Mental Health – Ein unverzichtbarer Baustein im Schulalltag

Landkreis Nordhausen/Thüringen – Montagmorgen an einer staatlichen Regelschule. In einem hellen Klassenzimmer sitzen rund 15 Schüler*innen im Stuhlkreis. Die Stimmung ist ruhig, fast konzentriert. In der Mitte liegen Gefühlskarten, farbige Stifte und Stressbälle. „Heute geht’s um Stress – wo er herkommt und was wir dagegen tun können“, sagt die Mental Health Coachin freundlich. Einige Schüler*innen nicken, andere blicken neugierig hoch. Nach und nach öffnen sich Gespräche über Leistungsdruck, Streit zu Hause und das Gefühl, sich manchmal allein und überfordert zu fühlen. Es ist ein Raum, in dem Sorgen ausgesprochen werden dürfen – ohne Bewertung, ohne Noten.

„Schüler*innen verbringen einen Großteil ihrer Zeit im festen Klassenverband. Übungen zum Stressmanagement, Atemtechniken und das Erleben von Wertschätzung helfen ihnen, sich sicherer und selbstbewusster zu fühlen“, erklärt die Mental Health Coachin. „Der Workshop sensibilisiert für das Thema psychische Gesundheit, indem er an den aktuellen Lebensrealitäten der Jugendlichen ansetzt. Im gemeinsamen Austausch erfahren sie, dass sie mit ihren Gedanken und Herausforderungen nicht allein sind.“

Was hier wie eine besondere Unterrichtsstunde wirkt, ist Teil eines bundesweiten Modellvorhabens. Seit dem Schuljahr 2023/2024 werden Schulen durch Mental Health Coaches (MHC) unterstützt, die präventiv zur Förderung der mentalen Gesundheit von Schüler*innen beitragen. Die Reaktionen der teilnehmenden Jugendlichen machen deutlich, wie wertvoll diese Angebote sind. „Das ist Selbstverteidigung gegen das eigene Stresssystem. Ich hab gelernt, dass man gar nicht so viel Angst haben muss, wenn man an sich glaubt und auf sein Bauchgefühl hört. Erst dachte ich, ich schaff das nicht. Und dann habe ich mich doch getraut, und es war so gut,“ geben die Schüler*innen als Rückmeldung. „Ich lerne, dass es mir auch im Innern gut geht. Einfach hören, dass man nicht allein ist mit solchen Problemen.“

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz von Mental Health Coaches an Schulen zeigen eindrucksvoll: Das Programm wirkt! Es schließt eine zentrale Versorgungslücke im schulischen Alltag, erreicht junge Menschen niedrigschwellig und trägt maßgeblich zur Enttabuisierung psychischer Gesundheit bei. Die Anbindung an die Strukturen der Jugendmigrationsdienste sowie an die entsprechende Bundesebene gewährleisten eine nachhaltige und wirksame Umsetzung. Das Schulbarometer 2024 zeigt deutlich die Notwendigkeit, Schulen als Orte des Lernens und des Wohlbefindens zu stärken. Schulen sollten daher stärker als bisher Ort der Prävention gegen psychische Erkrankungen und für eine nachhaltige Gesundheitsvorsorge sein.

Im Rahmen ihrer präventiven Arbeit haben die Fachkräfte im MHC-Programm wertvolle Erkenntnisse darüber gewonnen, wie mentale Gesundheitsförderung im schulischen Kontext wirksam umgesetzt werden kann. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen stellen eine bedeutende Grundlage für die Weiterentwicklung langfristiger und nachhaltiger Präventionsstrategien dar. Damit junge Menschen auch in Zeiten multipler Krisen gesund aufwachsen können, braucht es jedoch verlässliche Strukturen, Kontinuität und ein Angebot, auf das junge Menschen dauerhaft vertrauen können.

Zentrale Erkenntnisse aus der Praxis der Mental Health Coaches

Die hohe Akzeptanz und die nachweisbare Wirksamkeit niedrigschwelliger Angebote bestätigen den präventiven Ansatz des Programms. Durch die direkte Anbindung an schulische Strukturen wird der Zugang für alle Schüler*innen erleichtert. Die Angebote richten sich bewusst nicht nur an einzelne Risikogruppen, sondern adressieren ganze Klassen.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die Etablierung vertrauensvoller Beziehungen. Mental Health Coaches werden von vielen jungen Menschen als verlässliche Ansprechpersonen wahrgenommen. Gerade im schulischen Kontext, der für Kinder und Jugendliche eine prägende Lebensspanne darstellt, kommt dieser Beziehungsarbeit eine besondere Bedeutung zu. Die Offenheit, mit der Schüler*innen ihre Anliegen gegenüber den Coaches einbringen, belegt die hohe Relevanz dieser Rolle im schulischen Alltag. Eine gelingende Umsetzung ist dabei auf kooperative und ressourcenstarke schulische Rahmenbedingungen angewiesen.

Die multiprofessionelle Zusammenarbeit innerhalb der Schule hat sich als besonders tragfähig erwiesen. Die enge Abstimmung zwischen Mental Health Coaches, Lehrkräften und Schulsozialarbeit trägt zur passgenauen Gestaltung der Angebote bei. Die zunächst geäußerte Sorge, es könne zu konkurrierenden Zuständigkeiten kommen, hat sich in der Praxis nicht bestätigt. „Wir haben kaum Kapazitäten für Präventionsarbeit. Wir machen hauptsächlich Krisenintervention. Da sind Mental Health Coaches eine wichtige Ergänzung. Ohne Prävention kommen wir langfristig nicht weiter“, berichtet die JAS- Fachkraft (Schulsozialarbeit) einer Kooperationsschule in Landshut.

Psychologische Unterstützung wird im schulischen Alltag sichtbarer. Die stärkere Vernetzung mit externen Fachstellen sowie mit Akteur*innen der Jugendhilfe trägt zur Entwicklung ganzheitlicher Unterstützungsstrukturen bei. Um möglichst viele junge Menschen zu erreichen, sollte Jugendsozialarbeit verstärkt lebensweltorientiert agieren und auch aufsuchende Ansätze verfolgen.

Die Fachkräfte haben ihre Expertise im Bereich der mentalen Gesundheit kontinuierlich erweitert. Sie verfügen inzwischen über fundierte Kenntnisse zu Belastungsfaktoren im Jugendalter und über wirksame Methoden zur Bedarfserhebung sowie zur Durchführung zielgerichteter Angebote. Der kontinuierliche fachliche Austausch trägt zur Qualitätssicherung und Professionalisierung bei.

Das Modellvorhaben ermöglicht eine flexible, bedarfsorientierte Umsetzung innovativer Ansätze. Die Mental Health Coaches bringen eine breite Methodenvielfalt in die schulische Praxis ein, die sie an die individuellen Bedarfe der jeweiligen Zielgruppen anpassen. Diese Offenheit für neue Wege ist ein entscheidender Mehrwert des Programms und stärkt seine Wirkung in der Fläche.

Die Angebote der Mental Health Coaches stoßen bei Schüler*innen, Lehrkräften und Schulleitungen auf große Zustimmung – ein deutliches Zeichen für den Bedarf und die hohe Qualität der Arbeit. Die Bedeutung der mentalen Gesundheit junger Menschen wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Die Erkenntnisse aus der Cornelsen-Schulleitungsstudie 2025 zeigen, dass das Thema Gesundheit seit dem Jahr 2023 erheblich an Relevanz gewonnen hat. In der aktuellen Befragung der Studie verdoppelte sich der Anteil der Schulleitungen, die Gesundheit als zentrale Herausforderung betrachten, auf 48 Prozent. Zudem fordern viele Schulleitungen verstärkten Support, um angemessen auf die Bedürfnisse der heterogenen Schülerschaft reagieren zu können. Nahezu alle befragten Schulleitungen wünschen sich mehr multiprofessionelle Unterstützung, um den psychischen Problemen der Schüler*innen besser begegnen zu können.

Es ist unerlässlich, dass das Thema „Mental Health“ nicht nur als kurzfristige Reaktion auf aktuelle Herausforderungen betrachtet wird, sondern als langfristige gesellschaftliche Aufgabe. Nur durch eine fortlaufende und gezielte Förderung kann sichergestellt werden, dass kommende Generationen gesund aufwachsen und psychisch resilienter werden. Damit die wertvolle Arbeit der Mental Health Coaches verlässlich fortgesetzt werden kann, braucht es rechtzeitig eine langfristige Perspektive für das Programm. Nur so können Verträge verlängert, Stellen entfristet und die Kooperation mit den Schulen gesichert werden. Angesichts der wachsenden psychosozialen Herausforderungen ist der Fortbestand des Programms notwendig. Der Ausbau und die dauerhafte strukturelle Verankerung der Mental Health Coaches an Schulen müssen deshalb politisch und finanziell sichergestellt werden.

 

Autorin: Özlem Tokyay

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