Klimaschutz benötigt soziale Fundamente: Gutachten fordert sozial-ökologisches Existenzminimum

Wie gelingt Klimaschutz, ohne Menschen in Armut finanziell noch stärker zu belasten? Diese Frage stellt sich angesichts steigender Energiepreise, neuer Investitionsanforderungen an klimafreundliches Wohnen und zunehmender sozialer Ungleichheit mit wachsender Dringlichkeit. Ein Gutachten im Auftrag der Diakonie Deutschland zeigt: Die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht durch den Klimawandel und die sozial unausgewogene Transformation zunehmend unter Druck. Die Autor*innen Dr. Benjamin Held und Dr. Irene Becker sprechen daher von einem benötigtem sozial-ökologischen Existenzminimum – und meinen damit mehr als bloße Grundsicherung.

Dem Klimagerechtigkeitsparadox begegnen

Klimaschutzmaßnahmen wie CO₂-Bepreisung, steigende Energiepreise oder energetische Sanierungskosten treffen nicht alle gleich. Haushalte mit geringen Einkommen verfügen oft weder über Rücklagen noch über finanzielle Handlungsspielräume, um sich an neue Anforderungen anzupassen. Wenn sie einen höheren Anteil ihres Budgets für Energie oder Mobilität aufbringen müssen, drohen andere Grundbedürfnisse schnell auf der Strecke zu bleiben.

Zudem profitieren sie in der Regel nicht von staatlichen Förderprogrammen, etwa zur energetischen Gebäudesanierung oder zum Ausbau klimafreundlicher Infrastruktur. Stattdessen können solche Maßnahmen sogar zu einer weiteren Belastung führen. Wenn Vermieter*innen Kosten für energetische Sanierungen auf die Miete umlegen, steigen die Wohnkosten weiter an. Eine zusätzliche Belastung für einkommensarme Mieter*innen ist die Folge. Auch im Bereich Mobilität kommt es zunehmend zu stärkeren finanziellen Belastungen: Steigende Spritpreise und höhere Kosten für den öffentlichen Nahverkehr infolge von Energiepreisanstiegen treffen ebenfalls einkommensschwache Haushalte besonders stark.

Das Gutachten belegt: In den vergangenen 25 Jahren sind die realen Einkommen im obersten Einkommenszehntel um 51 % gestiegen, im untersten Zehntel hingegen nur um 4 %. Die Regelsätze der Grundsicherung entwickelten sich noch schwächer – sie lagen 2020 unter dem Niveau von 1995 und werden das Niveau von vor 30 Jahren laut Prognose erst 2025 wieder erreichen. Ohne sozialpolitische Korrekturen drohen laut Szenarienrechnungen reale Vermögensverluste bis in die Mitte der Gesellschaft hinein.

Transformation ohne sozialen Ausgleich?

Ohne Rückhalt in der Bevölkerung lassen sich ambitionierte Klimaziele politisch nicht umsetzen. Wer sich die energetische Sanierung der eigenen Wohnung oder – in deren Folge – steigende Mieten, neue Mobilitätsformen oder schlicht die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht leisten kann, erlebt eine Diskrepanz zwischen gesellschaftspolitischem Anspruch und den eigenen realen Möglichkeiten zum Klimaschutz beitragen oder den Klima-Transformationsprozess mitgestalten zu können. Spürbar wird dieses Problem auch bei der Ernährung: Grund dafür ist nicht, dass Menschen in Armut sich bewusst gegen klimafreundliche (und damit vor allem regionale und saisonale) Produkte entscheiden würden. Stattdessen sind klimabedingte Ernteausfälle und steigende Produktionskosten Treiber für höhere Lebensmittelpreise, die armutsbetroffene Haushalte wiederum vor starke finanzielle Herausforderung stellen.

Der Begriff des sozial-ökologischen Existenzminimums beschreibt die Notwendigkeit, physische Grundbedürfnisse, gesellschaftliche Teilhabe und ökologische Herausforderungen gemeinsam zu denken. Auch junge Menschen in prekären Lebenslagen sind mit ihren Bedarfen zu berücksichtigen. Sozial gerechte Klimapolitik ist somit kein „Nice to have“. Sie ist Grundvoraussetzung dafür, dass Jugendliche und junge Erwachsene in schwierigen Lebenslagen nicht abgehängt werden – ob beim Zugang zu Wohnraum, Bildung, Mobilität oder Gesundheit.

Jugendarmut und Klimaschutz

Junge armutsbetroffene Menschen und ihre Familien leben häufig in schlecht gedämmten Wohnungen ohne Zugang zu Grünflächen oder schattigen Rückzugsorten. Hitzewellen treffen sie besonders hart – gesundheitlich, aber auch sozial, wenn beispielsweise das Lernen in überhitzten Räumen kaum noch möglich ist. Gleichzeitig fehlen die finanziellen Mittel, um sich an Klimaschutzanforderungen anzupassen: Das reicht von der mangelhaften Ausstattung mit stromsparenden Geräten über nicht bezahlbare Nahverkehrstickets bis zu fehlenden Möglichkeiten an digitalen Beratungsangeboten oder Bildungsformaten teilzunehmen. Der Monitor „Jugendarmut in Deutschland“, herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V., dokumentiert die Auswirkungen von Armut auf alle Lebensbereiche seit 2010.

Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit erleben die Folgen dieser Entwicklungen unmittelbar bei der Begleitung junger Menschen. Wenn Ressourcen knapp und teuer werden, bleibt für viele von Armut und/oder Benachteiligung Betroffene nur Verzicht oder die Abhängigkeit vom solidarischen Handeln anderer. Die persönliche Freiheit wird beschnitten, es wachsen Not sowie Perspektivlosigkeit bei den jungen Menschen und damit Stress, Angst sowie Resignation. Die Jugendsozialarbeit allein kann diese strukturellen Herausforderungen nicht auffangen. Damit Jugendsozialarbeit in solchen Situationen wirksam unterstützen kann, braucht sie verlässliche Rahmenbedingungen. Sie muss eingebettet sein in ein gesellschaftliches Umfeld, das armutsfeste Leistungen wie eine Kinder- und Jugendgrundsicherung, den Ausbau öffentlicher Infrastrukturen und faire Bildungschancen für alle gewährleistet.

Mit ihren vielfältigen Angeboten und Unterstützungsleistungen kann die Jugendsozialarbeit einen Beitrag leisten, junge Menschen, von denen sich viele in einem gefühlten Dauer-Krisenmodus befinden, aufzufangen und zu begleiten. Denn die Bewältigung der Klimakrise reiht sich ein in die Nachwirkungen der Pandemie mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen und wiedereinsetzender Aufrüstung sowie den zunehmenden Druck auf demokratische Systeme.

Fünf Lösungsansätze für eine gerechte Transformation

Um das sozial-ökologische Existenzminimum zu sichern und die ökologische Transformation gerechter zu gestalten, schlagen die beiden Autor*innen des Gutachtens ein Bündel an Maßnahmen vor:

  • Stärkung unterer Einkommen: Haushalte mit geringen Mitteln müssten gegen Wohlstandsverluste abgesichert werden. Ziel sei, dass Klimaschutz nicht zum Luxusgut werde, sondern umweltverträglicher Konsum für alle möglich bleibe.
  • Reform der sozialen Mindestsicherung: Die Berechnung der Regelsätze müsste realitätsnäher, dynamischer und krisenfester werden. Notwendig sei eine Sicherung, die gesellschaftliche Teilhabe für alle auch unter Transformationsdruck ermögliche.
  • Ausbau öffentlicher Infrastruktur: Ob ÖPNV, Bildungsangebote, Wohnen oder digitale Zugänge – eine leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge sei das Rückgrat sozialer Gerechtigkeit in der ökologischen Transformation und gelte es daher auszubauen.
  • Soziale Ausrichtung von Förderprogrammen: Subventionen und staatliche Fördermaßnahmen sollten gezielt Menschen mit geringem Einkommen zugutekommen – nicht den ohnehin Wohlhabenden, die sich E-Autos oder Sanierungen leisten können.
  • Verteilungs- und Suffizienzpolitik: Die Frage, was „genug“ ist, gehöre zurück in die politische Debatte. Nur wenn Reichtum begrenzt, Ressourcen gerecht verteilt und gesellschaftliche Bedarfe klar benannt würden, könne der Wandel gelingen – ohne neue Spaltungen zu erzeugen.

Das vollständige Gutachten inklusive Kurzfassung steht kostenfrei zur Verfügung.

Autorin: Silke Starke-Uekermann

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