Der demografische Wandel führt zu erheblichen Veränderungen beim Angebot von und der Nachfrage nach Leistungen der Daseinsvorsorge, insbesondere in kleinen Städten und Gemeinden. So ist zum einen das Angebot aufgrund der geringen Bevölkerungszahl und -dichte und damit die Tragfähigkeit und Finanzierbarkeit von Infrastruktureinrichtungen gefährdet. Zum anderen verändert sich auch die Nachfrage in den Gebieten, die von hoher Abwanderung und Alterung betroffen sind. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gemeinsam mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit im November 2013 im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt) eine Studie zum Thema „Neue Kooperationen und Finanzierungsmodelle zur Sicherung der Daseinsvorsorge in kleinen Städten und Gemeinden im ländlichen Raum“ vergeben, die vom Institut Arbeit und Technik, SPRINT – wissenschaftliche Politikberatung und Quaestio Forschung & Beratung durchgeführt wurde. Auf Grundlage der Ergebnisse ist ein Praxisleitfaden für Bürger/-innen und Kommunen entstanden, die dazu aktiv werden möchten.
Neue Antworten auf die geänderte Nachfrage nach Infrastruktureinrichtungen
Konkret führt beispielsweise die veränderte Altersstruktur zu weniger Nachfrage nach Schulen und mehr Bedarf an Einrichtungen zur Altenpflege. Vor diesem Hintergrund wird es zunehmend schwieriger, ein adäquates Angebot an Infrastruktureinrichtungen vor allem in kleinen Städten und Gemeinden in ländlichen Regionen bereitzustellen. Die Folgen sind Einbußen bei der Effizienz, der Erreichbarkeit stationärer Einrichtungen oder der Qualität. Dies ist vor dem Postulat der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nur schwer hinnehmbar.
Doch die Regionen stehen nicht chancenlos da. Veränderungen verlangen neue Lösungen und bergen auch Potenziale zum Beschreiten neuer Wege. Dabei ist es aufgrund des hohen Problemdrucks notwendig, pragmatische und innovative Lösungen zu finden. In den Regionen Deutschlands gibt es vielfältige neue kooperative Ansätze, aber auch neue Finanzierungs- und Betreiberstrukturen zur Bereitstellung sozialer und kultureller Infrastrukturangebote.
Identifikation und Analyse neuer Kooperationen und Finanzierungsmodelle
Ziel der Studie war es zunächst, im Rahmen einer systematischen Bestandsaufnahme neue Kooperationen und Finanzierungsmodelle im Bereich der sozialen und kulturellen Infrastruktur zu identifizieren. Aufbauend auf der systematischen Bestandsaufnahme wurden in einem zweiten Baustein Fallbeispiele und Finanzierungsinstrumente ausgewählt, die einer tiefergehenden Analyse unterzogen wurden. Dabei ging es darum, zentrale Rahmenbedingungen, Erfolgsfaktoren, die Rolle der einzelnen Akteure und auch mögliche Finanzierungsmodelle aufzubereiten, zu verallgemeinern und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Neue Verantwortungsteilung
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass sich in sozialen und kulturellen Infrastrukturbereichen eine neue Verantwortungsteilung zwischen Kommune und Bürgerschaft bildet. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen stärker partizipieren und sich auf unterschiedliche Art und Weise für ihre Kommune engagieren: als Wissensgeber (Bürgerwissen), als Co-Produzent statt reiner Konsument öffentlicher Leistungen (Bürgerprodukte und -leistungen) oder als Geldgeber (Bürgerfinanzierung). Kommunen sollten für dieses Engagement offen sein und eine Ermöglichungskultur im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe schaffen. Gleichzeitig sollten sie aber auf die Einhaltung gemeinwohlorientierter Standards achten und als Gewährleistungsinstanz für ein weiterhin angemessenes Angebot der Daseinsvorsorge insgesamt auftreten.
Praxisleitfaden für Bürger/-innen und Kommunen
Für diejenigen, die selbst aktiv werden wollen, gibt es einen Leitfaden: Darin wird zunächst beschrieben, was unter einer gemeinsam erbrachten neuen Daseinsvorsorge im sozialen und kulturellen Bereich verstanden wird, bevor konkrete Empfehlungen an die Zielgruppen gerichtet werden. Dazu werden einzelne Phasen beschrieben, die Initiativen idealtypischer Weise durchlaufen und an denen sich Interessierte orientieren können. Zu jeder Phase werden Empfehlungen zum geplanten Angebot, den Akteuren, möglichen Rechts- und Organisationsformen sowie Fragen der Finanzierung gegeben. Im nächsten Teil richtet sich der Leitfaden an die Kommunen. Anhand konkreter Empfehlungen wird aufgezeigt, wie Kommunen interessierten Bürgerinnen und Bürgern oder Initiativen dabei helfen können, Daseinsvorsorge als gemeinsames Produkt anzubieten.
Quelle: Institut Arbeit und Technik – Westfälische Hochschule Gelsenkirchen, Bochholt, Recklinghausen