EU-Kommission plant radikale Änderungen der EU-Förderstruktur ab 2028

Wichtige europäische Förderprogramme für die Jugendsozialarbeit, wie der bisherige ESF+, sollen in Deutschland nur noch sehr eingeschränkt und zentralisiert abgerufen werden können. Pläne der EU-Kommission ab 2028 würden Förderstrukturen in ihrer bisherigen regionalen Ausgestaltung („Landes- oder regionaler ESF“) vollständig abschaffen. Auch das europäische Bildungs- und Jugendprogramm Erasmus+ stünde vor Veränderungen.

Ende Oktober wurden Pläne der Kommission öffentlich, die eine radikale Abkehr von der bisherigen Förderstruktur befürchten lassen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat in einer Pressemeldung reagiert und vor den Plänen gewarnt.

Fokus auf politischen Inhalten

Die EU-Kommission plant für den Haushalt 2028 die bisherigen Programme straffer zu organisieren und weniger auf Programmpolitik zu setzen. Stattdessen soll der Fokus auf politischen Inhalten liegen, um Programme darauf abzustimmen. Diese Neuausrichtung wird als ein radikaler Neustart im EU-Haushalt beschrieben. Kernpunkt der geplanten Reformen ist die Einführung eines einzigen nationalen Programmplans pro Land. Die bisherigen Förderbereiche werden auf vier Hauptschwerpunkte reduziert:

  1. Kohäsion (Zusammenhalt): Die Strukturförderung soll vereinfacht werden, indem es pro Land nur noch ein nationales Programm gibt, alle bisherigen Förderprogramme in der Kohäsionspolitik* aufgehen und Reformen zentral vorgegeben werden. Dies bedeutet, dass bestehende Programme wie ESF+ und Interreg+ entfallen. Das könnte insbesondere die soziale Kohäsion schwächen.
  2. Wettbewerbsfähigkeit: Neben der Förderung von Innovationen und Wirtschaftswachstum wird in diesem Schwerpunkt auch das Bildungsprogramm Erasmus+ integriert. Der Jugendbereich von Erasmus+ droht aus den Bildungsprogrammen herausgelöst zu werden.
  3. Globales Europa: Dieser Punkt fokussiert auf internationale Projekte und Beziehungen, möglicherweise mit einem besonderen Augenmerk auf die Ukraine und andere strategische Partnerschaften.
  4. Verwaltung: Effizienz und Vereinfachung in der Verwaltung sollen ebenfalls eine zentrale Rolle spielen.

Die geplanten Änderungen könnten eine deutliche Verschiebung in der EU-Förderpolitik bedeuten, mit gravierenden Auswirkungen auf die bisherige Förderlandschaft und die Prioritäten der Mitgliedsstaaten.

Herausforderungen und Reformbedarfe

Mitte November trafen sich Vertreter*innen der Wohlfahrtsverbände in Brüssel, um den Stand dieser geleakten Haushalts- und Programmplanungen zu analysieren. Sie diskutierten dazu mit Vertreter*innen der EU-politischen Ebene. Eine Podiumsdiskussion zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU ab 2028 beleuchtete zentrale Herausforderungen und Reformbedarfe der EU-Förderpolitik. Hervorgehoben wurde:

Gefahr der Sektorenfixierung: Es besteht das Risiko, dass bei der Kohäsionspolitik* vor allem die Verkehrsinfrastruktur priorisiert wird, während soziale und bildungsbezogene Projekte an Bedeutung verlieren könnten.

Mit ihrer Kohäsionspolitik will die Europäische Union wirtschaftliche und soziale Unterschiede in den europäischen Regionen durch gezielte Investitionen ausgleichen. Ziel ist es, den Zusammenhalt innerhalb der EU zu stärken und den Wohlstand in allen Teilen Europas anzugleichen.

Soziale Kohäsion unter Druck: Vertreter*innen warnten davor, dass soziale Politik und Kohäsion politisch an den Rand gedrängt werden könnten, insbesondere durch die Verschiebung von Geldern aus sozialen Projekten in andere Bereiche wie Verteidigung.

Hoher Verwaltungsaufwand und Programmbürokratie: Über 50 % der Programmmittel fließen aktuell in die Administration, was den Handlungsspielraum für Projekte stark einschränkt. Hier besteht dringender Reformbedarf, um mehr Mittel direkt in Projekte fließen zu lassen.

Corona-Kredite als Belastung: Die Rückzahlung der durch die EU aufgenommen Corona-Kredite ab 2024 könnte den finanziellen Spielraum zusätzlich einengen und Kürzungen in sozialen Förderprogrammen forcieren.

Bedeutung für die Jugendsozialarbeit

Die bisherigen Analysen und Ergebnisse lassen auch klare Auswirkungen auf die Jugendsozialarbeit erkennen.

Gefährdung bewährter Förderungen: Viele Programme der Jugendsozialarbeit, insbesondere in der Jugendberufshilfe – wie Beschäftigungs- und Ausbildungsmaßnahmen für benachteiligte junge Menschen – sind stark auf regionale ESF+-Kofinanzierung angewiesen. Diese könnten durch die geplanten Einschnitte und Umstrukturierungen komplett wegfallen.

Regionale Abhängigkeiten: In Baden-Württemberg werden die regionalen ESF-Programme partnerschaftlich zwischen Trägern und Ministerien auf Landesebene und in regionalen Arbeitskreisen ausgehandelt. Diese bisher sehr erfolgreiche Föderalisierung und Subsidiarisierung von EU-Programmen, gerade in der Jugendberufshilfe, wäre zukünftig nicht mehr möglich. Beispiele wie die aktuelle ESF+ Förderung in Mecklenburg-Vorpommern zeigen, dass selbst grundlegende Angebote wie Schulsozialarbeit auf regionale ESF-Mittel angewiesen sind. Der Wegfall solcher Finanzierungen hätte massive Auswirkungen auf die Verfügbarkeit dieser Angebote.

Reformbedarf und politische Priorisierung: Es besteht ein großer Bedarf, soziale und jugendbezogene Projekte im Rahmen der neuen Struktur explizit zu priorisieren, weil diese essenziell für die Chancengleichheit und soziale Inklusion junger Menschen sind.

Die vorgeschlagenen Änderungen im EU-Haushalt ab 2028 könnten die Zukunft der Jugendsozialarbeit in Deutschland und ganz Europa negativ beeinflussen. Es ist essenziell, dass soziale Förderprogramme wie der ESF+ erhalten bleiben und Reformen gezielt dazu genutzt werden, die Effizienz der Mittelverwendung zu steigern, anstatt soziale Projekte in Europa zu gefährden.

Für das Jugend- und Bildungsprogramm Erasmus+ besteht die Gefahr, dass der Jugendbereich wieder aus der Erasmus-Programmstruktur herausgelöst wird und der für die internationale Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit wichtige Bereich der nonformalen Bildung weiter an Bedeutung verliert. Ebenso ist eine Entkoppelung der EU-Jugendbildungsprogramme von der Europäischen Jugendstrategie zu befürchten.

So geht es weiter

Im Juli 2025 wird die Kommission die Vorschläge für den mehrjährigen EU-Haushalt ab 2028 bis 2036 veröffentlichen und später die Vorschläge für eine neue Programmstruktur.

Das Europäische Parlament (EP) sollte eine aktivere Rolle spielen, um sicherzustellen, dass Entscheidungen nicht nur zwischen der Kommission und den Mitgliedsstaaten getroffen werden.

Die bundespolitische Ebene muss für die Lobbyarbeit gewonnen werden, der Bund muss sich für die Beibehaltung der regionalen Ausrichtung der Programmstrukturen einsetzen. Dieser zeigt bisher aber nur wenig Interesse. Die Bundesländer sind eindeutig gegen solche Planungen und haben sich schon entsprechend positioniert. Während der Jahreskonferenz der Regierungschef*innen und der Länder Ende Oktober 2024 in Leipzig fasste sie den Beschluss: Föderalismus und Subsidiarität beim EU-Haushalt wahren. Bis Ende des Jahres soll eine Bund-Länder-Abstimmung erfolgen und ein gemeinsames Positionspapier erstellt werden.

Wohlfahrtsverbände und Jugendhilfeorganisationen beginnen ihre politische Arbeit auf allen Ebenen, kritisieren die Planungen der Kommission und kämpfen dagegen. Ab dem Jahr 2025 müssen sie die positiven Elemente der Haushalts- und Programmplanungen hervorheben (Bürokratieabbau) und die „NoGos“ klar benennen: Keine Abschaffung der Regionalisierung und des Partnerschaftsprinzips. Die Organisationen müssen für die Beibehaltung der Erasmus+-Programmstruktur werben, auf Bundes- und Europaebene. Die BAG KJS wird im kommenden Frühjahr Gespräche mit Europaparlamentarier*innen zu den Programmen ESF+ und Erasmus+ führen und förderpolitische Veranstaltungen für die Jugendsozialarbeit organisieren.

 

Autor: Alexander Hauser, Fachreferent Jugendsozialarbeit & Europa der BAG KJS

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