Einwanderung in Sozialsysteme ist die Ausnahme

Auszüge aus den Kernbotschaften des SVR Jahresgutachtens 2013 „Erfolgsfall Europa? Folgen und Herausforderungen der EU-Freizügigkeit für Deutschland“:

„…Freizügigkeitsdividende statt �Sozialtourismus‘: Deutschland als Magnet für qualifizierte Unionsbürger
Der Trend, dass Mittel- und Hochqualifizierte Deutschland verlassen und gering Qualifizierte kommen, konnte gestoppt werden. Die Zuwanderung von Unionsbürgern aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, die der EU 2004 und 2007 beigetreten sind, ist gestiegen, ebenso der Zuzug von Personen aus den �Krisenländern‘ in Südeuropa, die von der Staatsschuldenkrise betroffen sind. Die ehemals negative Bilanz hat sich gedreht. Dabei liegt der Anteil Hochqualifizierter an den seit 2004 zugewanderten Unionsbürgern im Alter von 25 bis 44 Jahren über dem bei der entsprechenden Mehrheitsbevölkerung. Durch die qualifizierte und durchschnittlich zehn Jahre jüngere Zuwanderung aus anderen EU-Staaten erzielt Deutschland derzeit eine Freizügigkeitsdividende. …

Barrieren für Arbeitsmigration in Europa abbauen
Europa ist aber nach wie vor kein perfekter Wanderungsraum. Eine Reihe von Barrieren erschwert die Mobilität innerhalb Europas. Dazu zählen vor allem die unterschiedlichen Bildungs- und Ausbildungssysteme und die Vielfalt der Sprachen. Der SVR empfiehlt daher eine Reihe von Maßnahmen, um die Mobilität innerhalb Europas weiter zu erleichtern. Das Beispiel der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen zeigt, dass eine Vereinheitlichungsregel, die die EU den Mitgliedstaaten auferlegt hat, nicht nur Mobilität gefördert hat, sondern in Deutschland auch als Vorbild diente, um entsprechende Regelungen für Drittstaatsangehörige zu treffen. …

Die Finanzierung der Nachqualifizierung ist nach wie vor unzureichend gelöst. Es gibt im Falle einer teilweisen Anerkennung des Berufsabschlusses bislang nur wenige Möglichkeiten, die für die Interessenten zudem intransparent sind und in den Bundesländern unterschiedlich geregelt sind. Eine Förderung durch die Arbeitsagenturen ist nur für Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte möglich, wenn die Nachqualifizierung für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt notwendig erscheint. Wer einen Arbeitsplatz unterhalb seiner Qualifikation hat, bleibt außen vor. …

Die Integration von Neuzuwanderern auch aus EU-Staaten ist kein Selbstläufer. Eine wichtige Rolle spielt hier die Förderung des Spracherwerbs. Viele Neuzuwanderer aus der EU haben noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse. Sie sollten beim Spracherwerb stärker unterstützt werden. Derzeit können sie an den Integrationskursen nur dann teilnehmen, wenn noch Plätze frei sind. Der SVR regt daher an, für EU-Bürger den Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen zu stärken. Außerdem sollte EU-Bürgern die Teilnahme an berufsbezogenen Sprachkursen erleichtert werden, die vom Europäischen Sozialfonds gefördert werden. …

Soziale Solidarität und ihre Grenzen: die EU als asymmetrischer Wanderungsraum
Wenngleich die Folgen des gemeinsamen Wanderungsraums insgesamt positiv beurteilt werden, weist das SVR Jahresgutachten auch auf eine kritische Entwicklung hin. Der EU-Beitritt von Staaten mit weit unterdurchschnittlicher Wirtschaftsleistung und die Staatsschuldenkrise in einigen südeuropäischen Mitgliedsländern, die sich möglicherweise noch viele Jahre hinziehen wird, verschärfen das soziale und wirtschaftliche Gefälle innerhalb Europas.

Dadurch verstärken sich Asymmetrien im europäischen Wanderungsgeschehen, die zu einer �Sozialtransfermigration‘ führen könnten. Die soziale Solidarität mit zugewanderten und auf staatliche Transfers angewiesenen EU-Bürgern ist gerade im Vergleich zu föderalen Bundesstaaten im Staatenverbund der EU sehr weit entwickelt … .

Das SVR-Migrationsbarometer zeigt, dass über 70 Prozent aller Befragten mit und ohne Migrationshintergrund neu zugewanderten Unionsbürgern, die in Deutschland arbeitslos werden, Sozialleistungen zugestehen. Solidarität kennt aber auch Grenzen. Das Gutachten warnt: Wenn diese Solidarität mit EU-Bürgern, die in der EU, aber außerhalb ihres Heimatlandes leben, über das bereits etablierte Maß hinaus erweitert wird, kann das die Akzeptanz des freien Wanderungsraums auf eine schwere Probe stellen. Schwierig wird die Situation besonders dann, wenn das Wohlstandsgefälle innerhalb der EU sich zunächst weiter verstärkt, eine damit gekoppelte Migration steigt und Ansprüche an das Sozialsystem entstehen, die nicht von einer früheren Erwerbstätigkeit in Deutschland abhängen. …

Neue Akteure in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik: Universitäten als Migrationsmagneten und Integrationsmotoren
Unionsbürger werden als Zuwanderergruppe immer bedeutender. Die migrations- und integrationspolitischen Steuerungsinstrumente, die für Drittstaatsangehörige weiterhin entscheidend sind, können aber auf sie nicht angewendet werden. Damit werden auch neue Akteure in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik relevant.

Insbesondere Universitäten leisten als Migrationsmagneten und Integrationsmotoren einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs und tragen dazu bei, Deutschland als Hochschul- und Wirtschaftsstandort attraktiv zu machen. Sie sollten stärker in die Migrationspolitik und das Werben um die begehrten Fachkräfte von morgen einbezogen werden, ebenso wie der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Hochschulrektorenkonferenz oder das Deutsche Studentenwerk. …

Entwicklung einer migrationspolitischen Gesamtstrategie: Zeit für einen „Nationalen Aktionsplan Migration“ (NAM)
Das SVR-Jahresgutachten 2013 beschäftigt sich mit der innereuropäischen Migration, die zunehmend bedeutsamer wird. Aktuell steigt jedoch auch die Zuwanderung von Hochqualifizierten aus Drittstaaten. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie (Blue Card) wurden Reformen verabschiedet, die der SVR in seinem Gutachten „Migrationsland 2011“ eingefordert hat und die weit über die Umsetzungsforderungen der EU hinausgehen. Sie haben Deutschland zu einem liberalen Zuwanderungsland gemacht, das für hoch qualifizierte Drittstaatsangehörige institutionell attraktiv ist. Diese rechtlich-institutionelle Kehrtwende bei den Drittstaatsangehörigen und Deutschlands Rolle als europaweit wichtigstes Zielland für mobile Unionsbürger sollten die politisch Verantwortlichen zum Anlass nehmen, die verschiedenen migrationspolitischen Themenfelder zusammenzubringen, die bislang weitgehend unabhängig und unverbunden diskutiert werden: Die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen einerseits und die Mobilität von Unionsbürgern andererseits sollten im Rahmen eines „Nationalen Aktionsplans Migration“ (NAM) konzeptionell zusammengeführt werden; dadurch könnten die mit Zuwanderung verbundenen Herausforderungen und gesellschaftlichen Veränderungen gebündelt thematisiert und konkrete Lösungen für anstehende Probleme erarbeitet werden.

Ein solcher Aktionsplan Migration sollte eine Migrationspolitik aus einem Guss entwerfen. Er sollte die unterschiedlichen Beteiligten und ihre Meinungen verbinden und vernetzen und damit das institutionelle Zusammenspiel der unterschiedlichen Ministerien sowie zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verbessern. So können politische Reibungsverluste im föderalen System begrenzt werden.

Ein NAM sollte auch die Mechanismen und Instrumente benennen, mit denen der zukünftige Bedarf an hoch,mittel und niedrig qualifizierter Zuwanderung gedeckt und koordiniert werden soll. Dabei sind auch die humanitären Verpflichtungen Deutschlands im Flüchtlingsschutz zu berücksichtigen. … „

Das Gutachten in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link.

Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören acht Stiftungen an. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Christine Langenfeld (Vorsitzende), Prof. Dr. Ludger Pries (Stellvertretender Vorsitzender) sowie Prof. Dr. Gianni D’Amato, Prof. Dr. Thomas K. Bauer, Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. Dr. Heinz Faßmann, Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Prof. Dr. Ursula Neumann und Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan.

www.svr-migration.de

Quelle: Sachverständigenrat Migration

Dokumente: Web_SVR_Jahresgutachten_2013.pdf

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