Das Europäische Jahr der Kompetenzen verpasst eine große Chance

Die EU-Kommission legte im Herbst 2022 einen Vorschlag für das European Year of Skills (Europäische Jahr der Kompetenzen) vor. Der Grundton: Die Wirtschaft braucht dringend qualifizierte und kompetente Fachkräfte, also muss Aus- und Weiterbildung zum Erhalt der Wirtschaftskraft gestärkt werden. Das EU-Parlament qualifizierte den Vorschlag und brachte deutlich stärker die Bedarfe der Menschen ein. Der neue Grundton: Menschen brauchen inklusive Zugänge, ihre persönlichen und fachlichen Kompetenzen zu entwickeln, damit sie Frieden, Freiheit, Demokratie und Wirtschaft in der EU stabilisieren.  

Nach den Verhandlungen von Kommission, Rat und Parlament klingt wieder deutlich die Wirtschaft durch, das Parlament hat lediglich Zwischentöne gesetzt. Damit verpasst das Europäische Jahr eine große Chance, Europa und seine Bürger*innen nachhaltig zu stärken. 

 Inklusives, nachhaltiges, sozial gerechtes und resilientes Europa 

„Menschen mit Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, an einer demokratischen Gesellschaft teilzuhaben und sich persönlich weiterzuentwickeln, sowie qualifizierte Arbeitskräfte und hochwertige Arbeitsplätze sind von entscheidender Bedeutung, um einen fairen und sozial gerechten grünen und digitalen Wandel zu gewährleisten“ hatte das EU-Parlament in seinem Vorschlag gleich zu Beginn formuliert. Dieser innovative Ansatz ist im Beschlussdokument nicht mehr zu finden. Ebenfalls gestrichen wurde der Gedanke: „Angemessene Löhne, feste Arbeitsverträge, eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, regelmäßige Weiterbildungen und attraktive Laufbahnentwicklungen sind ebenso wichtig wie umfassende Kompetenzstrategien, um Unternehmen in der Union mit qualifizierten Arbeitskräften auszustatten“. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments hatten in ihrem Vorschlag auch gefordert, dass Bildungsangebote im Bereich des formalen, nichtformalen und informellen Lernens unterbreitet werden müssen, die „alle für die Schaffung eines inklusiven, nachhaltigen, sozial gerechten und resilienteren Europas erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen umfassen“. Aus Sicht der BAG KJS waren das wichtige und richtige Empfehlungen für ein Europäisches Jahr der Kompetenzen, die im aktuellen Beschlussvorschlag nicht mehr zu finden sind. 

Potenzial aller im erwerbsfähigen Alter ausschöpfen 

Immerhin: Das Potenzial aller im erwerbsfähigen Alter soll unabhängig von ihrer Herkunft ausgeschöpft werden, unter anderem durch Aktivierung von mehr Menschen, insbesondere von Frauen und jungen Menschen und denjenigen, die weder arbeiten noch eine Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren (NEET). Sie seien mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, die eine Teilnahme am Arbeitsmarkt behindern, heißt es im Beschlussvorschlag und weiter: „Effiziente und umfassende Kompetenzstrategien, ein verbesserter Zugang benachteiligter Gruppen zu Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie die Bekämpfung von Stereotypen, insbesondere Geschlechterstereotypen, würden dazu beitragen, die Beschäftigung zu erhöhen und den Fachkräftemangel zu verringern. Um einen sozial gerechten und inklusiven Wandel sicherzustellen, können solche Maßnahmen durch Lösungen für Personen ergänzt werden, die nicht in der Lage sind, einer Umschulung oder Weiterbildung nachzugehen.“ Daraus lässt sich für die nationale Sozialpolitik ableiten, dass zum Beispiel die Jugendsozialarbeit gestärkt werden muss. Und auch der Anspruch an eine gestärkte Jugendgarantie ist ein Signal an junge Menschen, denn sie soll sicherstellen, „dass allen jungen Menschen innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder die formale Bildung beendet haben, eine Beschäftigung, eine Weiterbildung, ein Ausbildungsplatz oder ein Praktikumsplatz von guter Qualität angeboten wird“. 

Aus Sicht der BAG KJS bot das Europäische Jahr der Kompetenzen in der Parlament-Variante einen guten Rahmen, an das Jahr der Jugend anzuknüpfen und vor allem die Bedarfe benachteiligter junger Menschen stärker Ernst zu nehmen. Diese große Chance ist mit der erzielten Einigung von Parlament, Rat und Kommission verpasst worden. 

Quellen: Europäisches Parlament, Europäische Kommission 

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