Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund doppelt benachteiligt?

Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Diese Kinder und Jugendlichen haben durchschnittlich schlechtere Bildungschancen als Gleichaltrige: Sie besuchen seltener eine Kita, wechseln von der Grundschule seltener zum Gymnasium und zeigen über die gesamte Schullaufbahn schlechtere Leistungen im Lesen, in Mathematik und den Naturwissenschaften. Der SVR-Forschungsbereich hat die Ergebnisse von 53 Studien systematisch ausgewertet und kommt zu folgendem Schluss: Die geringeren Bildungschancen dieser Kinder und Jugendlichen lassen sich zu einem großen Teil durch die soziale Herkunft erklären, also den Bildungsabschluss der Eltern oder ihren gesellschaftlichen Status. Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien sind also über ihre gesamte Bildungskarriere hinweg doppelt benachteiligt: durch ihren Migrationshintergrund, aber vor allem durch ihre soziale Herkunft. Diese Benachteiligung hat Auswirkungen auf die spätere gesellschaftliche Teilhabe z. B. auf dem Arbeitsmarkt. (…)

Die Bildungspolitik muss (…) versuchen, die Bildungschancen dieser Kinder und Jugendlichen zu verbessern. An folgenden Stellen im Lebenslauf kann Politik sinnvoll ansetzen. Auszüge aus den Handlungsansätzen:(…)
An den Übergängen beraten
An Bildungsübergängen, wie beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe, wird über die weitere Bildungskarriere des Kindes entschieden. Hier kann sich Bildungsbenachteiligung verstärken. Eltern benötigen ausreichende Information und Begleitung, um eine angemessene Entscheidung treffen zu können. Dabei sollten insbesondere Eltern unterstützt werden, die sich mit dem deutschen Bildungssystem nicht gut auskennen oder die sich und ihren Kindern bestimmte Bildungswege nicht zutrauen.

Am Lernort Schule ansetzen
Die Leistungsschere zwischen Schülern unterschiedlicher sozialer Herkunft öffnet sich im Laufe der Schulkarriere immer weiter. Deshalb müssen Schüler mit unterschiedlichen Lernausgangsbedingungen entsprechend ihren Bedürfnissen gezielt gefördert werden. Unter anderem sollte binnendifferenzierter Unterricht ausgebaut werden. Sinnvoll ist weiterhin, entsprechende Förderangebote über die gesamte Bildungskette durchgehend anzubieten und aufeinander abzustimmen, z. B. Sprachunterricht. Dazu sollten bei den Lehrern, den Bildungsinstitutionen und Schulverwaltungen bestimmte Voraussetzungen sichergestellt werden: ## Lehrkräfte und pädagogisches Fachpersonal sollten in Aus- und Fortbildung auf eine ethnisch und sozial diverse Schülerschaft vorbereitet werden.
##Schulen sollten geeignete strukturelle Maßnahmen zur Förderung aller Schüler ergreifen. Zu diesen gehört, dass sie ihre Alleinstellungsmerkmale stärken, die Unterrichtsqualität verbessern und eine Willkommenskultur entwickeln. Zudem sollten sie enger mit außer-schulischen Akteuren – vor allem der Jugendhilfe – zusammenarbeiten, um Schlüsselkompetenzen der Schüler ganzheitlich zu fördern.
##Es sollte weiter darüber diskutiert werden, wie das Schulsystem strukturell so gestaltet werden kann, dass Effekte frühzeitiger Selektionen und ungünstiger Bildungsentscheidungen reduziert werden. (…)
An Stärken ansetzen
Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund haben gegenüber ihren Mitschülern ohne Migrationshintergrund in mancher Hinsicht sogar Vorteile. Beispielsweise haben ihre Eltern höhere Bildungsaspirationen, die sich bei Übergangsentscheidungen positiv auswirken. Außerdem fällt es mehrsprachigen Schülern leichter, eine Fremdsprache zu erlernen (…) Solche familiären Ressourcen sollten identifiziert und bei der Entwicklung von Maßnahmen genutzt werden. (…)

Für die zukünftige Forschung
Die Umsetzung dieser und weiterer Handlungsansätze sollte kontinuierlich evaluiert werden, um zu überprüfen, welche Strategien wirksam sind. (…) Bisher wurde kaum untersucht, wie sich die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund über einen längeren Zeitraum verändern (…) Ein besseres Verständnis, wie Bildungsungleichheiten entstehen, ist nötig, um daraus Handlungsmöglichkeiten ableiten zu können. Wünschenswert sind darum mehr Analysen anhand von Längsschnittstudien wie dem Nationalen Bildungspanel. Sie sollten über einen längeren Zeitraum nachzeichnen, wie sich Kompetenzen im Zusammenspiel von Individuum, Familie, Bildungsinstitutionen und weiteren Kontexten entwickeln.“

Die Expertise in vollem Textumfang entnehmen Sie dem Anhang.

Link: www.svr-migration.de/Forschungsbereich

Quelle: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration

Dokumente: Expertise-Doppelt-benachteiligt.pdf

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