Geschönte Lage auf dem Ausbildungsmarkt?

Auszüge aus der DGB-Analyse „Klein gerechnet – Wie der Ausbildungspakt die Lage auf dem Ausbildungsmarkt schönt“:
“ … Ein tieferer Blick in die aktuelle, offizielle Ausbildungsstatistik zeigt höchst problematische Entwicklungen. Im Jahr 2012 wurden lediglich 551.271 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Dieses bedeutet ein Minus von 3,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Einen ähnlich niedrigen Wert gab es seit der Wiedervereinigung nur im Jahr 2005. Am Ende standen nach den Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) rein rechnerisch 100 Bewerberinnen und Bewerbern nur 89 betriebliche Ausbildungsplätze offen.

Die Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Statistischen Bundesamtes deuten darauf hin, dass es in der Bilanz der Partner des Ausbildungspaktes methodische Mängel gibt. Solche Mängel sind besonders gravierend, da die Ausbildungsmarktstatistik darauf abzielen muss, die Lage auf dem Ausbildungsmarkt und die Situation junger Menschen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz realistisch und ungeschönt darzustellen. Sie muss den politisch Verantwortlichen klar aufzeigen, an welchen Stellen nachgesteuert werden muss. …

Fazit ## Junge Bewerber: Nicht alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, werden als Bewerber in der offiziellen Statistik gezählt. Jugendliche, die nach dem Profiling der Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht als „ausbildungsreif“ deklariert werden, erhalten keinen Bewerberstatus und fallen aus der offiziellen Ausbildungsbilanz somit gänzlich heraus. Auf diese Weise wird die Ausbildungsbilanz „freundlicher“ gestaltet.
## Offiziell unversorgte Bewerber: Auch im Jahr 2012 gab es 15.650 junge Bewerber, die weder einen Ausbildungsplatz noch eine Ersatzmaßnahme bekommen haben. Es ist unstrittig, dass diese Jugendlichen als unversorgt gezählt werden müssen.
## Bewerber in Warteschleifen mit Vermittlungsauftrag (alternativer Verbleib): Der Ausbildungspakt rechnet aber auch Jugendliche als „versorgt“, die von der BA als „ausbildungsreif“ eingestuft wurden und trotzdem in Ersatzmaßnahmen (Praktika, Einstiegsqualifizierungen berufsvorbereitende Maßnahmen etc.) „geparkt“ wurden. Von diesen Jugendlichen haben aber allein 2012 60.379 junge Menschen der BA angezeigt, dass sie aktuell noch einen Ausbildungsplatz suchen. Um ein realistischeres Bild der Lage auf dem Ausbildungsmarkt zu bekommen, müssten … diese Jugendlichen als unversorgt eingestuft werden. …
## Bewerber, deren Verbleib nicht bekannt ist: Im Ausbildungsjahr 2012 gab es 89.933 junge Bewerber, deren Verbleib aus Sicht der BA unbekannt ist.
## Ausbildungsinteressierte: Um ein realistisches Bild der Lage auf dem Ausbildungsmarkt zu bekommen, hat das Bundesinstitut für Berufsbildung die Kategorie der Ausbildungsinteressierten entwickelt. Hier werden Jugendliche erfasst, die einen Ausbildungsvertrag bekommen haben, sowie all jene Bewerber, die laut Statistik der BA nicht in eine berufliche Ausbildung eingemündet waren. Insgesamt gab es 2012 exakt 824.626 Bewerber, von denen aber nur 551.271 junge Menschen einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben. Damit mündeten lediglich 66,9 Prozent der Bewerber tatsächlich in eine duale Berufsausbildung ein.
## Die Gesamtschau der Daten zeigt: Die These, dass es in Deutschland mehr offene Ausbildungsplätze als Bewerber gibt, ist schlicht falsch. Von einem Bewerbermangel kann nicht die Rede sein. Während der Ausbildungspakt offiziell nur von 15.650 unversorgten Bewerbern spricht, zählt er allein 2012 exakt 273.355 junge Menschen als „versorgt“, die von der BA als „ausbildungsreif“ eingestuft wurden, aber nicht in eine vollqualifizierende Ausbildung vermittelt wurden. …
Die Ausbildungsbilanz der Pakt-Partner ist somit Teil des Problems auf dem Ausbildungsmarkt. Wir brauchen deshalb eine ehrliche Ausbildungsmarktstatistik, die Jugendlichen und politischen Entscheidungsträgern die tatsächliche Lage aufzeigt.

Hierfür sind folgende Maßnahmen notwendig: ## Für eine ungeschönte Ausbildungsmarktbilanz – Jugendliche in Warteschleifen sind nicht „versorgt“: Die Bilanz auf dem Ausbildungsmarkt wird immer erst dann gezogen, wenn die meisten erfolglosen Bewerberinnen und Bewerber bereits in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Länder eingemündet sind und auf diese Weise „versorgt“ wurden. Das verfälscht die Situation der Jugendlichen. Die Bilanz scheint ausgeglichen zu sein, obwohl noch viele auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Wir brauchen daher einen Paradigmenwechsel: Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, dürfen in der Statistik nicht als „versorgt“ gezählt werden. Junge Menschen, die in Warteschleifen „geparkt“ werden, müssen auch als unversorgte Bewerber geführt werden. Nur so lässt sich ein realistisches Bild vom Ausbildungsmarkt zeichnen.
## Für eine genaue Ausbildungsmarktbilanz mit regionalen und monatlichen Angaben: Die Partner des Ausbildungspakts orientieren sich bei ihrer Bilanz an den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mit Stichtag 30. September eines Jahres. Zu diesem Zeitpunkt sind längst viele Jugendliche in den Warteschleifen der Bundesagentur und der Länder verschwunden. Hinzu kommt, dass die Angaben zur Entwicklung der Zahlen in den Warteschleifen und der Schulberufe erst mit einer einjährigen Verspätung vorliegen. … Um Entwicklungen frühzeitig erkennen zu können, brauchen wir mehr als ein jährliches Schlaglicht zum 30. September. Regionalen und monatlichen Daten muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, um einen genauen Überblick über den Vermittlungsstatus Bewerbern zu bekommen. … Die Verantwortung für eine bessere regionale und monatliche Ausbildungsmarktstatistik liegt bei den Ländern. Die Landesausschüsse für Berufsbildung werden aufgefordert, hier aktiv zu werden.
## Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, müssen auch als Bewerber in der Statistik gezählt werden: Nicht alle Jugendlichen, die sich auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz an die Bundesagentur für Arbeit wenden, werden als „Ausbildungsstellenbewerber“ gezählt. Die BA sorgt frühzeitig für eine Auslese der jungen Menschen. Jugendliche werden als nicht ausbildungsreif deklariert und verschwinden als Bewerber aus der Statistik. Es darf nicht länger Teilnehmer erster und zweiter Klasse geben. Jeder Wunsch nach Ausbildung ist gleich viel Wert. Möglichen individuellen Defiziten muss durch Beratung, Hilfe oder Förderung begegnet werden. Jugendliche, die bis kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres keinen voll qualifizierenden Ausbildungsplatz gefunden haben, müssen spätestens zu diesem Zeitpunkt nach ihren Prioritäten gefragt werden. Sind sie weiterhin an einer voll qualifizierenden Berufsausbildung interessiert, müssen sie als Ausbildungsinteressierte erfasst werden.
## Für den Aufbau einer integrierten Ausbildungsmarktstatistik: Die Ausbildungsmarktstatistik ist unübersichtlich. Zahlreiche Einrichtungen erheben Daten, verschiedene Institutionen sind bei deren Aufbereitung involviert und veröffentlichen ihre jeweiligen Ergebnisse zu unterschiedlichen Stichtagen. Es wird vornehmlich auf die Bewerberstatistik der Bundesagentur für Arbeit sowie auf die Prozesse am Ausbildungsstellenmarkt fokussiert. Ergebnisse der Schulstatistik hingegen werden öffentlich kaum wahrgenommen. … Wir brauchen eine differenzierte Gesamtschau aller Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote im Ausbildungssystem. Eine bessere Ausbildungsstatistik, die alle relevanten Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote in den Blick nimmt, ist somit dringend erforderlich, um die Ausbildungssituation der Jugendlichen fundierter einschätzen zu können. Das beinhaltet die Zusammenlegung mehrerer Teilstatistiken, die auf Bundes- und auf
Landesebene erhoben werden. … Bund und Länder werden aufgefordert, auf der Grundlage des Vorschlags einer integrierten Ausbildungsstatistik (mit Individualdaten) für das Land Hessen entsprechende Initiativen zu starten.“

www.dgb.de/themen/++co++c1212a0c-6fa7-11e2-8a80-00188b4dc422

Quelle: DGB Bundesvorstand

Dokumente: DGB_Analyse_zur_Aussagekraft_der_offiziellen_Ausbildungsstatistik.pdf

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