Coronakrise: WIE GEHT ES EIGENTLICH DEN JUGENDLICHEN…im Projekt „Die 2. Chance“?

Vielfach wird derzeit über die Auswirkungen des Lockdown auf die Soziale Arbeit berichtet. In erster Linie geht es dabei um das Überleben von Trägern und Einrichtungen, die finanzielle Absicherung der Maßnahmen und Angebote während der Krisenzeit und die Frage, wie Mitarbeiter*innen gehalten und adäquat weiter bezahlt werden können. Ergänzend dazu richten die „Jugendsozialarbeit News“ in den nächsten Wochen den Blick auf die Jugendlichen in der Jugendsozialarbeit. Wir fragen „WIE GEHT ES EIGENTLICH DEN JUGENDLICHEN…“ und geben der Berichterstattung zur Coronakrise damit eine neue Ausrichtung. Die ersten Antworten auf unsere Frage gibt uns Wibke Knoche. Sie ist Sozialpädagogin im Projekt „Die 2. Chance“ bei IN VIA Unna, gefördert über die Jugendhilfe. Unterstützt werden Schüler*innen mit schulverweigernder Haltung. Sie erlernen wieder einen strukturierten Tagesablauf und werden bei der Reintegration ins Regelschulsystem begleitet. Normalerweise arbeitet Wibke Knoche täglich mit 15 jungen Menschen, die im Projekt „Die 2. Chance“ ihren Schulabschluss nachholen können. Mitte März aber musste sie alle nach Hause schicken.

Frau Knoche, wie geht es den Jugendlichen aus Ihrem Projekt?

Wibke Knoche: Den Jugendlichen ist langweilig, sie sind viel in den sozialen Medien unterwegs, telefonieren und sehen fern. So richtig verstehen sie teils nicht, warum sie ihre Freunde und Freundinnen gar nicht treffen dürfen.

Leben die Jugendlichen bei ihren Eltern?

Wibke Knoche: Ja, die Jugendlichen sind zwischen 14 und 16 Jahre alt und leben bei den Eltern oder bei einem Elternteil. Wir telefonieren auch regelmäßig mit den Eltern, die sich natürlich Sorgen machen, dass ihr Kind in alte Verhaltensmuster zurückfallenkönnte und sich nicht um schulische Dinge kümmert. Einige der Jugendlichen haben Mütter in systemrelevanten Berufen, z.B. in der Altenpflege, die sind natürlich selbst sehr gefordert und können sich nicht immer um ihre Söhne und Töchter kümmern. Mit den Eltern haben wir regelmäßig Kontakt und beraten sie, auch bzgl. der Kommunikation mit ihrem Kind.

Wie halten Sie momentan Kontakt zu den Jugendlichen?

Wibke Knoche: Wir telefonieren viel mit ihnen und sprechen über ihre Situation. Sie bekommen dreimal wöchentlich von uns Lernbriefe mit Aufgabenblättern per Post oder wir legen Ihnen Unterlagen vor die Tür unserer Einrichtung, die sie dann abholen. Die Jugendlichen bearbeiten die Aufgaben zu Hause und schicken die Blätter an uns zurück. Das klappt sehr gut. Anschließend erhalten sie von uns ein ausführliches Feedback zu ihrer Arbeit. Nach unserem Eindruck schätzen sie diese persönlichen Rückmeldungen sehr.

Geht es den Jugendlichen durch die aktuellen Kontaktbeschränkungen schlecht?

Wibke Knoche: Nein, den Eindruck habe ich nicht. Es gibt natürlich wie bei uns allen solche und solche Phasen. Wir vertrauen darauf, dass die Jugendlichen sich melden, wenn sie Unterstützung brauchen. Den Jugendlichen fehlt wohl erstmals in ihrem Leben die Schule! Oft rufen Sie uns gleich morgens an, suchen den Austausch und wollen von sich erzählen. Es gibt also einen sehr heißen Draht.

Wie geht es Ihnen persönlich momentan mit Ihrer Arbeitssituation?

Wibke Knoche: Wir machen alle das Beste aus der Situation und gestalten die Kontakte eben über andere Wege. Das Ausbalancieren von Nähe und Distanz ist im wahrsten Sinn des Wortes verrückt. Ich gebe schon zu, dass mein Pädagoginnenherz blutet, wenn ich den Jugendlichen Briefe vor unsere Tür lege und sie nicht reinkommen dürfen. Persönliche Kontakte und direkte Kommunikation sind ja das Herzstück unserer Arbeit! Aber wir sind kreativ und wie gesagt, für genügend Kontaktwege ist gesorgt.

Nutzen Sie auch digitale Tools?

Wibke Knoche: Ja, wir chatten auch mit den Jugendlichen, aber da müssen sie erst Sicherheit gewinnen, sie sind mit den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten ihrer Smartphones meist nicht vertraut. Wir arbeiten daran, üben zusammen und bauen die digitale Kommunikation schrittweise auf.

Was macht Ihnen in dieser Zeit bezogen auf die Jugendlichen Sorgen?

Sie bereiten sich ja bei uns auf die Hauptschulabschlussprüfung vor – für die Jugendlichen per se schon eine große Herausforderung. Aber nicht zu wissen, ob diese zum geplanten Zeitpunkt Ende April stattfinden, ist zusätzlich sehr belastend und kann motivationshemmend sein. Denn gerade für unsere Jugendlichen sind Verlässlichkeit und eine feste Struktur sehr wichtig.  Froh sind wir, dass die Jugendämter unser Projekt weiter fördern, das gibt uns als Träger, aber auch den Jugendlichen Sicherheit und ist ein gutes Signal.

Vielen Dank für das Gespräch!

Quelle: IN VIA Unna – BAG KJS

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