Wissenschaftler*innen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) veröffentlichten Ergebnisse zu individuellen Lebenslagen und subjektivem Armutsempfinden junger Menschen. Kinder und Jugendliche, die in Armut aufwachsen, seien mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Sie hätten oft eingeschränkten Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und angemessener Ernährung. Die Autor*innen stellten Risiken langfristiger Auswirkungen auf die körperliche, emotionale und kognitive Entwicklung armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher fest. Dabei nähmen die befragten jungen Menschen sich selbst häufig nicht als arm wahr, weil die Armut für sie normal sei. Oder sie relativierten die eigene Armut, zum Beispiel, indem sie sich mit anderen vergleichen, die (noch) weniger Ressourcen haben.
Arme Kinder und Jugendliche relativieren die eigene Armut
Für viele sei Armut ein alltäglicher Begleiter, weshalb Betroffene sich oft nicht als arm wahrnehmen. Die eigene Armut durch einen sozialen Abwärtsvergleich zu relativieren, interpretieren Autor*innen als möglichen Schutzmechanismus, der dazu dient, eine optimistische Perspektive und einen positiven Selbstwert aufrechtzuerhalten. Aus den Erzählungen der Befragten gehe jedoch hervor, dass die Armutsfolgen teilweise gravierend seien. Finanzielle Problemlagen erscheinen nicht nur als Dauerbelastung, sie verhinderten unter anderem auch soziale Teilhabe. Die Autor*innen sehen hier die Gefahr sozialer Exklusion.
Familiäre Notlagen bekommen die Kinder und Jugendlichen unmittelbar mit. Für sie ist selbstverständlich, dass sie deshalb selbst auf Dinge und Aktivitäten verzichten. Die Kinder und Jugendlichen hätten nicht nur ihre Ansprüche und Wünsche im Blick, sondern nähmen auch auf andere Familienmitglieder Rücksicht. Einige der Befragten berichteten von einer beträchtlichen Mitverantwortung für das familiale Wohlergehen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. gibt im Rahmen ihrer Initiative zur Bekämpfung von Jugendarmut seit 2010 alle zwei Jahre den Monitor „Jugendarmut in Deutschland“ heraus. Darin dokumentierte Fallbeispiele, wie das von Angelique, spiegeln die Erkenntnisse der DJI-Studie. Zum Zeitpunkt des Interviews für den Monitor „Jugendarmut in Deutschland 2022“ ist Angelique 18 Jahre alt. Ihr ist es sehr wichtig, dass die Menschen nicht schlecht über ihre Familie denken, dennoch möchte sie sagen, dass sie es nicht leicht hatte.
Auf die Frage, ob sie als Kind Armut erlebt habe? Angelique schüttelt den Kopf: “Ich weiß, dass ich nicht alles hatte, Markenklamotten zum Beispiel“, aber arm sei sie nicht gewesen. “Natürlich möchte man reisen, oder die Welt sehen, Geld für den Führerschein auf dem Konto haben, weil die Eltern das vielleicht angespart haben.” Doch Geld sei nicht alles, das habe ihre Mama immer gesagt.
Dabei pendelte die junge Frau in ihrer Kindheit und Jugend viele Jahre zwischen Heimen und ihrem Zuhause. Zum Zeitpunkt des Interviews lebte sie abwechselnd bei ihrer Tante und ihrem Freund — womit sie als wohnungslos galt. “Einmal die Woche muss ich zur Lindenallee, einer Obdachlosenstelle, wo ich postalisch gemeldet bin,” erklärt Angelique.
Armutsbetroffene Familien benötigen niedrigschwellige Hilfsangebote
Weil die Problemkonstellationen in armutsbetroffenen Familien sehr komplex seien, empfehlen die Autor*innen der DJI-Studie, dass finanzielle Unterstützungssysteme mit anderen Angeboten und Leistungen, die weitere Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen betreffen, verlinkt werden. Familien und ihre Kinder brauchten sowohl persönlich als auch räumlich eine Anlaufstelle jenseits verschiedener Zuständigkeiten. Sie benötigten eine niedrigschwellige Erreichbarkeit, eine vertrauensvolle Kommunikation und nichtdiskriminierende Beratung. Als erste Anlaufstellen könnten lebensweltnahe Institutionen wie inklusive Jugendarbeit oder Schulen dienen. Wichtig sei, dass die Hilfsangebote vor allem in Krisenphasen möglichst vielen von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stünden. Die Autor*innen fordern daher ihre strukturelle und finanzielle Absicherung sowie idealerweise deren Ausbau.
Hintergrund der Studie
Für die Erarbeitung einer Kindergrundsicherung sollten armutsbetroffene Kinder und Jugendliche selbst angehört werden. Das DJI führte im Frühjahr und Sommer 2023 dazu eine qualitative Studie mit 54 jungen Menschen durch. Das Studienprojekt „Befragung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Einführung einer Kindergrundsicherung in Deutschland“ ist ein Teilprojekt der Service- und Monitoringstelle zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ (ServiKiD) und wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert.
Quelle: DJI; BAG KJS