Ein Kommentar von Silke Starke-Uekermann, Referentin bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit und Projektleitung der Initiative zur Bekämpfung von Jugendarmut: Ein Viertel der deutschen Milliardäre hat sich ihr Vermögen selbst erarbeitet – der Rest hat es geerbt. Zeitgleich lebt fast jede sechste Person in Deutschland in relativer Armut. Wie passt das zusammen? Der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sowie eine aktuelle Berechnung von der Schweizer Großbank UBS und die Oxfam-Studie „Takers not Makers“ zeigen eine wachsende soziale Kluft, die unser Land nachhaltig verändert.
Deutschland gilt gemeinhin als wohlhabende Industrienation. Doch Wohlstand bedeutet nicht automatisch Gerechtigkeit. Der kürzlich veröffentlichte 7. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung legt offen, wie tief die soziale Spaltung in unserem Land mittlerweile reicht. Während manche auf ein solides Einkommen und finanzielle Sicherheit blicken, ist eine wachsende Zahl von Menschen mit Armut, Bildungsungleichheit und fehlender sozialer Mobilität konfrontiert. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, Erwerbslose und Menschen mit niedriger Qualifikation.
Reichtum wächst – aber nicht durch Leistung allein
Gleichzeitig zeigt eine neue Analyse der Schweizer Großbank UBS, dass die Zahl der Milliardäre in Deutschland im Jahr 2025 um rund ein Drittel gestiegen ist – auf nunmehr 156 Personen. Nur etwa ein Viertel dieser Superreichen hat sein Vermögen durch eigene unternehmerische Leistung erworben. Der Großteil hingegen profitiert von großzügigen Erbschaften oder langjährigem Familienbesitz. Die Schweizer Großbank berücksichtigt in ihrer Analyse, die sie in diesem Jahr zum elften Mal vorlegt, Bargeld, Wertpapiere, Unternehmensbeteiligungen, Immobilien und weitere Sachwerte.
Auch global steigt der Reichtum rasant. Weltweit besitzen die 2.919 Milliardäre laut UBS gemeinsam 15,8 Billionen US-Dollar – ein Zuwachs von 13 Prozent innerhalb eines Jahres. Eine Entwicklung, die durch steigende Aktienmärkte, digitale Geschäftsmodelle und steuerlich begünstigte Vermögensübertragungen begünstigt wird.
Die Ungleichheit ist nicht zufällig – sie ist systemisch
Oxfam, eine internationale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation, die sich weltweit für soziale Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung und die Verringerung von Ungleichheiten einsetzt, bringt die Problematik auf den Punkt: Reichtum entsteht nicht nur durch Innovationskraft, sondern vor allem durch strukturelle Vorteile, wie etwa Steuervermeidung, politische Einflussnahme und ein ungleiches globales Wirtschaftssystem. Laut dem Oxfam-Bericht „Takers not Makers“, veröffentlicht im Januar 2025, besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung inzwischen mehr Vermögen als die restlichen 99 Prozent zusammen.
Diese extreme Konzentration von Kapital hat nicht nur soziale, sondern auch politische Auswirkungen. Wer über Milliarden verfügt, kann politische Prozesse mitgestalten, Lobbyarbeit finanzieren oder Medienhäuser kontrollieren. Für Demokratien ist das eine ernsthafte Gefahr – denn ökonomische Macht bedeutet auch gesellschaftlichen Einfluss.
Junge Menschen besonders betroffen
Ein oft unterschätzter Aspekt sozialer Ungleichheit betrifft junge Menschen. Laut dem 7. Armuts- und Reichtumsbericht sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland überdurchschnittlich häufig armutsgefährdet. Etwa 2,2 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren sind armutsgefährdet oder von Armut betroffen. Der Monitor „Jugendarmut in Deutschland“, herausgegeben von der BAG KJS belegt seit mehreren Jahren, dass die Armutsgefährdungsquote bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren stabil bei rund 25 Prozent liegt. Gründe dafür sind vielfältig. Der Übergang ins eigenständige Leben wird durch hohe Mieten, unsichere Ausbildungs- und Jobchancen sowie prekäre Einkommenslagen erschwert. Gleichzeitig wirkt sich die soziale Herkunft massiv aus. Wer aus einem Haushalt mit niedriger Bildung und Einkommen stammt, hat ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko.
Diese Entwicklung zeigt auch die strukturelle Verknüpfung von Armut und Reichtum: Während wenige Familien über Generationen hinweg Vermögen weitergeben, fehlen vielen jungen Menschen die Mittel für Bildung, Teilhabe und Aufstieg. So verfestigt sich soziale Ungleichheit – mit gravierenden Folgen für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft.
Kritik vom Armutsforscher
Auch der renommierte Armutsforscher Christoph Butterwegge äußert deutliche Kritik. In einem Interview mit der taz bemängelt er, dass der Bericht zentrale Fragen systematisch ausklammere: „Man weiß zwar, wie viele Bergziegen es in Deutschland gibt, aber nicht, wie viele Reiche.“ Laut Butterwegge komme das Wort „Milliardär“ im gesamten Bericht nicht einmal vor. Das sei kein Zufall, sondern Ausdruck eines politischen Problems: Die Eigentumsverhältnisse würden bewusst verschleiert.
Politischer Handlungsbedarf
Die Bundesregierung erkennt in ihrem Bericht zwar die Problemlage – konkrete politische Maßnahmen jedoch bleiben weitgehend vage oder widersprechen aktuellen politischen Vorhaben. Oxfam hingegen fordert klare Schritte: etwa die Einführung einer Vermögenssteuer, eine stärkere Besteuerung großer Erbschaften sowie gezielte Investitionen in soziale Infrastruktur, Bildung und Armutsprävention.
Steht Deutschland am Scheideweg? Wollen wir eine Gesellschaft, in der Wohlstand auf Teilhabe, Chancengerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit basiert – oder eine, in der sich Vermögen und Macht weiter in den Händen weniger konzentrieren?



