Enttäuschung ist ein wesentlicher Grund für junge Menschen, die AfD zu wählen. Gebrochene Wahlversprechen demokratischer Parteien und das Gefühl, dass Probleme nicht gelöst werden, treibt junge Erstwählende in die Arme der demokratiefeindlichen Partei. Dabei ist offensichtlich egal, dass die AfD Lösungen verspricht, die nicht machbar sind. Eine Chance für die Demokratie bleibt: Die erste Wahl muss nicht das letzte Wort sein. Das haben die befragten jungen Menschen in der Studie „Wer sind die Neuen?“ vom Campact-Thinktank TTRex und das Progressive Zentrum betont.
Zunächst hatten alle Teilnehmer*innen an der Untersuchung jedoch bei der Bundestagswahl 2025 erstmals der AfD ihre Stimme gegeben – bei vorherigen Wahlen eine andere Partei oder nicht gewählt. In Gesprächen mit 26 Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren analysierten die Forschenden Gründe für die Wahlentscheidung: „Es überwiegt der Eindruck, die demokratischen Parteien hätten versagt – insbesondere bei den Themen Migration und innere Sicherheit“, bilanzieren die Autor*innen der Studie. Die Strategie der AfD, beide als zentrale Themen zu platzieren und zugleich den demokratischen Parteien die Problemlösungskompetenz abzusprechen, ging auf. Zitiert wird in der Analyse ein junger Mensch mit den Worten: „Die AfD hat 95 Prozent Müllthemen und 5 Prozent ein Thema, das gut ist und das ist eben die Migration.“ Die AfD-Erstwähler*innen fühlen sich außerdem stark verunsichert und empfinden die Zukunft Deutschlands wie ihre persönliche als ungewiss. Wer gewählt werde, müsse „liefern“ – und zwar gleich. Dieses Missverständnis von demokratischen Prozessen prägt den Blick auf die Demokratie: schnelle Entscheidungen statt Debatten und Kompromisse.
Restriktiver Blick gegen progressive Position
„Die restriktive Perspektive der Befragten auf die Themen Migration und Asyl steht zum Teil in starkem Kontrast zu sonst teilweise eher progressiven Positionen in Bereichen wie Klima- und Energiepolitik oder Frauenrechten – vor allem dem Abtreibungsrecht“, schreibt das Progressive Zentrum in einer Information zur Studie. Bei diesen Themen sehen die Befragten keine Kompetenzen in der AfD, deren rechtsextreme Positionen werden ausdrücklich abgelehnt. Ein deutlicher Hinweis an die demokratischen Parteien, nicht mit dem Migrationsfeuer zu spielen, sondern jungen Menschen ein seriöses Politikangebot zu unterbreiten. Denn junge Menschen wollen gesehen und mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und guten Zukunftsperspektiven ernst genommen werden. Wer das unterlässt, erntet Protest, der auf dem Stimmzettel ausgedrückt wird.
Derbheit und Provokation verfangen
Die Stärke der AfD liegt nicht in guten Zukunftsperspektiven; ihr Gebaren ist aber offensichtlich ansprechend. In der Analyse heißt es: „Derbe Wortwahl, provokante Auftritte, aber auch radikale Inhalte zeigen zumindest deutlich, dass die AfD etwas anders macht als die anderen. Dies gilt als mutig“. Im Widerspruch steht, dass die meisten der Befragten eher den Wunsch nach einem ruhigen, sogar konservativ-biederen Lebensstil haben. Widerspruch ist zugleich ein Markenzeichen der Jugend.
Die Analyse gibt nicht nur den demokratischen Parteien Hinweise, welche Angebote junge Menschen ansprechen. Fachkräfte der Jugendsozialarbeit können Erkenntnisse für die Demokratiebildung ableiten: Haltung zeigen, überprüfbare Fakten nennen, zuhören und demokratische Prozesse durch Beteiligung anbieten.
Auswertung des Statistischen Bundesamtes
Mit Abstand zur Bundestagswahl hat das Statistische Bundesamt (Destatis) eine repräsentative Wahlstatistik vorgelegt – und den Einfluss junger Menschen auf Wahlergebnisse dokumentiert: Obwohl sich alle Wähler*innen in den Altersgruppen bis 44 Jahren stärker als bei vergangenen Wahlen beteiligten, zieht Destatis den Schluss: Zusammen mit ihrer Wahlbeteiligung hat der Einfluss der „60plus“-Generation deutlich mehr Einfluss auf das Wahlergebnis genommen. Bei den Parteipräferenzen werden die Jungen ebenfalls vom Vorwurf entlastet, die AfD gestärkt zu haben: „Bei den jüngsten Wähler*innen bis 24 Jahre dominierten Die Linke (27,3 % aller gültigen Zweitstimmen), in den darauffolgenden Altersgruppen von 25 bis 34 sowie 35 bis 44 Jahren jeweils die AfD (20,8 % bzw. 27,1 %) und in den übrigen Altersgruppen ab 45 Jahren die Unionsparteien CDU und CSU (45 bis 59 Jahre: 28,7 %, 60 bis 69 Jahre: 31,6 % und 70 Jahre und mehr: 41,4 %)“. Bitter für die SPD: Sie erhielt ihren stärksten Zuspruch von den ab 70-Jährigen mit 24,9 % (hinter den Unionsparteien).
Text: Michael Scholl