Die Berufsorientierung (BO) an berufsbildenden Schulen mag auf den ersten Blick paradox erscheinen – schließlich besuchen junge Menschen diese Schulform, wenn sie bereits eine berufliche Perspektive haben. Doch die Praxis zeigt: Eine gezielte und praxisnahe BO an berufsbildenden Schulen ist nicht nur sinnvoll, sondern oft dringend notwendig. Eine aktuelle Handreichung, die im Rahmen eines vom niedersächsischen Kultusministerium initiierten Projekts entstanden ist, bietet Fachkräften wertvolle Unterstützung und praxisnahe Methoden zur Umsetzung.
Die Handreichung: Ein praxisnahes Werkzeug für die Berufsorientierung
Die von der Universität Osnabrück und dem Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) erarbeitete Handreichung basiert auf dem Projekt „Zusätzliche Berufliche Orientierung an niedersächsischen öffentlichen berufsbildenden Schulen“, welches vom BNW und der Universität Osnabrück im Projektverbund durchgeführt und evaluiert wurde. Ziel war die Entwicklung und Erprobung entsprechender berufsbereichs- und schulformspezifischer Formate. Acht Fokusschulen testeten diese Konzepte, die in der nun vorliegenden Handreichung aufbereitet sind.
Die Handreichung bietet nicht nur Lehrkräften an berufsbildenden Schulen, sondern auch Fachkräften der Jugendsozialarbeit wertvolle Impulse für ihre Arbeit. Sie beinhaltet konkrete Gestaltungshinweise sowie Praxismaterialien für Fach- und Lehrkräfte. Enthalten sind auch Fragebögen zu Stärken und Interessen der Schüler*innen, Portfoliobögen, „Berufekarten“, Teilnahmebescheinigungen etc.
Warum ist Berufsorientierung an berufsbildenden Schulen notwendig?
Die Annahme, dass Schüler*innen an berufsbildenden Schulen bereits eine klare berufliche Perspektive haben, erweist sich oft als Trugschluss. Viele junge Menschen entscheiden sich für eine Berufsschule, weil ihnen der direkte Weg in eine Ausbildung nicht gelungen ist oder sie noch unsicher über ihre berufliche Zukunft sind.[1] Hier setzt eine gezielte BO konkret an, indem sie über den regulären Unterricht hinausgeht und den jungen Menschen praxisnahe Einblicke und Entscheidungshilfen bietet.
Aktuelle Forschungsergebnisse des Projekts zeigen, dass der Anteil der Schüler*innen, die sich für eine Ausbildung entscheiden, durch zusätzliche BO-Maßnahmen signifikant gesteigert werden kann. Wie im Rahmen einer Projektpräsentation bei den Hochschultagen Berufliche Bildung 2025 vorgestellt, stieg der Anteil der jungen Menschen mit einem festen Ausbildungsplan von 30 % auf 53 %. Dies unterstreicht die Bedeutung gezielter BO-Angebote, die über den reinen Schulunterricht hinausgehen.
Was kommt nach der Berufsorientierung?
Ein zentraler Punkt bleibt jedoch vor diesem Hintergrund kritisch zu hinterfragen: Was passiert nach der Berufsorientierung? Reicht die schulische Unterstützung aus, damit der junge Mensch eine Ausbildung beginnen kann? Oftmals haben Schüler*innen große Sorgen, nach Schulabschluss keinen Ausbildungsplatz zu finden.[2] Hier zeigt sich ein strukturelles Problem: Während es zahlreiche BO-Angebote gibt, fehlt es häufig an nachhaltiger Begleitung in die Ausbildung.
Ein Beispiel für eine solche kontinuierliche Unterstützung wäre die Berufseinstiegsbegleitung (BerEb). Diese ermöglicht eine individuelle Begleitung von jungen Menschen bis und teilweise auch während des Übergangs in eine Ausbildung. Für NRW wird das Programm perspektivisch nicht mehr aus Landesmitteln gefördert und läuft aus. Ein weiteres Beispiel der Unterstützung während der Ausbildung wäre die Assistierte Ausbildung (AsA). Diese bietet Auszubildenden und Betrieben begleitende Unterstützung, um Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Je nach Bedarf können sowohl sozialpädagogische Hilfen als auch Nachhilfe oder Unterstützung bei organisatorischen Herausforderungen in Anspruch genommen werden.
Darüber hinaus kann die Jugendsozialarbeit als unterstützende Profession dabei helfen, langfristige Perspektiven für junge Menschen zu sichern – denn deren Zukunft darf nicht an Grenzen verschiedener Programme scheitern.
Autorin: Sarah Mans (Fachreferentin Jugendberufshilfe der LAG KJS NRW im Netzwerk der BAG KJS)
[1] vgl. Ausbildungsperspektiven im dritten Corona-Jahr, S. 27, S. 33
[2] vgl. Ausbildungsperspektiven im dritten Corona-Jahr, S. 26