Bürgergeld im Realitätstest: Wenn das Geld kaum zum Leben reicht

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat eine neue Expertise veröffentlicht, die das Bürgergeld einem Realitätstest unterzieht. Im Zentrum der Analyse steht die Frage, ob die staatliche Grundsicherung tatsächlich ein menschenwürdiges Leben ermöglicht oder ob sie lediglich ein statistisches Minimum abbildet. Die Ergebnisse zeichnen ein ernüchterndes Bild und bestätigen gleichzeitig, was viele Menschen mit Armutserfahrungen immer wieder berichten.

Im Jahr 2024 betrug der monatliche Regelbedarf für Alleinstehende 563 Euro. Hinzu kommen Leistungen für Unterkunft und Heizung, die je nach Wohnort stark variieren können. Auf den ersten Blick mag diese Summe wie ein gesichertes Existenzminimum erscheinen. Doch die Studie zeigt deutlich: Die reale Kaufkraft dieser Leistungen ist in den letzten Jahren kaum gestiegen, teilweise sogar gesunken. Preisbereinigt leben Bürgergeldempfänger*innen heute etwa auf dem Niveau von 1995, während die mittleren Einkommen der Bevölkerung kontinuierlich zugenommen haben.

Eine wachsende Lücke zwischen Bürgergeld und gesellschaftlicher Teilhabe

Besonders deutlich wird die wachsende Diskrepanz, wenn man den Gesamtbedarf von Bürgergeldbeziehenden mit der sogenannten Armutsgefährdungsschwelle vergleicht. Diese lag im Jahr 2023 bei etwa 1.381 Euro monatlich, während der durchschnittliche Bürgergeld‑Gesamtbedarf nur 907 Euro betrug. Die daraus resultierende „Armutslücke“ von rund 474 Euro hat sich seit 2010 kontinuierlich vergrößert. Wer heute ausschließlich vom Bürgergeld lebt, hat also deutlich weniger zur Verfügung als das, was allgemein als notwendig für gesellschaftliche Teilhabe betrachtet wird.

Ein besonders bedrückender Aspekt der Expertise ist die materielle Entbehrung. Mehr als die Hälfte der Bürgergeldbeziehenden kann sich grundlegende Dinge des Alltags nicht leisten. Dazu gehören etwa eine vollwertige Mahlzeit alle zwei Tage, neue Möbel oder regelmäßige Freizeitaktivitäten. Etwa 30 Prozent sind laut Definition von „erheblicher materieller Entbehrung“ betroffen. Diese Menschen können sich mindestens sieben von dreizehn grundlegenden Gütern oder Aktivitäten nicht leisten, etwa ein Telefon, angemessene Kleidung oder soziale Teilhabe.

Mehr Aufklärung statt Vorurteile: Was das Video der Armutskonferenz zeigt

Der Paritätische kritisiert, dass das Bürgergeld zwar die physische Existenz sichert, jedoch nicht ausreicht, um Armut zu verhindern oder ein Leben in Würde zu ermöglichen. Auch wenn die Regelsätze in den letzten Jahren leicht erhöht wurden, sind diese Anpassungen kaum ausreichend, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten, insbesondere für Miete und Energie, auszugleichen.

Die Nationale Armutskonferenz und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt Bayern wiesen bereits in einem im Frühsommer veröffentlichten Kurz‑Trickvideo darauf hin, dass das Problem der Ausgrenzung von Menschen in Grundsicherung nicht vernachlässigt werden darf. Unter dem Titel „Die Grundsicherung ist viel zu hoch! Oder?“ wird anschaulich erklärt, wie sich das Bürgergeld zusammensetzt, wer es bezieht und wie groß der Unterschied zwischen Bürgergeld und durchschnittlichem Einkommen ist. Dieses Video macht deutlich: Debatten über Arbeitsunwilligkeit oder über „zu großzügige“ Leistungen greifen zu kurz. Statt Ausgrenzung braucht es echte Teilhabe.

Die Expertise des Paritätischen kommt zu dem klaren Schluss: Eine strukturelle und dauerhafte Anhebung der Regelbedarfe ist notwendig. Es reicht nicht, lediglich das Existenzminimum zu sichern. Wenn gesellschaftliche Teilhabe und Menschenwürde mehr sein sollen als leere Versprechen, muss das Bürgergeld diesen Ansprüchen gerecht werden – und das tut es derzeit nicht.

Umso wichtiger ist diese Perspektive angesichts der aktuellen politischen Diskussionen. In Berlin wird derzeit offen über Einschnitte beim Bürgergeld und eine grundlegende Reform des Sozialstaats debattiert. Gefordert werden strengere Mitwirkungspflichten, schärfere Sanktionen und eine Neubewertung von Schonvermögen oder Wohnkosten. Sozialverbände und Expert*innen warnen davor, bei den Ärmsten zu sparen und die Debatte auf Vorurteile zu verengen. Der Realitätstest des Paritätischen Wohlfahrtsverbands liefert dazu einen wichtigen Beitrag – gerade jetzt, wo politische Entscheidungen anstehen, die das Leben von Millionen Menschen spürbar verändern könnten.

 

Autorin: Silke Starke-Uekermann

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