Jugendarmut kein eigenständiges Thema im neuen Armuts- und Reichtumsbericht

Jugend (14 – 27 Jahre) wird im aktuellen Entwurf des Armuts- und Reichtumsbericht nicht als eigenständige Lebensphase herausgestellt sondern im Kontext von Familie oder im Zusammenhang mit dem Übergang von Schule und Beruf thematisiert. Jugendarmut findet im Bericht keine explizite Erwähnung.

Aus Perspektive der Jugendsozialarbeit enthält der Entwurf zum Armuts- und Reichtumsbericht jedoch eine Vielzahl relevanter Analysen und Informationen die im Folgenden bereits angerissen werden.

Aus dem aktuellen Entwurf zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom 17.09.2012:
Auftrag, Ziel und Datenlage
Die Bundesregierung ist durch die Beschlüsse des Bundestages vom 27. Januar 2000 und 19. Oktober 2001 aufgefordert, regelmäßig in der Mitte einer Legislaturperiode einen Armutsund Reichtumsbericht vorzulegen. Gemäß diesem Auftrag setzt die Bundesregierung mit dem vorliegenden 4. Armuts- und Reichtumsbericht die 2001 begonnene Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Deutschland fort. Daten und Analysen geben Orientierung und schaffen eine Grundlage für empiriegestützte Politik. Dargestellt und analysiert werden primär die Entwicklungen der vergangenen vier Jahre. Es handelt sich damit nicht um einen Trendreport mit Szenarien und Prognosen aufgrund von Modellrechnungen. …

Da die Erfolgs- und Risikofaktoren in den verschiedenen Lebensphasen eines Menschen (frühe Jahre, junges Erwachsenenalter, mittleres Erwachsenenalter, älteres und ältestes Erwachsenenalter) unterschiedlich sind und frühere Lebensphasen die Chancen in den späteren beeinflussen, orientiert sich der Bericht, Empfehlungen aus der Wissenschaft folgend, an den Lebensphasen.

Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die entscheidenden Weichenstellungen (Übergänge wie z. B. Schuleintritt, Wechsel auf eine weiterführende Schule oder von der Schule in die Ausbildung) in den einzelnen Lebensphasen für die erfolgreiche Teilhabe insbesondere am Bildungs- und Erwerbssystem und am gesellschaftlichen Leben gelegt. An diesen Übergängen wirken Risiko- und Erfolgsfaktoren in besonderer Weise und entscheiden über Teilhabeergebnisse für den weiteren Lebensweg. Subjektive Sichtweisen der Bevölkerung und einzelner Personengruppen werden im engen Zusammenhang mit objektiven Befunden in die Berichterstattung einbezogen, da auch Erwartungen und Einstellungen das Verhalten der Menschen mitprägen und damit auch ihre Lebenssituation. …

Jedes Kind braucht gute Bildungschancen
Bereits die Dauer frühkindlicher Betreuungs- und Bildungserfahrungen hat Einfluss auf die Schuleignung, die Lesekompetenz am Ende der Grundschulzeit und die Übergangschancen zu einer höherqualifizierenden Schule. Der erreichte Schulabschluss wiederum prägt die Übergangschancen in die Berufsausbildung, die Position am Arbeitsmarkt, die Weiterbildungsbeteiligung und damit die Häufigkeit und Dauer von Phasen der Arbeitslosigkeit und relativ geringem Einkommen sowie das Einkommen im Alter. Darüber hinaus beeinflusst der Bildungsstand eines Menschen seine Reaktionsmöglichkeiten in schwierigen Lebensabschnitten: Bildung hilft, Phasen des Alleinerziehens, der Arbeitslosigkeit, der Krankheit oder mit relativ geringem Einkommen zu meistern und zu überwinden. Auch das Gesundheitsverhalten eines Menschen, sein bürgerschaftliches Engagement und seine soziale Vernetzung werden vom erreichten Bildungsgrad mitbestimmt.

Das deutsche Bildungssystem ist damit heute weniger als andere europäische Bildungssysteme (insbesondere Finnland und Dänemark) in der Lage, benachteiligte Kinder in ihren aktuellen Klassenverbänden zu fördern und damit familiär bedingte Bildungsungleichheiten auszugleichen.
Eine wesentliche Ursache dafür ist klar zu benennen: Es fehlt hierzulande noch immer an angemessener Kinderbetreuung und Ganztagsschulen. Insbesondere bei innerfamiliär selten
geförderten Kindern erweist sich die langjährige Nutzung der Kindertagesbetreuung als ergänzendes Bildungsangebot, das das Kompetenzniveau der Kinder deutlich anheben kann. Ein dauerhafter und regelmäßiger Besuch qualitativ hochwertiger Angebote einer Ganztagsschulewirkt sich positiv auf die Entwicklung des Sozialverhaltens, der Lernmotivation und der schulischen Leistungen aus. Darüber hinaus spielt die Zusammensetzung der Schülerschaft (mit und ohne Migrationshintergrund) in den Grundschulklassen sowie die Entscheidungsnotwendigkeit der Eltern an mehreren Schwellen des Bildungssystems eine Rolle.

Doch nicht nur die formale, d. h. die vorschulische und schulische, Bildung wird von der Herkunft der Eltern beeinflusst. Schon das Freizeitverhalten von Kindern vor dem Schuleintritt ist deutlich von ihrem sozialen Hintergrund geprägt. Kinder aus benachteiligten Familien nehmen deutlich seltener an außerhäuslichen Aktivitäten teil als Kinder aus Familien, die besser gestellt sind.

Was weiter zu tun ist: ##Die Anstrengungen aller Akteure für den notwendigen qualitativen und quantitativen Ausbau von Kindertagesbetreuung und stärker gebundener Ganztagsschulen über das Jahr 2013 hinaus sollten verstärkt werden.
##Umsetzung des Zehn-Punkte-Programms der Bundesregierung für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung.
##Die bildungspolitisch immer deutlicher erkennbare Tendenz zur Abschaffung der Hauptschulen muss konsequent angegangen werden, um die hierarchische Stufung des Bildungsangebotes und der Bildungserwartungen zu reduzieren.
##Die Bundesregierung setzt sich im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention dafür ein, dass inklusives Lernen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit wird. Jedes Kind hat Anspruch auf individuelle Förderung, Unterstützung, Entwicklung und Bildung. Es gilt, das bestehende ausdifferenzierte Fördersystem zu nutzen, um alle Schülerinnen und Schüler in einer Klasse bzw. unter einem Dach zu unterrichten.
##Zivilgesellschaftliches Engagement muss für schulnahe Kultur- und Sportangebote sowie vielfältige Freizeitgestaltung insbesondere für benachteiligte Kinder über das Bildungspaket hinaus (z. B. Stiftungen) mobilisiert werden.

Auch unterlassene Bildung in jungen Jahren führt zu vielfach höheren individuellen und gesellschaftlichen Folgekosten etwa durch Nachqualifizierung, Maßnahmen im Übergangsbereich, geringe Erwerbspotenziale und häufige Arbeitslosigkeit. Dennoch leistet sich Deutschland auch im Primar- und Sekundarbereich pro Kopf der Schülerinnen und Schüler Ausgaben unterhalb des OECD-Länderdurchschnitts (2008). Hohe Folgekosten entstehen vor allem, wenn junge Menschen keinen Ausbildungsabschluss erreichen. Rund drei Viertel der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren ohne einen Ausbildungsabschluss haben maximal einen Hauptschulabschluss.

In einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin wurden die Folgekosten ungenutzter Bildungspotenziale abgeschätzt, operationalisiert als Fehlen eines beruflichen Ausbildungsabschlusses. …

Eine Politik, die Armutsrisiken nachhaltig bekämpfen und bessere Chancen für soziale Mobilität organisieren will, muss deshalb zielgenauer in die individuelle Förderung von Kindern investieren, da hier die entscheidenden Weichen für zukünftige Teilhabe gestellt werden.

Was weiter zu tun ist: ##Alle staatlichen Ebenen müssen sich noch stärker als bisher dafür einsetzen, die Startchancen aller Kinder zu verbessern. Es ist auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen, wie die Finanzausstattung für Bildung durch neue Einnahmequellen verbessert werden kann.
##Bund und Länder sollten mit Blick auf Artikel 91b Absatz 2 Grundgesetz zukünftig die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems nicht nur gemeinsam feststellen, sondern sicherstellen dürfen.
##Die Attraktivität von Erzieherberufen muss bereits kurzfristig erhöht werden. Die Bundesregierung wirbt in einer gemeinsame Initiative mit den Berufsfachverbänden und Gewerkschaften für den Erzieherberuf.
##Der Nationale Aktionsplan Integration verfolgt das Ziel, mehr pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund sowie interkulturell besser geschultes Personal zu gewinnen.

Zweite Chancen eröffnen und lebenslanges Lernen fördern
Die Teilhabechancen von jungen Menschen sind mit Blick auf eine Berufsausbildung und den Arbeitsmarkt für diejenigen am geringsten, die keinen Schulabschluss erreicht haben. Erfreulich ist, dass insgesamt immer weniger Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Ihr Anteil an der Bevölkerung von 15 bis 17 Jahren ist von 7,7 Prozent im Jahr 2007 auf 6,5 Prozent im Jahr 2010 gesunken. Hinzu kommt der Umstand, dass zahlreiche junge Menschen zu einem späteren Zeitpunkt, im Allgemeinen im Rahmen des Übergangsbereichs und der dualen Berufsausbildung, den Hauptschulabschluss nachholen. Trotz der erfreulichen Entwicklung lag Deutschland im Jahr 2010 damit nur im europäischen Mittelfeld.

Ähnlich schlechte Ausbildungs- und Berufschancen haben Jugendliche und junge Erwachsene, die nur über einen Hauptschulabschluss verfügen. In der Altersgruppe der 24- bis unter 35- Jährigen blieben nach Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2007 rund 1,5 Mio. junge Menschen ohne Ausbildungsabschluss, die Hälfte davon trotz eines Hauptschulabschlusses, etwa ein Viertel ohne Schulabschluss und ein weiteres Viertel mit Realschulabschluss. Auch im Jahr 2011 landeten 295.000 junge Menschen nach Schulabschluss zunächst im Übergangsbereich und nicht in einer Ausbildung. Wie können diesen Personen neue Chancen zur Integration und Teilhabe eröffnet werden? Als erfolgreich hat sich die Förderung von jungen Menschen erwiesen, die (höherwertige) Schulabschlüsse über das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nachholen. Es konnte belegt werden, dass dies tatsächlich bei vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu einer späteren Berufsausbildung führt. Ein Vergleich der 20- bis 24- Jährigen mit den 25- bis 29-Jährigen zeigt z. B., dass in Deutschland der Abschluss des Sekundarbereichs II (Hochschulreife bzw. abgeschlossene Berufsausbildung) häufig in späteren Jahren nachgeholt wird. Lag im Jahr 2010 der Anteil der 20- bis 24-Jährigen ohne diesen Abschluss bei 25,6 Prozent, waren es bei der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen hingegen nur noch 13,5 Prozent. Solche Perspektiven einer „zweiten Chance“ stabilisieren die jungen Erwachsenen in einer schwierigen Phase im Lebensverlauf.

Zunehmend setzt sich zudem die Erkenntnis durch, dass eine frühzeitige systematische Berufsberatung und -orientierung sowie die Förderung berufsübergreifender Schlüsselkompetenzen bereits während der Schulzeit für gelingende Übergänge von der Schule in eine Berufsausbildung und das Berufsleben unerlässlich sind. Eine dringende Notwendigkeit für weitere Bildungsanstrengungen besteht darüber hinaus bei Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können. 7,5 Mio. Menschen in Deutschland im Alter von 18 und 64 Jahren können keine zusammenhängenden Texte lesen oder schreiben und zählen damit zu den so genannten funktionalen Analphabeten.

Selbst eine abgeschlossene Berufsausbildung genügt aufgrund der wechselnden Arbeitsbedingungen in den meisten Fällen nicht mehr, um die gesamte künftige Berufslaufbahn erfolgreich zu meistern. Vor diesem Hintergrund hat der Ansatz des lebenslangen Lernens in den vergangenen Jahren Bedeutung gewonnen. Der Ansatz nimmt die gesamte Bildungsbiografie des Individuums in den Blick und löst die bisherige Konzentration der Bildungszeiten auf bestimmte Lebensphasen mit definierten Bildungszielen ab. Es gilt, Fähigkeiten und Fertigkeiten ein Leben lang an neue Entwicklungen anzupassen, um möglichst lange den sich stetig wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt gewachsen zu bleiben.

Studien belegen, dass die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen das Arbeitslosigkeitsrisiko reduziert. Eine zentrale Stellung nimmt dabei neben der individuellen berufsbezogenen und nicht-berufsbezogenen Weiterbildung die betriebliche Weiterbildung ein. …

Was weiter zu tun ist: ##Im Dezember 2011 wurde von der Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern eine gemeinsame nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland initiiert. Weitere Partner werden sich 2012 anschließen. Im ersten Schritt wird 2012 eine öffentlichkeitswirksame Kampagne gestartet, die Betroffene und ihr direktes Umfeld anspricht und gleichzeitig in der breiten Öffentlichkeit zur Sensibilisierung und Enttabuisierung des Themas beiträgt.
##Die Weiterbildungsbemühungen in allen Altersgruppen und bei allen formalen Bildungsvoraussetzungen müssen intensiviert werden. Ziel ist es, die Weiterbildungsbeteiligung von 43 Prozent der Erwerbstätigen aus dem Jahr 2006 bis zum Jahr 2015 auf 50 Prozent zu erhöhen. Dies ist vor allem eine Aufgabe der Betriebe.
##Die bis 2013 befristete Möglichkeit für erweiterte Berufsorientierungsmaßnahmen der Agentur für Arbeit in Kofinanzierung mit Dritten, hauptsächlich den Ländern, soll dauerhaft in das Regelinstrumentarium übernommen werden. Damit sollen die Berufsorientierungsmaßnahmen dauerhaft mehr Flexibilität gewinnen und so die Prävention von missglückten Übergängen von der Schule in den Beruf gestärkt werden.“

Den Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts in vollem Umfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.

http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Einkommen-Armut/Dokumente/Entwurf%204.%20Armutsbericht%20der%20Bundesregierung%2017.9.2012.pdf

Quelle: www.sozialpolitik-aktuell.de

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