Kolpingwerk Deutschland beschließt Grundlagenpapier Bildung

Auszüge aus dem „Grundlagenpapier Bildung“ des Kolpingwerks Deutschland:
“ … Bildung – eine Begriffsbestimmung
Bildung ist ein dynamischer, nie abgeschlossener Prozess, in dem der Mensch sich in Auseinandersetzung mit seinem sozialen Umfeld ein „Bild“ von der Welt macht und so seine Persönlichkeit und Identität entwickelt. …

Bildung im enger gefassten Sinne von Ausbildung und beruflicher Qualifikation baut auf Bildung im weit gefassten Sinne von „Daseinskompetenz“ auf. Diesen mehrdimensionalen Charakter von Bildung unterstrich auch Adolph Kolping im 19. Jahrhundert, indem er Tüchtigkeit als Lernziel und Tugend benannte. …

Bildung ist für das Kolpingwerk Weg und Ziel zugleich. Ihr lebensbegleitender und mehrdimensionaler Charakter wird im Leitbild des Kolpingwerkes Deutschland mit dem Attribut ganzheitlich beschrieben. Auch in der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ wird Bildung als „umfassende Formung der Person“ verstanden. Diesem Verständnis liegt eine „umfassende Sicht des Menschen“ zugrunde, nämlich „den unveräußerlichen Wert des Menschen und den Sinn seines Wachsens zu bekräftigen und zu rechtfertigen“. Ein christlicher Bildungsbegriff sieht den Menschen als ein Wesen, das in seiner Gottebenbildlichkeit aufgerufen ist, seine durch den Schöpfer verliehenen Anlagen zu entfalten und so noch mehr Mensch zu werden – eine Menschwerdung, die angelegt ist auf Reifung und Erfüllung. Angesichts dieser grundlegenden Verknüpfung der menschlichen Existenz mit Bildung kann man von einem Grundrecht sprechen. Dieses fußt unter anderem auch auf Artikel 26 der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

Bildung für Individuum und Gesellschaft
Bereits in der frühen Kindheit werden die Voraussetzungen für eine umfassende, selbstverantwortliche Bildungsfähigkeit gelegt. In der Familie und in den vorschulischen und schulischen Bildungsarrangements findet durch die Vermittlung von Werten, Sozialverhalten, von Lerntechniken und auf dieser Grundlage von allgemeinem, mit zunehmender Dauer der Bildungslaufbahn immer differenzierterem Wissen eine umfassende Orientierung und Handlungsbefähigung statt.

Die so verstandene Bildung ist Voraussetzung sowie integraler und untrennbarer Bestandteil eines gelingenden Lebens. Nicht nur das Individuum ist auf Bildung angelegt und angewiesen, sondern auch die Gesellschaft braucht sie als Ressource. Individuum und Gesellschaft profitieren wechselseitig von Bildung und leiden gleichermaßen unter Bildungsdefiziten.

Für den einzelnen Menschen kommt der beruflichen Bildung als Voraussetzung für die Teilhabe an Erwerbsarbeit besondere Bedeutung zu. Die Integration in Erwerbsarbeit ist ihrerseits eine zentrale Voraussetzung dafür, eigenständig sein materielles Auskommen zu sichern, Wohlstand zu erlangen, sich in der Erwerbsarbeit selbst zu verwirklichen und die Welt mit zu gestalten. …

… Auch außerhalb der Erwerbsarbeit bzw. ohne direkt nachvollziehbare Verwendung der erworbenen Kompetenzen profitieren Menschen von Bildung. Neben kognitiven und methodischen Fertigkeiten sind auch personale Kompetenzen wie Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen, Verantwortungsbewusstsein sowie Reflektionsvermögen, kulturelle und ästhetische Sensibilität nötig. Außerdem sind soziale Kompetenzen wie Empathie, Toleranz und Kritikfähigkeit wichtig. Alle diese Fähigkeiten bereichern das Leben des lernenden Menschen und sind für seine Gemeinschafts- und Gesellschaftsfähigkeit unverzichtbar. …

Das heißt auch, dass das Bildungssystem auf die unterschiedlichen Bedürfnisse des einzelnen Menschen passgenau eingehen muss. Daher betrachten wir Benachteiligtenförderung ebenso wie Hochbegabtenförderung als gleichwertige Bestandteile des Bildungssystems.

Förderung von Menschen mit Behinderung – Inklusion
Der Art. 24 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sichert Menschen mit Handicap u. a. ein individuelles Recht auf Bildung zu. Um dieses Recht zu verwirklichen, dürfen Menschen nicht aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden. Die Bedeutung der UN-Konvention zur Inklusion umfasst neben der Bildung alle Lebensbereiche des Menschen. Das Kolpingwerk sieht es als seine Aufgabe an, behinderte Menschen in allen Lebensphasen zu begleiten und ihre Rechte zu wahren, um ihnen ein Leben zu ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht.

Inklusion im Bereich der Bildung bedeutet, jeden Menschen individuell zu qualifizieren und bestmöglich zu fördern. Sie hat das Ziel, alle zu betreuenden Personen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen entsprechend ihrer Möglichkeiten adäquat zu fördern. Unabhängig davon kann dieses in eigenen speziellen Einrichtungen geschehen. Diese Menschen sind so zu stärken, dass sie ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben führen können und damit eine gleichwertige Teilhabe an unserer Gesellschaft erlangen.

Bildung in öffentlicher Verantwortung
Die Erstverantwortung der Eltern und Familien für die Erziehung und Bildung der Kinder steht in einem Spannungsverhältnis zur öffentlichen Verantwortung für das Bildungswesen. Gesellschaftliche Entwicklungen, gestiegene Anforderungen in der Arbeitswelt sowie prekäre Beschäftigungsverhältnisse erschweren die Erziehungsbedingungen und Erziehungsleistungen von Eltern.


Das christliche „Idealbild“ von Familie als Gemeinschaft von Mutter-Vater und Kinder ist in unserer Gesellschaft immer weniger anzutreffen. Erziehungsleistungen werden nicht in jeder Familie hinreichend erbracht. Mangelnde familiäre Betreuung und familiäre Sozialisation führen zu einer erschwerten Integration in die Gesellschaft. Kindertageseinrichtungen leisten hier kompensatorische Arbeit. Diese Einrichtungen auf einen reinen Ausgleich von Defiziten zu beschränken, würde aber die Möglichkeiten und Chancen verkennen, die ein erweiterter Anregungsraum bereits kleinen Kindern bietet.

Im weiteren Lebensverlauf kann die Schule mit ihrem Bildungsauftrag nicht jedes Erziehungsdefizit ausgleichen.

Bedarfsgerechte Ganztagsschulen sind eine notwendige und sinnvolle Erweiterung der Schullandschaft. Diese tragen den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung (z.B. zunehmende Erwerbstätigkeit beider Elternteile, erodierende familiäre Netzwerke). Die Ganztagsschule muss eine Option für Eltern und Schüler und Schülerinnen, darf aber nicht verpflichtend sein.

Somit stehen alle am Bildungsprozess Beteiligten in gemeinsamer Verantwortung.

Verlässlichkeit bei Strukturreformen
Die Debatte für und wider die Mehrgliedrigkeit in der Sekundarstufe und die frühe Differenzierung hat in den vergangenen Jahren zu einschneidenden Veränderungen, vor allem aber für große Unruhe in zahlreichen Bundesländern geführt.

Für Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer ist vorrangig, dass bei allen notwendigen und sinnvollen Reformen dennoch anhaltende Verlässlichkeit sichergestellt ist.

Mag man dem Bildungsföderalismus unter Wettbewerbsgesichtspunkten und wegen der ausgeprägten regionalen Unterschiede durchaus positive Seiten abgewinnen, so stellt sich die mangelnde innerdeutsche Durchlässigkeit doch als regelrechtes Mobilitätshindernis dar.

Bildungszugänge sichern
Es ist im öffentlichen Interesse, den Zugang zu Bildung zu erleichtern und so mittelbar zentrale gesellschaftliche Zukunftsressourcen zu schaffen.

Der Bildungsgrad der Gesellschaft steht im direkten Zusammenhang mit dem Wohlstandsgrad. Das gilt gerade für das Zeitalter der Globalisierung. Die Gesellschaft hat daher ein fundamentales Eigeninteresse an einem möglichst hohen Bildungsgrad. Bildungsmöglichkeiten gilt es lebenslang auszuschöpfen. Die Erhebung von Gebühren bzw. Abgaben ist nur berechtigt, wenn sie für die Nutznießer der Bildungsangebote zumutbar und leistbar ist und dadurch eine verbesserte Bildungsqualität erreicht wird.

Die Differenzierung der Schullandschaft in öffentliche und private Schulen ist Ausdruck der pluralen Gesellschaft, darf aber nicht das Ergebnis unterschiedlicher finanzieller Rahmenbedingungen sein. …

Das Kolpingwerk als Bildungsakteur
Bildung gehört zu Kolping. Sie war für Adolph Kolping der zentrale Ansatzpunkt, damit die jungen Menschen etwas aus ihrem Leben machen konnten. Sein Bildungsverständnis umfasste nicht nur die Vermittlung von Wissen und Qualifikationen, sondern eine ganzheitliche Befähigung zur Übernahme von Verantwortung für sich selbst und andere Menschen. Bildung in diesem Sinne durchzieht die Geschichte des Verbandes und prägt auch seine Gegenwart. Das Kolpingwerk leistet in seiner gesamten Bildungsarbeit einen wertvollen und nachhaltigen Beitrag. …

Berufliche Bildung für Menschen mit besonderem Förderbedarf
Die Kolpingeinrichtungen und -institutionen haben sich entsprechend der Intention Adolph Kolpings und des Leitbildes des Kolpingwerks zur Aufgabe gestellt, die Menschen mit besonderem Förderbedarf entsprechend ihrer individuellen Möglichkeiten in allen Lebensbereichen zu unterstützen und zu fördern.

Ziel dieser Arbeit ist es, Menschen in Umbruchsituationen zu stärken sowie benachteiligte und behinderte Menschen durch Vermittlung von Bildung zu unterstützen. Bereits Adolph Kolping hat sich auf Grundlage dieser Motivation um eine randständige Gruppe gekümmert. Die Kolping-Bildungswerke bzw. die Kolping-Bildungsunternehmen setzten mit dieser Arbeit konsequent den Auftrag ihres Gründervaters weiter um. („Die Nöte der Zeit werden euch lehren, was zu tun ist.“). Sie bewegen sich in einem Markt, der von Konkurrenz und Wettbewerb geprägt ist und in dem der Preis und nicht die Qualität ausschlaggebend ist.

Sowohl die vorberufliche als auch die berufliche Qualifikation bezieht sich nicht nur allein auf die Vermittlung von berufsbezogenen Kenntnissen und Fachwissen, sondern insbesondere auf die Persönlichkeitsentwicklung und -stabilisierung.

Wichtigstes Prinzip in der Berufsausbildung ist die sozialpädagogische Orientierung. Somit werden die praktische Ausbildung und das fachtheoretische Lernen mit Stütz- und Förderunterricht, mit Angeboten zur Persönlichkeitsentwicklung und mit sozialpädagogischer Hilfe in einem ganzheitlichem Ansatz verknüpft. Durch die Erhöhung des Qualifikationsniveaus sollen die berufliche Handlungsfähigkeit der Menschen mit besonderem Förderbedarf verbessert und die beruflichen Eingliederungschancen durch unterschiedliche Angebote gesteigert werden.


Die Kolping-Bildungswerke engagieren sich, bedingt durch die Erfahrungen im nachschulischen Bereich, auch im schulischen Bereich und im Übergang Schule – Arbeit.
Vielfältige Angebote wie offene und geschlossene Ganztagsschulbetreuung, Berufseinstiegsbegleitung, Schulsozialarbeit, aufsuchende Berufsschulsozialarbeit und weitere landesspezifische Angebote erweitern die Palette unserer Bildungsangebote.

Weitere Angebote sind Internate und Wohnheime für junge Menschen, vor allem im Bereich des sozialpädagogisch begleiteten Wohnens für junge Auszubildende sind wir im Rahmen der Jugendsozialarbeit ein anerkannter Träger. …

Schluss
Zusammenfassend wird in den folgenden sechs Punkten unser Verständnis von Bildung dargestellt: ## Menschen zu motivieren und zu helfen, sich ihren Begabungen entsprechend zu entwickeln und so ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten,
## Menschen in Bildungsfragen zu unterstützen und zu beraten,
## Menschen bei dem Aufbau und der Erweiterung ihrer beruflichen und persönlichen Existenz durch Bildungsangebote zu fördern,
## Menschen in Beschäftigung zu vermitteln bzw. bei der Vermittlung in Beschäftigung zu unterstützen,
## Menschen in Umbruchsituationen zu stärken sowie benachteiligte und behinderte Menschen durch Vermittlung von Bildung zu unterstützen,
## Menschen zu befähigen, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen.
Erfolgreiche Bildung wirkt nachhaltig, hinterlässt Spuren und bringt Veränderungen mit sich. “

Quelle: Kolpingwerk Deutschland

Dokumente: 67_Grundlagenpapier_Bildung___05_11_2011.pdf

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