Der Bundestag hat die fachpolitische Auseinandersetzung zum Aussetzen des Familiennachzugs in den Innenausschuss verlegt. In der Ersten Lesung zum Gesetz Anfang Juni machten die Fraktionen im Parlament ihre Haltung deutlich. Der Grundlagenreferent der BAG KJS, Michael Scholl, kommentiert die Debatte.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit lehnt das Aussetzen des Familiennachzugs ab. Die geplante Änderung des Aufenthaltsgesetzes richtet sich gegen wesentliche emotionale Bedarfe junger Menschen, missachtet Kinderrechte und Familienrechte, ist unmenschlich und unchristlich. Unsere Position „Familiennachzug ausweiten statt aussetzen“ nennt unsere Argumente.
Innenminister will Pullfaktoren reduzieren
Im Bundestag legten Abgeordnete aus den Fraktionen in der Auftaktlesung zum Gesetz ihre Argumente dar. Den Auftakt machte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt. Den größten Teil seiner Rede widmete er seinen Plänen zur Migration im Allgemeinen. Nur kurz kam er zur Sache des Familiennachzugs. Mit dem Aussetzen werde die Integrationsfähigkeit bei Schulen, Kitas, Wohnungsmarkt, Sozialstaat und Gesundheitswesen erhalten. Außerdem gelte es, Pullfaktoren abzubauen: „Einer muss es nach Deutschland schaffen, dann kann die Familie nachkommen“. So sei die Logik der Schleuserbanden. Die übrigen Redner der Union – tatsächlich nur Männer – stimmten in den Kanon des Innenministers ein, erklärten Syrien nach Assad zum sicheren Herkunftsland und lobten, dass mit der Gesetzesänderung endlich wieder „Begrenzung“ als Ziel im Aufenthaltsgesetz stehen wird.
Das Winden der Sozialdemokraten
Irritierend ist das Winden der Sozialdemokraten. Rasha Nasr, ehemalige Integrationsbeauftragte, und Hakan Demir lehnten für die SPD-Fraktion in der Sache das Aussetzen ab. Der Familiennachzug sei wesentlicher Baustein für gelingende Integration (Nasr), das Aussetzen eine migrations- und integrationspolitische Katastrophe mit Ansage (Demir). Aber: Die SPD müsse dem Kompromiss – Befristung auf zwei Jahre – zustimmen, damit die Regierung nicht zerbreche und deswegen am Ende die Rechtsextremen die Macht übernähmen. Kleiner ging es offensichtlich nicht. Apropos Rechtsextreme: Denen geht das Aussetzen, Ausweisen und Abschieben nie weit genug, das machten sie mit falschen Zahlen und derben Worten deutlich.
Aus legal wird illegal
Die Opposition aus Bündnis 90/Die Grünen und Linken möchte den Familiennachzug beibehalten und ausweiten. Schahina Gambir betonte für die Grünen, dass Familiennachzug kein Gnadenakt des Staates sei, sondern Voraussetzung für Integration und Teilhabe. Aus ihrer Sicht bedeute das Gesetz Spaltung statt Schutz, Isolation statt Integration. Über die Frage, ob das Aussetzen auch auf laufende Verfahren Einfluss habe und ob die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes im Wege stehe, dürfte erst in der Beratung des Innenausschusses zum Thema werden. Auch das Argument von Clara Bünger (Linke), das Aussetzen versperre legale Wege für Kinder, Jugendliche, Eltern und damit Familien, um wieder vereint in Sicherheit zu leben, dürfte durch die Debatte im Ausschuss vertieft werden.
Symbol- statt Sachpolitik
Es bleibt beim Lesen des Plenarprotokolls vom 6.06.2025 oder beim Anschauen der Reden der Eindruck, dass viel Symbolpolitik und wenig Sachpolitik die Debatte zum Familiennachzug bestimmen. Im Innenausschuss wird bis zur 2. und 3. Lesung am 27. Juni weiter diskutiert, zur Vernunft scheinen CDU/CSU und SPD aber nicht kommen zu wollen. Damit wird ein Teil der regulären und legalen Migration künftig zu irregulärer oder illegaler Migration. Was auch immer irregulär oder illegal heißen mag. Eine schlüssige Definition konnte laut Tagesschau bisher niemand liefern.