Kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres hat die Wirtschaft noch 146.000 neue Lehrlinge gesucht. Obwohl es insgesamt mehr Bewerber/-innen als im Vorjahr gab. Viele Jugendliche mit Hauptschulabschluss werden von vornherein abgelehnt. Dabei zahlt sich deren Ausbildung durch lange Betriebszugehörigkeit und hohe Loyalität besonders aus. Das hat eine neue Studie der Vordafone Stiftung in Kooperation mit der Stiftung Verantwortung herausgefunden. Die Studie formuliert Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Politik.
Hauptschulabsolventen bleiben länger im Betrieb
Studien-Projektleiterin, Friederike von Tiesenhausen, beschreibt die Situation als ein Verwerfen von Rohdiamanten, die zu wertvollen Mitarbeitern werden können. Unternehmen sollten nicht nur auf Noten wert legen, sondern den jungen Menschen mehr Chancen durch Probearbeiten einräumen und ihnen Mentoren zur Seite stellen. Damit erfolgreiche Ausbildung gelingt und die Potentiale der Jugendlichen entfaltet werden können, sollten Unternehmen auf Hilfe von Außen zurückgreifen und sich unterstützen lassen.
Jugendliche mit Hauptschulabschluss finden häufig keinen Ausbildungsplatz. Gleichzeitig werden in vielen Regionen und Branchen bereits händeringend Fachkräfte gesucht. Dass aber auch Hauptschulabsolventen die Fachkräfte von morgen sein können, ziehen viele Unternehmen nicht in Betracht. Hier setzt die Vodafone Stiftung an. Sie zeigt zum einen, dass sich die Ausbildung von Hauptschulabsolventen betriebswirtschaftlich lohnt: Diese bleiben nach erfolgreicher Lehrzeit und Übernahme länger im Unternehmen als schulisch höher vorqualifizierte Fachkräfte. Und sie ermutigt zum anderen durch praktische Handlungsempfehlungen insbesondere kleine Unternehmen, Hauptschüler auszubilden. Dazu gehört etwa Probearbeiten statt Zeugnisse bei der Bewerberauswahl sowie eine fest zugeordnete Vertrauensperson während der Lehre. Zudem fordert sie von der Politik gezielte Unterstützung für diese Zielgruppe, etwa durch Reformen in der Dualen Ausbildung und an den Berufsschulen. Schließlich zahlen sich verbesserte Aufstiegschancen für junge Menschen mit Hauptschulabschluss auch gesamtgesellschaftlich aus.
Auszüge aus einem Policy Papier „Habe Hauptschulabschluss, biete Zukunft!“ der Vodafone Stiftung in Kooperation mit Stiftung Neue Verantwortung:
„(…) Handlungsempfehlungen für Unternehmen
(…) Die Ausbildung von Hauptschulabsolventen lohnt sich für Betriebe. (…) So zeigen es die Erfahrungen von 20 Betrieben, die regelmäßig Hauptschulabsolventen in der Ausbildung erfolgreich zum Berufsabschluss führen und die im Rahmen der Studie „Soziale Mobilität in der Arbeitswelt“ untersucht wurden.
Als Argument, warum sich die Ausbildung gering vorqualifizierter Jugendlicher lohne, führten nahezu alle diese Unternehmen eine hohe Loyalität und geringe Fluktuation der Auszubildenden an. Im Vergleich zu Realschülern und Abiturienten blieben Hauptschüler dem Unternehmen vielfach länger treu. (…)
Entscheidend für den Ausbildungserfolg ist, ob es für den Fall von auftretenden Problemen Unterstützung für Azubis und Betriebe gibt. (…) Generell gilt, dass Jugendliche mit Hauptschulabschluss noch stärker als Schulabgänger mit höheren Qualifikationen davon profitieren, dass sie eine Vertrauensperson durch die Ausbildung begleitet. (…)
- Berufsorientierung aktiv mitgestalten/Interesse wecken
Viele Betriebe ziehen es nicht in Betracht, Besucher oder auch Praktikanten aufzunehmen – nicht zuletzt, um die eingespielten Arbeitsabläufe nicht zu stören. Das ist zu kurz gedacht, wird damit doch eine wertvolle (…) - Praxiserfahrungen ermöglichen/Potenziale entdecken
Unabdingbar sind auch gute Beziehungen zu Schulen. Insgesamt ist die Vernetzung zwischen Unternehmen und Schulen in Deutschland weiterhin stark verbesserungsbedürftig. (…) Durch Praktika werden in den Betrieben unrealistische Wunschbilder, wie der „ideale Azubi“ beschaffen sein sollte, vermieden und es bildet sich ein besseres Verständnis für die Situation junger Menschen heraus. Gleichzeitig lernen die Betriebe die Potenziale der Jugendlichen schon früh kennen. - Probearbeiten statt Zeugnisse/Individuen kennenlernen
Im konventionellen Auswahlverfahren spielen Schulnoten und Abschlüsse eine große Rolle. Anders ist dagegen die Praxis in den untersuchten Unternehmen. (…) Wichtiger als Noten ist hier der Blick auf Motivation und Leistungsbereitschaft der Probanden. Als wirksames Instrument zur Personalauswahl hat sich Probearbeit etabliert. In der Regel handelt es sich dabei um zwei Wochen, in denen die Jugendlichen gegen eine Aufwandsentschädigung im Betrieb mitmachen. (…) So haben beide Seiten vor der eigentlichen Ausbildung einen Testlauf gehabt, ob sie zueinander passen. Ausbildungsabbrüche können dadurch reduziert werden. - Vertrauenspersonen anbieten/Ein offenes Ohr haben
Viele Jugendliche mit Hauptschulabschluss sind in ihrem Sozialverhalten und in ihrer persönlichen Entwicklung am Ende der Schulzeit nicht so weit, wie sich Unternehmen das bei Auszubildenden idealerweise wünschen. Dies sollte in der Ausbildung berücksichtigt werden. (…) Betriebe sollten dem Reifungsbedarf ihrer Azubis Rechnung tragen: Ausbilder sollten die Gelegenheit bekommen, sich pädagogisch und gegebenenfalls sozialpädagogisch fortzubilden. Wichtig ist auch ein regelmäßiger Austausch mit den Lehrkräften der Berufsschulen. Bewährt hat sich zudem ein Mentorenprogramm. (…) - Externe Hilfsangebote nutzen / Regionale Netzwerke etablieren
Für fachliche und andere Probleme während der Ausbildungszeit gibt es hierzulande ein vielfältiges externes Unterstützungsangebot durch Bildungsträger, Kammern, Verbände und Behörden. Oft aber sind Unternehmen wie Azubis angesichts des bürokratischen Aufwands überfordert, dieses in Anspruch zu nehmen. Unternehmen, die erfolgreich Hauptschulabsolventen ausbilden, nutzen solche externen Angebote dagegen systematisch. Ein gefragtes Programm sind die ausbildungsbegleitenden Hilfen, die bei der Agentur für Arbeit beantragt werden können. Dabei erhalten Azubis mit fachlichen Problemen zum Beispiel voll finanzierten Förderunterricht oder auch sozialpädagogische Hilfen. (…)
Handlungsempfehlung für die Politik
Auch die Politik muss ihren Beitrag leisten, damit möglichst alle interessierten Jugendlichen eine betriebliche Ausbildung absolvieren können. (…) Insbesondere gilt es die Rahmenbedingungen so anzupassen, dass sie die Bedürfnisse der jungen Menschen von heute berücksichtigen. Diese sind selbstverständlich anders als vor 50 Jahren – die Duale Ausbildung hat sich dagegen kaum geändert. (…)
Die nächste Bundesregierung wäre daher gut beraten, ab dem Jahr 2015 einen neuen Ausbildungspakt anzustreben. Der bestehende Ausbildungspakt erfüllt zwar seine Vorgaben, aber nach wie vor gelingt rund 300 000 Jugendlichen nicht der direkte Sprung in die Ausbildung. In einem neuen Bündnis sollten sich alle beim Thema Ausbildung relevanten Akteure – dazu gehören neben Bundesregierung, Wirtschaftsverbänden, Agentur für Arbeit, Ländern und Kommunen auch die Gewerkschaften – darauf verständigen, alle nötigen Schritte zu ergreifen, um die Zahl der unversorgten jungen Menschen so zu senken, dass Übergangsmaßnahmen zur absoluten Ausnahme werden. (…)
- Mehr Praxislernen/Berufsorientierung und Erfolgserlebnisse schaffen
Gerade Jugendlichen, die sich im Unterricht schwertun, muss die allgemeinbildende Schule möglichst früh Praxiserfahrungen anbieten (…). Eine engere Verzahnung von Schule und Beruf in den Lehrplänen der Länder würde gerade lernschwachen Jugendlichen zu Erfolgserlebnissen verhelfen und die Berufsorientierung unterstützen. - Clusterbildung ermöglichen/Berufsentscheidung optimieren
Mit 345 Ausbildungsberufen gibt es viele sehr spezifische Berufsbilder. Mehr noch als schulisch höher qualifizierte junge Menschen konzentrieren sich aber vor allem Hauptschulabsolventen auf eine Handvoll Berufe. So entsteht schnell ein Ungleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Betriebe und den Vorstellungen der jungen Menschen. (…) Bundesregierung, Sozialpartner und Verbände müssen eine (…) Bündelung und Clusterbildung der Ausbildungsberufe systematisch angehen, um sowohl den Bedürfnissen der Unternehmen weiterhin gerecht zu werden als auch gleichzeitig die Berufsentscheidung junger Menschen zu optimieren. - Duale Ausbildung flexibilisieren/Matching erleichtern
Die Duale Ausbildung muss der Tatsache Rechnung tragen, dass nicht alle ausbildungswilligen Betriebe die praktischen Bedingungen für eine komplette Ausbildung anbieten können. Ebenso gilt es zu berücksichtigen, dass nicht alle ausbildungsinteressierten Jugendlichen eine ununterbrochene Lehre absolvieren werden – (…). Daher sollte über eine weitere Flexibilisierung der Ausbildung nachgedacht werden. (…) Gerade für kleinere Unternehmen würde der Einstieg in das Thema Ausbildung erleichtert werden, wenn sie nur einige betriebliche Module anbieten könnten. Hier gilt es Rahmenbedingungen auszubauen, die die Zugangsschwellen zur Ausbildung für kleinere Unternehmen weiter absenken, zum Beispiel durch die Förderung von Ausbildungsverbünden zwischen zwei oder mehreren kleinen Betrieben. - Berufsschullehrer und Ausbilder weiterbilden/Vertrauenspersonen anbieten
Die Berufsschule ist das Stiefkind der Bildungsdebatte: Diese wichtige Schulform ist bislang leider nicht politisch im Fokus. (…) Berufsschullehrer sollten so aus- und weitergebildet werden, dass die so oft beschworene individuelle Förderung im Unterricht tatsächlich möglich ist – insbesondere zum Wohle schulschwacher Berufsschüler. (…) Auch die Ausstattung mit Sozialpädagogen bzw. das Angebot an sozialpädagogischen Fortbildungen für Lehrkräfte muss verbessert werden. Zudem ist es nötig, die bislang spärlichen Angebote zur sozialpädagogischen Weiterbildung von Ausbildern auszubauen. - Eine Anlaufstelle schaffen/Zuständigkeitsdschungel lichten
Bei der Berufsorientierung, in der Vermittlung zwischen Betrieb und Bewerbern sowie bei unterstützenden Angeboten für Azubis gibt es eine verwirrende Vielzahl von Akteuren und Projekten. Beteiligt sind Agentur für Arbeit, Jugendhilfe, Bildungsträger, Kommunen, Schulen und viele andere. Nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Unternehmen ist es nicht einfach, da den Überblick zu behalten. Unternehmen wünschen sich klarere Zuständigkeiten und eine Anlaufstelle, in der sich alle Angebote rund um die Berufsfindung, -vermittlung und -begleitung für junge Menschen unter einem Dach finden. (…)“
Quelle: Vordafone Stiftung Deutschland