich auch nicht mehr bewerben, aber auch keine Transferleistungen beziehen. Es sind junge Menschen, die nach der Ausbildung nicht übernommen wurden und keinen Anschlussbetrieb finden; es sind junge Erwachsene, die zuhause leben und von ihren Eltern unterhalten werden.
Manchmal sind es auch junge Menschen, die selbst nicht um Hilfe nachfragen können, weil sie erkrankt sind. All diesen jungen Menschen eröffnen Einrichtungen der Jugendberufshilfe Wege in die berufliche Eingliederung.

Welche Angebote nachhaltig wirken
Einen großen Anteil der Angebote am Übergang von der Schule in den Beruf stellen die Instrumente aus dem Sozialgesetzbuch II und III, die eine möglichst schnelle Integration in Ausbildung oder Arbeit zum Ziel haben. Diese einseitige Fokussierung überfordert viele benachteiligte Jugendliche und führt zu vermehrten Abbrüchen. Für diese Jugendlichen müssen (wieder) jugendhilfeorientierte Angebote entwickelt werden, die an ihren individuellen Förderbedarfen ausgerichtet sind und auf ihren Erfahrungen und Kompetenzen aufbauen.

Die BAG KJS setzt sich dafür ein, dass Jugendliche mit Förderbedarf einen Rechtsanspruch auf ein verlässliches und jugendhilfeorientiertes Förderangebot erhalten. Die Angebote müssen Jugendlichen Gestaltungsräume eröffnen, eine längerfristige Lebens- und Berufsperspektive ermöglichen und gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen. Nicht die Jugendlichen müssen den Angeboten folgen, sondern die Angebote den Bedarfen der Jugendlichen. Ein gestuftes Vorgehen mit flexiblen Förderbausteinen und auf den Einzelfall abgestimmten Förderketten ermöglicht eine bedarfsgerechte Unterstützung. Dabei müssen die Instrumente aus dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende), SGB III (Arbeitsförderung) und SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) kombinierbar sein. Immer muss den Jugendlichen eine sich anschließende weiterführende berufliche Perspektive eröffnet werden. … Bei Abbrüchen und Rückschritten brauchen Jugendliche eine 2. oder auch 3. Chance.

Unterstützende Personen, die benachteiligte Jugendliche begleiten, fördern und auffangen, wirken nachweislich stabilisierend. Dies stellt auch der 4. Armuts- und Reichtumsbericht fest. Die BAG KJS fordert daher ein kontinuierliches personales Angebot für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf. Auch und gerade dann, wenn Eltern in ihrer Funktion ausfallen, müssen Jugendlichen bei Bedarf Bezugspersonen zur Verfügung stehen, die sie auch über einen längeren Zeitraum verlässlich begleiten, unterstützen und motivieren. Dies ist insbesondere in Übergangssituationen (z.B. nach Beendigung der Schule, Ausbildungsabbruch) und bei biografischen Weichenstellungen (wie Umzug oder Familiengründung) von großer Bedeutung.

Wie ein Übergangssystem zu gestalten ist
Das Übergangssystem Schule – Beruf ist heute breit gefächert, aber auch unübersichtlich. … Ein neues Übergangssystem muss sich nach Meinung der BAG KJS auf die besonders förderungsbedürftigen jungen Menschen im Übergang von der Schule zum Beruf konzentrieren, die unterstützende Angebote tatsächlich benötigen. Die Hilfen und Fördermaßnahmen müssen langfristig angelegt sein und damit Kontinuität und Zuverlässigkeit für die Jugendlichen bieten. Kurzfristige und immer wieder neu aufgelegte Modellmaßnahmen verschiedener Stellen sind hier nicht zielführend.

Die Übergangshilfen müssen zwischen den verschiedenen zuständigen Rechtskreisen SGB II, SGB III und SGB VIII abgestimmt sein und damit eine kohärente Förderung bieten. Die Jugendhilfe sollte hier, weil sie einen besonders weit formulierten Auftrag zur Erziehung, Förderung und zur beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung junger Menschen hat (§§ 1, 13 SGB VIII), eine federführende Rolle übernehmen.

Wie Kompetenzen festgestellt werden sollten
Kompetenzfeststellung hilft, den Förderbedarf bei Jugendlichen zu erheben, um daran anknüpfend junge Menschen unterstützen zu können. … Die Verfahren müssen Jugendliche in ihren Fähigkeiten positiv verstärken, zur Selbstreflexion anregen und bedarfsgerecht für die Entwicklungsbegleitung nutzbar gemacht werden. Dabei sind Kompetenzfeststellungsverfahren so auszurichten, dass erzielte Ergebnisse in der Ausgestaltung von Fördermaßnahmen berücksichtigt und Grundlage für eine individuelle Förderung werden. Sie müssen zudem Anforderungen gerecht werden, die sich aus der Einbindung in das Übergangsmanagement und die erforderliche Abstimmung mit den anderen lokalen Akteuren ergeben.

Zwischen ihnen sollte es klar formulierte und verbindliche Absprachen zum Zusammenspiel der eingesetzten Verfahren zur Kompetenzfeststellung geben. Unter Einhaltung des Datenschutzes müssen die Ergebnisse an die jeweils zuständige Stelle weitergegeben werden können. Es muss unbedingt vermieden werden, dass ein und derselbe Jugendliche ein Verfahren nach dem anderen absolviert, ohne dass dies Auswirkungen auf seinen Förderungsprozess hat.

Welche Rolle Betriebe in der Ausbildung benachteiligter Jugendlicher spielen
Die duale Ausbildung ist ein Markenzeichen der Bundesrepublik Deutschland für eine professionelle und qualifizierte Berufsausbildung. … Tatsächlich bilden aber immer weniger Betriebe aus: Waren es 2009 noch 23,5 Prozent, so sank diese Zahl inzwischen auf 21,75 Prozent (Berufsbildungsbericht 2013).

Waren im letzten Ausbildungsjahr 11.550 Jugendliche als unversorgt gemeldet, so ist die Zahl der „tatsächlich Unversorgten“ (Jugendliche mit dem Vermerk „Unbekannter Verbleib“, die sich nicht mehr bei der Bundesagentur für Arbeit melden, werden herausgerechnet.) mit knapp 90.000 wesentlich höher. Eine Bewerberbefragung des Bundesinstitutes für Berufsbildung (BIBB) im Jahr 2010 ergab, dass 27.000 von ihnen arbeitslos sind.

Aktuelle wirtschaftliche Rahmenparameter beeinflussen das Ausbildungsverhalten von Betrieben deutlich stärker als soziale oder gesellschaftliche Gesichtspunkte. … Diese neuen und sich weiter verändernden Rahmenbedingungen stellen Betriebe und vor allem die Ausbilder in Betrieben heute vor neue Herausforderungen, die sie nicht ohne weiteres bewältigen können. Zukünftig wird neben der handwerklich-fachlichen Kompetenz des Ausbilders auch die pädagogische Kompetenz an Bedeutung gewinnen. Professionelle Beratung und Unterstützung in der Auswahl, Vorbereitung und Begleitung der Auszubildenden wird zunehmend wichtig werden. Ebenso werden ausbildungsbegleitende Hilfen an Bedeutung gewinnen und sollten weiter ausgebaut werden. Hier stehen Träger der Jugendberufshilfe mit ihren zum Teil langjährigen Erfahrungen zur Unterstützung bereit.“

Stellungnahmen und Positionspapiere Pressemitteilung Recht auf Ausbildung

Quelle: BAG KJS

Dokumente: 2013_05_15_Positionspapier_BAG_KJS_Recht_auf_Ausbildung_als_Grundrecht_verankern.pdf

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