Die Koalition kündigt drastisch schärfere Sanktionen für Leistungsbeziehende im Bürgergeld an, die ihren Mitwirkungspflichten – wie der Teilnahme an Terminen, Fortbildungen oder der Annahme von Arbeitsangeboten – nicht nachkommen. Und sie will möglichst viele Menschen, die sich im Bürgergeldbezug befinden, so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt integrieren. Doch der Blick auf die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) in einer Sonderauswertung für die Süddeutsche Zeitung, wie viele Menschen im Leistungsbezug tatsächlich Chancen auf eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt haben, ist ernüchternd (SZ vom 11./12.10.2025, S. 6):
5,4 Millionen Menschen hatten im August dieses Jahres laut aktuellen Zahlen der BA Anspruch auf Bürgergeld. Allein 1,5 Millionen davon sind Kinder. Bei den verbleibenden 3,9 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter muss differenziert werden zwischen 2,1 Millionen anderweitig Beschäftigten und 1,8 Millionen arbeitslosen Menschen. Anderweitig Beschäftigte befinden sich bereits in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Sie nehmen u. a. teil an Bewerbungsprozessen, an Qualifizierungsangeboten der Jobcenter oder an Integrationskursen. Zu dieser Gruppe gehören auch die sogenannten „Aufstocker“, die bereits einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen; d. h., sie arbeiten in Jobs, deren Entlohnung zum Lebensunterhalt bei weitem nicht ausreicht. Dies sind vor allem Alleinerziehende, aber auch Menschen, die Care-Arbeit von Angehörigen innerhalb der Familie leisten wie Kindererziehung oder Pflege.
Interessant für die Umsetzung der Koalitionsforderung nach einer raschen Arbeitsmarktintegration dürfte also die Zahl der 1,8 Millionen arbeitslosen Bürgergeldempfänger*innen sein. Doch etwa die Hälfte dieser Gruppe (860.000) weist mehrere Vermittlungshemmnisse auf, die einer zügigen Vermittlung in Arbeit bzw. Beschäftigung entgegenwirken: fehlende Schulabschlüsse, fehlender Berufsabschluss, Behinderung, Langzeitarbeitslosigkeit. Ein Großteil davon hat keinen Berufsabschluss, was ihre Bewerbung auf mögliche Stellenangebote deutlich erschwert. Gesucht sind jedoch vor allem Fachkräfte, möglichst mit Berufsabschluss, Berufserfahrung und am besten mit akademischem Abschluss. Nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit kommen für 1.175.000 Menschen lediglich helfende Tätigkeiten oder auch „Helferstellen“ in Frage. Dieser Gruppe stehen jedoch im September nur 120.000 freie Helferjobs bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern gegenüber. 927.000 Arbeitslose gelten derzeit als „langzeitarbeitslos“, d. h., die Hälfte aller als arbeitslos gemeldeten Menschen befindet sich seit mindestens einem Jahr nicht mehr in Arbeit. Je länger sie aus dem Arbeitsprozess „draußen“ sind, umso mehr benötigen sie umfassende Unterstützung durch den sozialen Arbeitsmarkt und SGB-II-geförderte qualifizierende Maßnahmen verschiedenster Art, um sukzessive in ein Arbeitsleben zurückgeführt zu werden. Insbesondere junge Menschen – die Gruppe der U25 im SGB-II-Bezug – brauchen individuelle Begleitung und Unterstützung, damit ihr Weg in Ausbildung oder Beschäftigung gelingt.
Letztlich verbleiben nur 232.000 Menschen aus der Gruppe der Arbeitslosen, die vergleichsweise schnell eine Arbeit aufnehmen könnten. Eine ernüchternde Zahl in Anbetracht der aktuellen politischen Debatte zu Einsparungsmöglichkeiten im Bürgergeld.
Was ist also zu tun? Der Koalitionsvertrag gibt hier eine Richtung vor: „Damit der Übergang ins Berufsleben besser gelingt, wollen wir gemeinsam mit den Ländern ermöglichen, dass jeder junge Mensch einen Schulabschluss und eine Ausbildung machen kann.“ Eine wichtige Forderung der Jugendsozialarbeit ist und bleibt daher, dass jedem jungen Menschen mit Ausbildungswunsch eine Ausbildung ermöglicht wird. Für junge Menschen unter 25 Jahren muss daher vor allem der Zugang zu Bildungsmaßnahmen mit dem Ziel eines erfolgreichen Ausbildungsabschlusses absolute Priorität haben. Eine vorschnelle Vermittlung in Beschäftigung darf nicht dazu führen, dass junge Menschen langfristig ein erhöhtes Armutsrisiko haben, weil sie in geringfügiger Beschäftigung landen.
Um dies zu realisieren, müssen auch bestimmte Förderstrukturen sowie personelle Ressourcen im SGB-II gegeben sein. Dies setzt eine entsprechende finanzielle Absicherung der Jobcenter sowie Planungssicherheit voraus. Insbesondere deren Eingliederungstitel müssen so ausgestattet werden, dass Maßnahmen qualitativ sinnvoll und so umgesetzt werden können, wie sie ursprünglich geplant wurden.
Autorin: Susanne Nowak (Bundesreferentin bei IN VIA Deutschland e. V. im Netzwerk der BAG KJS)