Online-Debatte: „Ist der ESF+ in Gefahr?“

Ist der ESF+ in Gefahr? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Online-Debatte der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) am 04. April 2025. Lisa Schüler von der Kontaktstelle Politik Europa des Deutschen Caritasverbandes (DCV) gab einen fundierten Überblick von zur geplanten EU-Haushaltsstruktur und zum ESF+. MdEP Jens Geier, Haushälter der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) im Europaparlament, beschrieb die politischen Handlungsspielräume auf europäischer Ebene. Es besteht Handlungsbedarf, um die Zukunft des wichtigsten EU-Förderprogramms für die Jugendsozialarbeit – des Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) – zu sichern.

Hintergrund der Debatte sind die aktuellen Planungen der EU-Kommission zum neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) ab 2028. Sie sehen tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Förderpolitik vor. Im Fokus der Debatte stand die Frage, welche Mittel künftig für die Jugendsozialarbeit und insbesondere die Jugendberufshilfe auf Landes- und regionaler Ebene zur Verfügung stehen werden – und welche politischen Einflussmöglichkeiten es gibt. Rund 70 Teilnehmende aus der Jugendsozialarbeit und der Caritas nutzten die Gelegenheit zum Austausch.

Alexander Hauser, Referent für Jugendsozialarbeit und Europa bei der BAG KJS, eröffnete die Veranstaltung mit einer pointierten Einführung in die aktuelle Debatte rund um den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU. Angesichts der Pläne der EU-Kommission warf er zentrale Fragen auf, die viele Träger sozialer Arbeit derzeit beschäftigen: Wie werden sich die Förderstrukturen und die Mittelverteilung entwickeln? Droht durch eine stärkere Zentralisierung der Programme das Aus für den regionalen oder Länder-ESF+? Wird der ESF+ überhaupt weiterhin eine bedeutende Rolle in Deutschland spielen? Und vor allem: Welche Möglichkeiten haben Träger, sich in die laufenden Verhandlungen einzubringen und politischen Einfluss zu nehmen? Diese Fragen bildeten den Ausgangspunkt für die fachlichen Beiträge.

Lisa Schüler präsentierte auf Basis eines Überblicks zum MFR und zur Förderstruktur zentrale Forderungen der Caritas an die zukünftige Ausgestaltung des EU-Haushalts ab 2028. Dabei betonte sie die Notwendigkeit einer ausreichenden Mittelausstattung und eines lückenlosen Übergangs zwischen den Förderperioden, um Kontinuität für soziale Projekte zu gewährleisten. Weitere Schwerpunkte waren die Förderung in allen Regionen Europas, die Stärkung des Partnerschafts- und Subsidiaritätsprinzips sowie eine signifikante Vereinfachung der bürokratischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Besonders hervorgehoben wurden höhere Kofinanzierungssätze – etwa 90 % bei benachteiligten Zielgruppen – und spezifische Forderungen für die Fortentwicklung des ESF+, wie thematische Konzentration auf soziale Teilhabe, arbeitsmarktbezogene Kompetenzen und Cluster-Programme, die stärker auf lokale Bedarfe eingehen.

MdEP Jens Geier sprach anschließend über die Perspektiven der europäischen Förderpolitik ab 2028. Als ausgewiesener Kenner der EU-Haushaltspolitik und zugleich engagierter Unterstützer lokaler Jugendhilfe betonte der Europaparlamentarier zunächst, dass der kommende mehrjährige Finanzrahmen (MFR) unter erheblichen Sparzwängen stehen werde. Die Rückzahlung pandemiebedingter Sonderkredite sowie zusätzliche Ausgaben durch aktuelle Krisen, etwa den Krieg in der Ukraine, würden den finanziellen Spielraum der EU deutlich einschränken. Dennoch zeigte er sich zuversichtlich, dass auch künftig alle Regionen – einschließlich der wirtschaftlich stärkeren wie Deutschland – Mittel aus EU-Fonds erhalten werden.

Sein zentrales Anliegen ist der dringende Abbau von Bürokratie auf allen Ebenen: nicht nur in Brüssel, sondern auch auf nationaler Ebene, wo zusätzliche Hürden durch sogenannte „Gold-Plating“-Praktiken entstehen – also das Übererfüllen europäischer Vorgaben zur Durchsetzung nationaler Interessen. Hier sei ein Umdenken erforderlich, um Fördermittel effizienter zugänglich zu machen.

Jens Geier hob zudem die Rolle des Europäischen Parlaments hervor, das bereits einen Beschluss zur Neuausrichtung des MFR vorgelegt habe – mit Forderungen, die sich in großen Teilen mit jenen der Zivilgesellschaft und ihrer Verbände deckten. Dennoch seien es letztlich die Mitgliedsstaaten und der EU-Rat, die über die Ausgestaltung entschieden. Deshalb sei es essenziell, auf nationaler Ebene politischen Druck aufzubauen – etwa auf allen entscheidenden ministeriellen Ebenen: und somit nicht nur beim Bundesarbeits- oder Familienministerium, sondern insbesondere auch beim Finanzministerium.

In Bezug auf den ESF+ unterstrich Jens Geier dessen besondere Stellung als einziges vertraglich verankertes EU-Förderinstrument – der ESF+ könne also nicht einfach abgeschafft werden. Gleichwohl müsse seine Bedeutung stärker sichtbar gemacht werden. Viele Menschen in Europa wüssten nicht, wie stark ihre Region von EU-Fördergeldern profitiere. Hier seien insbesondere die Träger und Organisationen vor Ort gefragt, die Wirkung des ESF+ deutlicher zu kommunizieren.

Abschließend rief der Abgeordnete die Teilnehmenden dazu auf, sich aktiv in die politische Debatte einzubringen – auch im Rahmen der laufenden öffentlichen Konsultationen zum nächsten EU-Haushalt. Das EU-Parlament sei ein Verbündeter, doch der Einfluss müsse auf nationaler Ebene geltend gemacht werden. Eine koordinierte Lobbyarbeit durch Organisationen, Träger und Verbände sei dafür unerlässlich.

In der anschließenden Diskussion wurde diese Forderung nochmals bestärkt: Es braucht (neue) europapolitische Strategien, um als Jugendsozialarbeit auf EU-Ebene künftig gehört zu werden.

 

Text: Alexander Hauser

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