Junge Menschen sind verschieden – und brauchen verschiedene Ansprachen bei der Ausbildung

Seit einigen Jahren begegnet uns zum Start des Ausbildungsjahres immer wieder die gleiche Paradoxie: Im Jahr 2024 haben etwa 70.400 Ausbildungssuchende keine Ausbildungsstelle gefunden oder haben nicht ihre Wunschausbildung beginnen können. Gleichzeitig waren rein rechnerisch jedoch ausreichend offene Ausbildungsplätze vorhanden: 69.400 Ausbildungsstellen blieben im Jahr 2024 unbesetzt. Diese Diskrepanz führt in der Konsequenz z. B. dazu, dass jeder fünfte Mensch in Deutschland zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss hat. Das sind mittlerweile 2,9 Millionen Menschen.

Insbesondere Hauptschüler*innen sind davon betroffen, denn 29 Prozent der erfolglosen Ausbildungsplatzbewerbungen entfallen auf diese Gruppe. Gleichzeitig bleiben jedoch vor allem Ausbildungsplätze, die lediglich einen Hauptschulabschluss voraussetzen, am häufigsten unbesetzt.

Die Bertelsmann Stiftung hat nun gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln in der Studie „Was macht die duale Ausbildung attraktiv? Wünsche von jungen Menschen und Angebote von Unternehmen im Vergleich. Eine kombinierte Jugend- und Unternehmensbefragung“ untersucht, wie Unternehmen und Jugendliche besser zusammenfinden können.

Dass der Ausbildungsmarkt mit seinen vielen offenen Ausbildungsstellen sich zu einem Bewerber*innenmarkt entwickelt hat, in dem die jungen Menschen mehr Auswahlmöglichkeiten haben, wird nur von einem Teil der Jugendlichen positiv wahrgenommen. Denn gerade Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen schauen weiterhin pessimistisch auf ihre Ausbildungschancen. Dies führt dazu, dass viele nach der Schule erst einmal ohne Ausbildung in den Arbeitsmarkt starten. Doch ohne formalen Berufsabschluss sind sie einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit von prekären Beschäftigungen und Arbeitslosigkeit ausgesetzt, wodurch sich ihre wirtschaftliche Situation oftmals als unsicher und instabil gestaltet.

Doch dies hat nicht nur für junge Menschen negative Folgen, sondern auch für die Unternehmen. Denn sie benötigen dringend gut qualifizierte Fachkräfte statt ungelernter Arbeitskräfte. Somit haben die Unternehmen ein hohes Interesse daran, dass gerade diejenigen zu einer Bewerbung ermutigt werden, die wegen ihrer Schulleistungen zweifeln, überhaupt eine Chance auf einen Ausbildungsplatz zu haben.

Die Befragung zeigt jedoch, dass diese Zweifel gar nicht begründet sind: „Mehr als acht von zehn Unternehmen äußern, dass es im Vergleich zu guten Schulnoten mehr darauf ankommt, dass die Persönlichkeit der Bewerber:innen zum Betrieb passt. Diese Entwicklung hat jedoch noch nicht alle jungen Menschen erreicht: Nur etwas über die Hälfte der Jugendlichen (57 Prozent) meint, dass individuelle Fähigkeiten in der erfolgreichen Ausbildungsplatzsuche immer wichtiger werden als der Schulabschluss.“ (S. 20) Ziel muss es deswegen sein, die Jugendlichen zu einer Bewerbung zu motivieren, auch wenn sie wegen ihrer Schulbilanz pessimistisch auf ihre Chancen auf eine Ausbildungsstelle schauen.

Um zu erreichen, dass sich mehr Jugendliche für eine Bewerbung auf eine Ausbildungsstelle motivieren lassen, unterscheidet die Studie drei Ebenen:

  • Ausbildungsmarketing der Unternehmen: Die Unternehmen müssen in ihren Ausbildungsausschreibungen berücksichtigen, dass die einzelnen Gruppen von jungen Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse und Gewohnheiten angesprochen werden. Dies fängt damit an, dass die „richtigen“ Kommunikationskanäle genutzt werden und ein einfaches Bewerbungsverfahren angeboten wird. Dies ist gerade für junge Menschen mit niedriger Schulbildung ein wichtiges Kriterium. Zwar bieten dies viele Unternehmen an — sie informieren in ihren Ausschreibungen allerdings nicht über diese Möglichkeit. Weiterhin muss deutlich gemacht werden, dass weniger das Schulzeugnis zählt als der persönliche Eindruck und die individuellen Kompetenzen, die zum Unternehmen passen müssen. Diese Verschiebung der Präferenz bei den Unternehmen ist vielen Jugendlichen allerdings nicht bewusst. Motivierend kann auch wirken, dass über Unterstützungsangebote in der Ausbildung informiert wird, sodass schulische Defizite in für die Ausbildung relevanten Bereichen auf diesem Weg aufgefangen werden können. Allerdings liegt hier ein Informationsmangel über diese Angebote auch bei den Unternehmen vor (siehe Punkt 3).
  • Berufsorientierung: In der Berufsorientierung kann es nicht allein darum gehen, über die verschiedenen Ausbildungsberufe zu informieren. Vielmehr müssen insbesondere Jugendliche mit geringeren Schulabschlüssen genauso zu einem formalen Berufsabschluss motiviert werden, anstatt ungelernt nach der Schule in den Arbeitsmarkt zu münden. Ähnlich wie bei der Ausschreibung der Unternehmen muss auch die Berufsorientierung die Skepsis ausräumen, dass aufgrund des Schulabschlusses keine Chancen auf einen Ausbildungsplatz bestehen. Indem sowohl die Ausschreibungspraxis der Unternehmen als auch die Berufsorientierung in gleicher Weise hierauf hinwirken, können junge Menschen wieder neuen Mut im Hinblick auf ihre Fähigkeiten und Potenziale fassen und motiviert werden, sich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz zu begeben.
  • Unterstützungsangebote: In Deutschland gibt es ein breites Angebot insbesondere der Jugendberufshilfe, das in der Ausbildung unterstützend und begleitend in Anspruch genommen werden kann. Doch dieses Angebot ist weder den Unternehmen noch den jungen Menschen ausreichend bekannt. Hier gilt ein Appell an die berufsbildungspolitischen Akteur*innen in der Politik, in Kammern, Verbänden, Gewerkschaften und bei Bildungsträgern, Unterstützungsmaßnahmen bekannter zu machen. Mit einer passenden Unterstützung, die die individuellen Bedarfe der Jugendlichen in den Blick nimmt, wären viele leistungsschwächere junge Menschen in der Lage eine Ausbildung abzuschließen. Allerdings reicht eine bessere Bekanntheit allein nicht aus. Sondern die Politik muss für eine adäquate Finanzierung dieser Programme Sorge tragen, sodass diese effektiv durchgeführt werden können und nicht einfach nur das „billigste“ Angebot den Zuschlag erhält.
Eine Abbildung, die in Form einer Grafik über die Bekanntheit und Nutzung von Unterstützungsangeboten der Ausbildung informiert. Die Grafik stammt aus der im Text erwähnten Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Quelle der Abbildung: Bertelsmann Stiftung und Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.): Was macht die duale Ausbildung attraktiv? Wünsche von jungen Menschen und Angebote von Unternehmen im Vergleich. Eine kombinierte Jugend- und Unternehmensbefragung, Gütersloh und Köln 2025, S. 35.

 

Allein aufgrund der vielen unbesetzten Ausbildungsstellen sollten die Unternehmen selbst ein Interesse daran haben, die Jugendlichen mit geringerer Schulbildung verstärkt in den Blick zu nehmen und dafür entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen bzw. vorhandene Angebote zu nutzen: „Wenn mehr Unternehmen Jugendliche ohne Schulabschluss als Zielgruppe für ihre Ausbildung ansprechen würden, könnte diese gefährdete Gruppe noch effektiver unterstützt werden. Dies setzt jedoch ein überdurchschnittliches Engagement der ausbildenden Unternehmen voraus, um vorhandene Defizite auszugleichen und einen Ausbildungserfolg sicherzustellen.“ (S. 17) Dies kann ein weiterer Baustein sein, der sich vor allem auf den Zugang zu einem Ausbildungsberuf konzentriert. Auch wenn dies „nur“ der erste Schritt auf dem Weg zu einem Berufsabschluss ist, ist er dennoch ein wichtiger und bisher weniger beachteter Aspekt, der dazu beitragen kann, die Paradoxie am Ausbildungsmarkt von erfolglosen Ausbildungssuchenden und unbesetzten Stellen ein Stück weiter aufzulösen.

 

Autor: Dr. Torben Schön (Fachreferent beim Kolpingwerk Deutschland im Netzwerk der BAG KJS im Themenfeld „Berufliche Integration für alle jungen Menschen erreichen“)

Ähnliche Artikel

Aktuelle Expertise zum Thema Jugendwohnen

Jugendwohnen bietet jungen Menschen weit mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Es verbindet sicheren, bezahlbaren Wohnraum mit sozialpädagogischer Begleitung und erleichtert so die

Skip to content