Zweifelsohne ist eine gemeinsame Sprache zentral für das Miteinander und die Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schüler*innen. Sie ist zudem Grundlage für die Vermittlung von Lehrinhalten. Damit diese Voraussetzung gewährleistet ist, braucht es ein hinreichendes Maß an Deutschkenntnissen. Doch die Realität ist laut IQB-Bildungstrend 2021 eine andere: Zunehmend mehr Kinder kommen im Rahmen ihres Kitabesuchs erstmals mit der deutschen Sprache in Kontakt. Bei mehr als einem Drittel der Drittklässler*innen werde im privaten Umfeld kaum oder nie Deutsch gesprochen. Der Bedarf in Sprachbildung und -förderung zu investieren, liegt somit auf der Hand.
Maßnahmen gegen Sprachdefizite
Bundesministerin Karin Prien spricht sich für verpflichtende Sprachstandserhebungen („Sprachtests“) in Kindertagungsstätten (Kitas) aus, um auf diesen Bedarf zu reagieren. Dieser Vorschlag deckt sich mit dem im Koalitionsvertrag der Bundesregierung formulierten Vorhaben, dass alle Vierjährigen verpflichtend einen Sprachtest absolvieren sollen, um mögliche Sprachdefizite im Deutschen frühzeitig erkennen zu können. Was auf den ersten Blick mehr Chancengleichheit versprechen mag, führe laut Sozialwissenschaftlerin Seyran Bostanci (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung – DeZIM) oftmals zu Ausgrenzung. Sie plädiert für die Stärkung einer alltagsintegrierten Sprachbildung sowie einem gerechten, diskriminierungssensiblen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung, um faire und gleiche Startvoraussetzungen für alle Kinder – unabhängig von deren sozialer Herkunft – zu schaffen.
Bostanci weist darauf hin, dass Sprachstandstests und verpflichtende Förderkurse eine stigmatisierende Wirkung haben und institutionelle Diskriminierung begünstigen können. Als Folge dieser Selektion könnten bestehende Ungleichheiten eher verstärkt werden. Zudem sei die Effektivität von separierenden Sondermaßnahmen wie beispielsweise Vorschulklassen nicht nachweislich belegt.
Mit ihrer Kritik an der geplanten Einführung eines flächendeckenden Sprachscreenings für Vierjährige und der Diskussion um Vorschulklassen ist sie nicht alleine. Zusammen mit dem Paderborner Bildungsforscher Timm Albers veröffentlichte sie eine aktuelle Stellungnahme zu diesem Thema, die von mehr 30 Forscher*innen unterzeichnet wurde. Aus dieser geht hervor, dass Sprachförderung früher als im Alter von vier Jahren ansetzen sollte. Um auf Sprachdefizite adäquat und fair reagieren zu können, bräuchte es einen gerechteren Zugang zu Kitas und somit zu hochwertiger frühkindlicher Bildung. Verwiesen wird auf die wachsende Bildungsungleichheit in Deutschland, von der insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen und mit Fluchthintergrund und Zuwanderungsgeschichte betroffen sind. Informationsdefizite, bürokratische Hürden und diskriminierende Platzvergabe erschwerten ihnen und ihren Familien den Zugang zum Bildungssystem.
Mehrsprachigkeit als Chance begreifen
Die Forscher*innen bemängeln, dass Mehrsprachigkeit oftmals eher als ein Hindernis oder teilweise als Grund für Sprachdefizite angesehen wird. Dieser Annahme ist entgegenzusetzen, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder zum Teil sogar bessere Lesekompetenzen als einsprachig aufwachsende Gleichaltrige entwickelten, betont Bostanci. Entscheidend sei daher sprachliche Vielfalt und deren Wert anzuerkennen und gezielt zu unterstützen. Den Schlüssel für bessere Sprachförderung sehen die Forschenden in der Integration von Sprachbildung im Alltag: Neben Spielen und Erleben, Gesprächen, Vorlesen und dialogischen Lesen, könne auch der pädagogische Ansatz des „Translanguaging“ die Sprachentwicklung bei Kindern fördern. Letzterer ist als ein dynamischer Prozess zu verstehen, bei dem das gesamte sprachliche Repertoire eines mehrsprachigen Kindes in verschiedenen Kontexten genutzt wird, um sich auszudrücken, zu lernen und komplexe Aufgaben zu bewältigen.
Fazit
Zentral für eine wissenschaftlich fundierte Sprachbildung und -förderung ist aus Sicht der Unterzeichnenden Inklusion, strukturelle Qualitätsentwicklung und Stärkung der Kinder und Jugendlichen sowie des Umfeldes. Statt separierenden Sondermaßnahmen benötige es vertrauensvolle Beziehungen zu Familien, mehr gut ausgebildete Fachkräfte – insbesondere im Bereich der Diagnostik und des Spracherwerbs – und ein Bildungssystem, das Vielfalt als Ressource begreife.
Die Grundlagen für die Bildungsentwicklung werden in der (frühen) Kindheit gelegt und wirken sich auf den weiteren schulischen wie beruflichen Werdegang junger Menschen aus. Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle – nicht nur für Verständigung im Alltag, sondern auch um gelingende Integration und soziale Teilhabe für alle jungen Menschen zu ermöglichen.
Autorin: Mareike Klemz