Familien mit drei oder mehr Kindern sind in Deutschland einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Bei etwa jeder sechsten Familie in Deutschland handelt es sich um eine so genannte Mehrkindfamilie. Rund ein Drittel dieser Familien gilt nach der Studie als einkommensarm, knapp ein Fünftel beziehe Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Der Blick auf die Länderebene unterstreicht diesen Befund: Über alle Bundesländer hinweg haben Paarfamilien mit drei und mehr Kindern ein fast dreimal so hohes Armutsrisiko wie Paarfamilien mit zwei Kindern. Am häufigsten sind Mehrkindfamilien in Bremen (63 Prozent) von Armut betroffen, in Bayern ist das Risiko am geringsten (22 Prozent). Besonders schwierig ist die Lage für alleinerziehende Familien mit drei und mehr Kindern: Über 86 Prozent von ihnen sind auf Sozialtransfers angewiesen. Dabei haben alle Kinder und Jugendlichen ein Recht darauf, unabhängig von ihrer sozialen und/oder familiären Herkunft ihre Talente entdecken und Potentiale entfalten können, betont die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. im Monitor „Jugendarmut in Deutschland 2022“. Da aber Bildungserfolg und gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland stark von der sozialen Herkunft abhängen, fordert die BAG KJS eine teilhabeorientierte Kinder- und Jugendgrundsicherung, die weit mehr als das Existenzminimum absichert.
Nicht nur Armutsrisiken, sondern auch Vorurteilen ausgesetzt
„Mehrkindfamilien sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert; übersehen werden dabei ihre enormen Leistungen für die Gesellschaft“, betont Studienautorin Sabine Andresen, Professorin für Familienforschung an der Goethe-Universität Frankfurt. Entweder gelten sie als privilegiert und vermögend, weil sie genug Geld für drei oder mehr Kinder aufbringen können. Oder sie werden als von Sozialleistungen abhängige „Problemfälle“ dargestellt. Doch tatsächlich seien Mehrkindfamilien übergangene Leistungsträger*innen der Gesellschaft. Sie brauchten aber gezieltere Unterstützung.
Auch der Präsident des Familienbundes der Katholiken, Ulrich Hoffmann, sieht Mehrkindfamilien als „Leistungsträger des sozialstaatlichen Generationenvertrages“. Daraus ergebe sich eine klare Botschaft: „Mehrkindfamilien benötigen endlich eine angemessene Anerkennung ihrer Leistungen für die Gesellschaft, insbesondere auch finanziell“, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Benachteiligung im Alltag
Musterberechnungen für Transferleistungen werden in der Regel für Eltern mit ein oder zwei Kindern erstellt, was Mehrkindfamilien benachteiligt. Familientickets im öffentlichen Personennahverkehr, im Schwimmbad oder im Zoo sind häufig auch nur auf die klassische Zwei-Kind-Familie ausgerichtet.
Die Betreuung und Erziehung von drei und mehr Kindern kostet viel Zeit, sodass Eltern ihre Erwerbstätigkeit und damit Verdienstmöglichkeiten kaum ausweiten können. Für viele Familien stellt das angesichts der steigenden Lebensmittel- und Energiekosten eine immer größere Herausforderung dar.
Quelle: Bertelsmann Stiftung; KNA; BAG KJS