Jugendliche als Opfer der „Hartz-Gesetze“. So beschreibt Prof. Dr. Christoph Butterwegge in einem Aufsatz die junge Generation. Das nach dem ehemaligen VW-Manager Hartz benannte Gesetzesquartett stelle eine für die Entwicklung von Jugendarmut historische Zäsur dar. In seinem Aufsatz „Soziale Unsicherheit in der Hartz-Gesellschaft“, veröffentlicht im Journal für Politische Bildung, der Vierteljahresschrift des Bundesausschusses Politische Bildung und des Wochenschau-Verlags, Heft 1/2012, beschreibt Prof. Butterwegge wesentliche Armutsrisiken.
Auszüge aus dem Aufsatz „Soziale Unsicherheit in der Hartz-Gesellschaft“:
Systemwechsel, der Kinder und Jugendliche ab 7 schlechter stellt
„(…) Seit der Jahrtausendwende geht es nicht mehr „bloß“ um moderate Leistungskützungen im sozialen Sicherungssystem, sondern um einen Systemwechsel, anders ausgedrückt: um eine zentrale gesellschaftliche Weichenstellung, die das Gesicht der Bundesrepublik grundlegend veränderte. (…)
Beim Kinderregelsatz stehen sich Unter-7-Jährige seither zwar etwas besser, die älteren Kinder und Jugendliche jedoch schlechter als bis dahin. Unter dem Wegfall der „wiederkehrenden einmaligen Leistungen“, etwa für Kleidungsstücke oder defekte Haushaltsgeräte, sowie ihre Einbeziehung in den neuen, gegenüber dem nur leicht angehobenen Regelsatz leiden primär Familien mit Kindern, deren Bedarf in dieser Hinsicht ausgesprochen hoch ist.“
Höheres Armutsrisiko als Disziplinierungsinstrument
„Wenn es ihr (…) „Fallmanager“ verfügt, müssen AlG-II-Bezieher/-innen gegen eine minimale „Mehraufwandsentschädigung“ (…) im öffentlichen Interesse liegende und zusätzliche Arbeit leisten, wollen sie ihren Anspruch auf Unterstützung nicht zu 30 Prozent (und später ganz) einbüßen. Für die Arbeitslosen unter 25 Jahren entfällt der Leistungsanspruch im Ablehnungsfall sofort. Damit unterliegen gerade Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene, die sich den oft an Willkür grenzenden Kontrollmaßnahmen der Jobcenter verweigern, einem höheren Armutsrisiko, das als Disziplinierungsinstrument, soziale Drohkulisse und Druckmittel dient, um sie gefügig zu machen. (…)
Hartz IV prägt seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzespaketes das Schicksal von Millionen jungen Menschen, deren Lebensperspektiven davon ebenso maßgeblich bestimmt werden wie ihr Alltag. So lebten im April 2011 hierzulande 866.000 (9,5 Prozent) von insgesamt etwa 9,1 Mio. jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften, die landläufig „Hartz-IV-Haushalte“ genannt werden. Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene, die weder einen Arbeits- noch einen Ausbildungsplatz finden, gehören mit zu den Hauptleidtragenden der Hartz-IV-Gesetzgebung. (…)“
Kein eigener Haushalt ohne Zustimmung des Leistungsträgers
„Extrem hart trafen die Leistungskürzungen junge Menschen, die von zu Hause ausziehen wollten und als Arbeitssuchende mittels der Grundsicherung nach dem SGB II lieber ein eigene Bedarfsgemeinschaft gründen wollten, als im Haushalt ihrer Eltern zu verbleiben. (…) Wenn die jungen Menschen einen eigenen Hausstand gründen wollen, müssen sie nunmehr vorher die Zustimmung des kommunalen Leistungsträgers einholen. (…)“
Laut Butterwegge können diese Armutsursachen nur behoben werden, wenn eine breite Gegenbewegung entsteht. Im Kern müsse diese Bewegung von jungen Menschen ausgehen, damit sie zeitgemäß, ausdauernd und kreativ sein kann.
Prof. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft und ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln.
Quelle: Journal für Politische Bildung 1/2012