Jugendliche nehmen das Wählen ernst

Für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) haben Thorsten Faas, Sigrid Roßteutscher und Armin Schäfer analysiert, wie junge Menschen über die vergangene Bundestagswahl denken. Weniger das Ergebnis, mehr die Fragen nach Wahlberechtigung, Informationsquellen für die Wahlentscheidung und politischem Diskurs standen im Fokus. Wenig überraschend ist, dass Jugendliche wählen wollen und dieses demokratische Recht ernst nehmen.

Die Analyse „Überraschende Wahl, überraschende Stimmen“ arbeitet heraus, dass Politik und Demokratie junge Menschen nicht kalt lassen. Ob sie wählen dürfen oder nicht, kann ihr politisches Selbstverständnis beeinflussen und hat somit auch Auswirkungen auf das Wahlverhalten. Das arbeiten die Autor*innen der Analyse heraus. Das Wahlverhalten der jüngsten Wähler*innen bei der Bundestagswahl 2025 hatte für großes Aufsehen bis Sorge gesorgt. Wegen sichtbarer Wahlpräferenzen für die AfD oder die Linke bekamen die Jungen den Stempel „radikale Jugend“. Ein Grund für die Wahlerfolge der beiden Parteien wurde im Erfolg ihrer TikTok-Kampagnen gesehen. Die Analyse der FES will deshalb differenzieren: Die Wissenschaftler*innen fragten nach den entscheidenden Themen für junge Menschen. Und sie erforschten, wie sich junge Menschen über Politik informieren und welche Überlegungen ihre Entscheidungen leiten.

Inhaltliche Schwerpunkte

Die Studie untersuchte die inhaltlichen Präferenzen junger Menschen in verschiedenen Politikfeldern: Sozialstaat, Zuwanderung, Gleichstellung, Europa sowie Klimaschutz versus Wirtschaftswachstum wurden genannt. Ergänzt haben die Forschenden ihre Fragen um eine allgemeine Links-Rechts-Selbsteinschätzung. Insgesamt zeigt sich eine Linksorientierung, besonders bei den Themen Klimaschutz und Europa. Beim Thema Sozialstaat sind hingegen erstaunlicherweise eher rechte Positionen verbreitet. Deutliche Unterschiede gibt es zwischen den Geschlechtern: Frauen tendieren oft zu linkeren Positionen, Männer neigen eher zu rechten. Am weitesten auseinander liegen die Haltungen bei Frauen mit Abitur, die in der Großstadt leben zu Männern ohne Abitur im ländlichen Raum.

Einfluss der Sozialen Medien

Politische Inhalte sind auf Social-Media-Plattformen unterschiedlich stark sichtbar. WhatsApp zeigt kaum politische Inhalte, auf YouTube und Instagram sind sie präsenter. Bemerkenswert ist laut Analyse der FES, dass TikTok-Nutzer*innen von der stärksten Präsenz politischer Themen berichten, sogar mehr als auf X. Zwischen der Europawahl 2024 und der Bundestagswahl 2025 zeigen sich laut Studie Verschiebungen: Auf YouTube und Instagram nahmen politische Inhalte zu, auf X und TikTok sogar stark. WhatsApp transportierte weiter kaum politische Inhalte.

Eine Manipulation der Wahlentscheidungen junger Menschen durch Soziale Medien konnten die Forschenden nicht feststellen. Die empirischen Befunde der Studie bestätigen eher: Junge Menschen treffen ihre Wahlentscheidung mit Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein, sie unterscheiden sich damit nicht von anderen Altersgruppen. Jugendliche wünschen sich, dass die Schule stärker als Ort politischer Bildung wirkt und sie gezielt auf Wahlen vorbereitet. Das Interesse an Politik ist vorhanden, weit über sogenannte „Jugendthemen“ hinaus.

„Gleichzeitig zeigt sich innerhalb dieser Altersgruppe eine große Vielfalt: Geschlecht, Bildungsstand und Wohnort beeinflussen politische Einstellungen und thematische Prioritäten deutlich. Pauschale Annahmen über eine einheitliche „junge Generation“, die extreme Positionen vertritt, sind daher nicht nur vereinfachend, sondern schlichtweg falsch“, schreiben die Autor*innen.

Politikempfehlungen

Als Politische Stiftung gibt die FES auf Grundlage der Studie Empfehlungen, die sich mit den Erfahrungen und Forderungen decken, die seit Jahren Akteur*innen aus Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und Jugendverbandsarbeit vortragen:

  • Widersprüche im Wahlrecht beseitigen: Einheitliches Wahlrecht ab 16. Der Flickenteppich aus Wahlaltergrenzen in Bundesländern, im Bund und bei Europawahlen sollte aufgelöst, die Altersgrenze auf 16 gesenkt werden.
  • Schule als Schlüssel demokratischer Teilhabe: Politische und mediale Bildung stärken. Bis zur 9. Klasse ist Schule der Ort, an dem alle jungen Menschen erreicht werden können – unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund oder eingeschlagenem Bildungsweg. In der Schule können deswegen demokratische Kompetenzen gefördert und Erfahrungen mit demokratischer und politischer Teilhabe gesammelt werden.
  • Politische Kommunikation an die Lebenswelten junger Menschen anpassen: Junge Menschen wollen in allen relevanten Themen gesehen und angesprochen werden. Parteien sollten deshalb nicht einfach ein paar Jugendthemen entwickeln; junge Menschen wollen ihre Interessen in Programmen wiederfinden.
  • Sichtbarkeit auf Social Media strategisch und verantwortungsvoll gestalten: Reichweite allein ist kein Faktor. Eine gezielte, demokratische Kommunikation macht politische Inhalte verständlich und nachvollziehbar. Gleichzeitig müssen transparente Algorithmen und die Bekämpfung von Desinformation und Hassrede dringend priorisiert werden.
  • Vielfalt der jungen Generation anerkennen und eine gerechte Politik für alle Generationen umsetzen: So vielfältig wie junge Menschen sind, sind auch ihre Präferenzen; sie ändern sich zudem mit der persönlichen Entwicklung. Parteibindungen lassen gerade bei jungen Menschen deutlich nach. Sie reagieren flexibel auf politische Angebote und gesellschaftliche Trends. Wenn regierende Parteien Interessen junger Menschen wenig wahrnehmen und in Politik umsetzen, spiegelt sich die Unzufriedenheit in Präferenzen zur Opposition.

Text: Michael Scholl

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