Hass und Rassismus sind Angriffe auf unsere demokratische Gesellschaft

In Brandenburg wird eine Gruppe Berliner Schüler*innen in einem Feriencamp nachts rassistisch bedroht. Sie reisen unter Polizeischutz ab. Lehrkräfte einer Brandenburger Schule berichten über rechtsextreme Taten und Gewalt an ihrer Schule. Sie schreiben einen öffentlichen Hilferuf. Eine katholische Kindertagesstätte wird mit Hassnachrichten und Bedrohungen überschüttet. Sie hatte den Eltern erklärt, dass Mutter- und Vatertagsgeschenke nicht mehr der realen Diversität in unserer Gesellschaft entsprächen. Drei akute Beispiele, in denen offener Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus sowie Hass und Hetze in Taten münden – begleitet durch populistische Töne von Parlamentarier*innen und einer Welle faktenferner Behauptungen in sozialen Medien. Maryam Tiouri, Koordinatorin des Programms Respekt Coaches bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V., und Michael Scholl, Grundlagenreferent der BAG KJS, zeigen anhand einer politischen Einordnung eines konkreten Falls, warum Jugendsozialarbeit eine unverzichtbare Rolle in der Demokratiebildung zukommt.

Politisch motivierte Kriminalität wächst

Bundesinnenministerin Nancy Faser und Holger Münch als Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) lieferten Anfang Mai Zahlen zu den Fällen „Im Jahr 2022 war abermals ein neuer Höchststand der Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität zu verzeichnen. In Teilen der Bevölkerung bestehen zudem Radikalisierungstendenzen. Diese Entwicklungen – insbesondere in den Bereichen der Politisch motivierten Kriminalität -rechts- und der Hasskriminalität – sind sehr ernst zu nehmen“, erklärte Münch. Konkret zählt das BKA 23.493 rechte Straftaten (plus 7 % zum Jahr 2021), 6.976 linke Straftaten (minus 31 % inklusive Klimaproteste), 481 religiös motivierte Straftaten (plus 0,4 %).

Während Bundesinnenministerium und BKA die Zahlen vorstellten, veröffentlichten parallel Opferberatungsstellen ihre Statistik: „In zehn von 16 Bundesländern wurden 2.093 rechte, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert. Mehr als die Hälfte aller Angriffe ist rassistisch motiviert. Trans- und Queerfeindliche Angriffe nehmen zu und forderten ein Todesopfer. Täglich werden mindestens fünf Menschen Opfer rechts, rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalt“ heißt es in der Pressemeldung des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene Rechter, Rassistischer und Antisemitischer Gewalt e. V. (VBRG).

Das Programm Respekt Coaches ist von unschätzbarem gesellschaftlichem Wert

Präventive Angebote an Schulen gegen Hass, Hetze, Rassismus und jegliche Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind ein Baustein zur Stärkung eines friedlichen und solidarischen Miteinanders sowie einer stabilen Demokratie. Das Programm Respekt Coaches ist ein konkretes Angebot, das leider Jahr für Jahr um den Erhalt der Förderung bangen muss – zu schweigen von einer Erhöhung der Mittel. Dabei wird am Beispiel der Berliner Schule und dem Überfall im Feriencamp deutlich, wie wertvoll das Programm ist.

Als Respekt Coach hat Lukas Reuss im Februar mit den 10. Klassen seiner Kooperationsschule den rassistischen Anschlag in Hanau thematisiert. Wie auch in den Jahren zuvor war der Jahrestag des Anschlags für die Schüler*innen der Berliner Schule ein wichtiger Schritt zur Sensibilisierung und des Empowerments. Viele von ihnen sind selbst von Rassismus betroffen. Sie wurden durch ihre Teilnahme an den Workshops des Respekt Coaches in ihren Ängsten und Erfahrungen wahr- und ernstgenommen. Dass genau sie nun bei ihrer Klassenfahrt nach Brandenburg mit direktem Hass und Rassismus bedroht wurden, zeigt: Primärpräventive politische Bildung und Soziale Arbeit müssen an vielen verschiedenen Stellen und Orten ansetzen und gefördert werden: “Die Nacht hat bei den Jugendlichen, den Lehrkräften und den Eltern teils traumatisierende Spuren hinterlassen. In dieser Nacht wurde die Unterkunft der Jugendlichen von ca. 20 bis 30 Erwachsenen umstellt. Einige der angreifenden Personen postierten sich vor der Herberge, riefen rassistische Schimpfwörter und forderten eine der Lehrkräfte auf, herauszukommen”, berichtet Lukas Reuss, nachdem er zur Begleitung der Schüler*innen als eine Vertrauensperson hinzugezogen wurde.

Rechtsextremismus ist eine konkrete Gefahr

Rechtsextremismus ist eine konkrete Gefahr für viele Menschen und Personengruppen in unserer Gesellschaft. Nicht nur in Brandenburg oder im ländlichen Raum stehen wir vor der Herausforderung den “Normalisierungsprozessen” hinsichtlich Rassismus und Rechtsextremismus auf gesellschaftlicher und politischer Ebene entgegenzutreten. Das Programm Respekt Coaches hat den Sozialraum Schule im Fokus und verfolgt mit einem breiten Themenspektrum und professionellen Netzwerken das große Ziel, den demokratischen Zusammenhalt unter Jugendlichen zu stärken.  Dafür müssen ausreichend Mittel und eine langfristige Absicherung bereitgestellt werden, um nicht nur potenziell betroffene Personengruppen in ihrer Selbstwirksamkeit zu fördern, sondern auf der anderen Seite auch gezielt primärpräventive Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus leisten zu können.

Demokratie und Rechtsstaat als Grundlage für eine freie und solidarische Gesellschaft werden zugleich nicht alleine durch geförderte Programme gestärkt. Sie brauchen ein geregeltes Miteinander, das die Würde des Menschen nicht antastet und sie schützt, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert, soweit sie nicht Rechte anderer oder Sitten sowie die gemeinsame Ordnung verletzt, das Benachteiligungen durch persönliche Merkmale oder Lebensweisen verhindert. Jeder Mensch muss durchaus seine Meinung frei äußern dürfen, solange Gesetze dadurch nicht verletzt werden.

Verantwortung für die Demokratie – gegen Hass, Extremismus und Gewalt – tragen alle. Jene besonders, denen das Grundgesetz eine wichtige Rolle bei der politischen Gestaltung zuspricht. Umso irritierender, wenn Abgeordnete aus demokratischen Parteien – insbesondere mit christlichen Grundwerten – die populistischen und hetzenden Stimmen verstärken oder ohne Not mit eigenen Äußerungen anheizen. Das ist kein Spiel mit dem Feuer. Das ist ein Angriff auf die Demokratie, das Grundgesetz und den eigenen gesetzlichen Auftrag.

Autor*innen: Michael Scholl und Maryam Tiouri, BAG KJS;

Quelle: Bundeskriminalamt, Verband der Beratungsstellen für Betroffene Rechter, Rassistischer und Antisemitischer Gewalt e. V.; Lukas Reuss, Mitarbeiter im Respekt Coaches Programm beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.

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