Eine Lösung für die Kinder- und Jugendgrundsicherung in Sicht?

Antworten auf die Fragen, wie genau die Kindergrundsicherung aussehen wird und wie viel Geld sie kosten darf, sind laut Bundesfamilienminister Lisa Paus (Grüne) in den nächsten Wochen zu erwarten. In den Tagesthemen (Montag) bestätigte Paus, dass man jetzt ein Einvernehmen in der Koalition hergestellt habe. Monatelang dauerten die Auseinandersetzungen zwischen Paus und Bundesfinanzminister Christian Linder (FDP). Paus veranschlagt für die Kindergrundsicherung jährlich rund 12 Milliarden Euro. Linder ist das zu viel. Kurz vor den Verhandlungen des Bundeskabinetts über den Bundeshaushalt 2024 sowie einen mittelfristigen Finanzplan hatte Linder 2 Milliarden Euro pro Jahr in Aussicht gestellt. Diese dienten als Platzhalter, führte Paus im Gespräch mit den Tagesthemen aus. Der konkret benötige Mittelbedarf bleibt noch offen. Bundeskanzler Olaf Scholz forderte Anfang dieser Woche von Paus, dass sie bis Ende August einen Gesetzentwurf vorlege. Paus versprach im Tagesthemen-Interview tatsächliche Leistungsverbesserungen, nicht nur eine organisatorische Zusammenfassung bisheriger einzelner familienpolitischer Leistungen. Es seien nur noch „kleine Dinge“ miteinander zu klären.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAG FW) hatte von Scholz eine schnelle Einführung der Kindergrundsicherung gefordert. Eine Einigung über die Finanzierung sei dringend nötig, heißt es in einem Brief an den Bundeskanzler, sonst könnte das sozialpolitische Vorzeigeprojekt der Ampel scheitern. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. hatte bereits im Kontext der Veröffentlichung des Monitors „Jugendarmut in Deutschland 2022“ dazu aufgerufen, die Kinder- und Jugendgrundsicherung zügig und auskömmlich umzusetzen und damit auch strukturelle Armut zu bekämpfen. Die Bertelsmann Stiftung legt in einem Policy Brief aktuelle Daten zur Kinder- und Jugendarmut in Deutschland vor. Sie gibt auch einen Überblick über den Forschungsstand zu den ökonomischen Auswirkungen einer Kindergrundsicherung und bietet damit eine sachliche Diskussionsgrundlage.

Armut bekämpfen und Bürokratie abbauen

Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP die Kindergrundsicherung als eines ihrer wichtigsten sozialpolitischen Projekte beschlossen. Sie soll unter anderem das Kindergeld, den Kinderzuschlag, das Bürgergeld für Kinder und Teile des Bildungs- und Teilhabepakets zu einer einheitlichen Leistung zusammenfassen. Bisher gibt es keine Einigung über die konkrete Ausgestaltung, die Höhe der Leistung oder ihre Finanzierung. Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 ausgezahlt werden. Paus und Linder streiten sich schon seit Monaten über die Finanzierung. Paus will familienpolitische Leistungen nicht nur vereinfachen, sondern die Unterstützung für arme Kinder und Jugendliche auch erhöhen. Die Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung über die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung gehen laut Scholz über den Sommer weiter.

Ende Juni (29.06.2023) hatte sich die BAG FW mit einem dringenden Appell um zügige Klärung an den Bundeskanzler gewandt. Die Spitzen der Wohlfahrtspflege in Deutschland sind besorgt, dass eine armutsfeste Kindergrundsicherung in dieser Legislaturperiode scheitern könne. Die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland hatten zumindest eine Einigung auf die Eckpunkte noch vor der parlamentarischen Sommerpause angemahnt.

Mit entsprechender Ausgestaltung der Kindergrundsicherung Armut effektiv bekämpfen

Zuvor verabschiedete der Deutsche Verein (DV) am 21. Juni 2023 Empfehlungen zur Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung. Mit diesen Empfehlungen könne der anspruchsvolle Prozess zur Einführung einer Kindergrundsicherung begleitet und unterstützt werden, so der DV. Bei entsprechender Ausgestaltung der Kindergrundsicherung könne Armut von Kindern und Jugendlichen effektiv bekämpft, Teilhabemöglichkeiten verbessert und Chancen eröffnet werden. Gleichzeitig könne und solle das bestehende System damit vereinfacht werden. Maßgeblich dafür sei, dass alle anspruchsberechtigten Kinder, Jugendlichen und Familien tatsächlich auch erreicht würden und sich für diese aus der Kindergrundsicherung sowohl monetär als auch organisatorisch ein Mehrwert ergebe. Dabei seien insbesondere Kinder, Jugendliche und Familien in den Blick zu nehmen, die von Armut betroffen oder bedroht sind.

Die Kindergrundsicherung ist ein ökonomischer Gewinn

Die Bertelsmann Stiftung präsentiert in ihrem Policy Brief „Kinderarmut und Kindergrundsicherung“ einschlägige und aktuelle Forschungserkenntnisse zum ökonomischen Nutzen einer Kindergrundsicherung. Insbesondere US-amerikanische Studien zeigten, dass sich Maßnahmen zur Armutsvermeidung in den ersten Lebensjahren von Kindern mittel- und langfristig für den Staat auszahlen. Die Bertelsmann Stiftung betont, um Kinderarmut wirksam zu vermeiden und jungen Menschen ein gutes Aufwachsen, Bildung und Teilhabe zu ermöglichen, müsse die Kindergrundsicherung höher sein als die heutigen jeweiligen Regelbedarfe.

Bereits im Monitor „Jugendarmut in Deutschland 2022“ hatte Prof. Marcel Fratzscher unmissverständlich deutlich gemacht, dass sich die Investition in junge Menschen ökonomisch rechne, und der Staat damit langfristig Geld spare. Er forderte, die Kindergrundsicherung klug und zugleich zügig umzusetzen.

Ob und in welcher Weise die Empfehlungen zum Tragen kommen, wird sich frühestens Ende August zeigen. Dann will Bundesfamilienministerin Paus einen Gesetzentwurf vorlegen, den das Kabinett beschließen soll.

Quelle: Deutscher Verein; BAG FW; Deutscher Caritasverband; BAG KJS; epd; Tagesschau

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