Die aktuellen Meldungen zum Ausbildungsmarkt erscheinen etwas verwirrend. Die Allianz für Ausbildung verbreitet Zuversicht, sie meldet aus einzelnen Branchen eine Zunahme des Ausbildungsplatzangebotes. Dies ist aus Sicht der einzelnen Branchen sehr gut, die Zunahme in den Gesundheitsberufen (!), Bauberufen sowie den Verkaufsberufen ist positiv zu bewerten. Dies wird aber leider übertroffen vom Rückgang in anderen Branchen, die von Schließungen und Beschränkungen in der Pandemie stark betroffen waren. Von der propagierten Ausbildungsgarantie und ihrer Einlösung sind wir leider weit entfernt, sagt Ludger Urbic, Referent für Jugendsozialarbeit beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).
In ihrem aktuellen Bericht zur Lage am Ausbildungsmarkt (Juli 2021) ist für die Bundesagentur für Arbeit „zunehmend eine Aufhellung sichtbar“. Mit 484.700 gemeldeten betrieblichen Ausbildungsstellen ist nach dem Vorjahr (-8%) ein weiterer Rückgang um 3% zu verzeichnen. Gegenüber dem Vor-Corona-Niveau summiert sich dies auf einen Rückgang von 11%. Die „Aufhellung“ muss man sich schon sehr wünschen, um sie bei diesem Rückgang in zwei Jahren sehen zu können. Eine Untersuchung des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie FIBS zeigt, dass Jugendliche mit Real- oder Hauptschulabschluss sowie diejenigen ohne Schulabschluss noch weiter abgehängt werden. Die Zielgruppe der Jugendsozialarbeit wird zum Verlierer der Veränderungen, die durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurden.
Ein weiteres Phänomen ist bedenkenswert: Die Zahl der gemeldeten Bewerber*innen um einen Ausbildungsplatz ist in diesem Jahr wie im Vorjahr um 8% zurückgegangen, insgesamt bedeutet dies einen pandemiebedingten Rückgang um knapp 16% – und dies bei einer praktisch gleichbleibenden Zahl von Schulabgänger*innen. Immer weniger Jugendliche finden den Zugang zum Ausbildungssystem und den Arbeitsagenturen und ihrer Berufsberatung. Die Berufsberatung an Schulen und die vertiefte Berufsorientierung konnten wegen der Pandemie nicht stattfinden, die Berufsberatung in den Agenturen war für viele Jugendliche nicht erreichbar. Eine Auswirkung ist, dass Jugendliche auf zum Teil für sie persönlich unpassende schulische Alternativen ausweichen oder ohne entsprechende Alternative dem Ausbildungssystem fernbleiben. Es fehlt an Bemühungen und Programmen, sowohl von Seiten des BMAS als auch des BMFSFJ, diese Jugendlichen zu erreichen und wieder an die gesellschaftliche Teilhabe sowie berufliche Qualifizierung heranzuführen.
Das FIBS beschreibt, dass in der Pandemie nur ein Trend verstärkt worden sei: Der Rückgang der Unternehmen, die ausbilden, ist dramatisch. Weiterhin drängen Jugendliche mit hohen Schulabschlüssen in die dualen und schulischen Ausbildungen; mittlere und einfache Schulabschlüsse finden kaum noch Zugangswege in eine Ausbildung. Im Rahmen der vielfältigen Corona-Hilfspakete hat die Bundesregierung ein Programm „Ausbildungsplätze sichern“ aufgelegt, das aber kaum Auswirkungen gezeigt hat. Die Fördersummen sind für dieses Jahr verdoppelt worden, weitere Unternehmen können davon profitieren. Es ist trotzdem ein weiterer Rückgang der Ausbildungsplätze zu verzeichnen. Die Bundesagentur für Arbeit setzt auf einen massiven Ausbau der Einstiegsqualifizierung für (noch) nicht ausbildungsreife Jugendliche. Wo die Kapazitäten in den Betrieben noch vorhanden sein sollen bleibt unklar, eine Lösung für die große Zahl ausbildungsreifer Jugendlicher kann dies nicht sein. Die Partner*innen in der Allianz für Ausbildung versprechen einen wirksamen Beitrag zur Verbesserung der Situation.
Allein mir fehlt immer noch der Glaube. Die geballten Aktionen haben im letzten Jahr schon wenig Wirkung gezeigt. Warum sollen sie auf einmal wirken? Es zeichnet sich ab, dass wieder viele Jugendliche in für sie ungeeignete schulische Alternativen fliehen, andere Jugendliche sich heimlich, still und leise aus Qualifizierung und Ausbildung verabschieden werden. Wie soll die Katastrophe für die Jugendlichen verhindert werden, damit sie die Perspektive nicht verlieren?
Ich habe selbstverständlich kein Patentrezept, das ich aus dem Hut zaubern kann. Ich bin mir aber sicher, dass wir die ausgetretenen Pfade verlassen müssen. Ich halte es für richtig, als erste Priorität auf die betriebliche, duale Berufsausbildung zu setzen. Aber jetzt ist es Zeit, dieses System nicht zu überfrachten. Es braucht vermutlich langfristig Ergänzungen zur betrieblichen, dualen Ausbildung. Kurzfristig muss aber Hilfe für die Jugendlichen, die jetzt außen vorbleiben, geschaffen werden. Ihre fehlende Perspektive wird für sie zu einer Belastung genauso zu einer Belastung für die ganze Gesellschaft. Dem zukünftigen Fachkräftemangel kann so nicht begegnet werden.
Der arbeit für alle e.V., eine Initiative im BDKJ, hat mit seinem Zwischenruf auf Grundlage der damals aktuellen Zahlen am Ausbildungsmarkt im Mai 2021 gefordert:
- eine personell stärker aufgestellte Begleitung des Übergangs Schule/Berufsvorbereitung zu Ausbildung, vor allem auch im Bereich der mobilen, aufsuchenden Arbeit, um isolierte Jugendliche an Regelsysteme (wieder) heranzuführen, sowie
- eine zeitliche Verschiebung des Ausbildungsbeginns, aufgrund der Coronapandemie, um junge Menschen in die betriebliche Ausbildung zu vermitteln. Hierbei müssen die Kammern einbezogen und schulische Curricula entsprechend modifiziert werden.
Da allerdings zu befürchten sei, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, um für alle Jugendlichen entsprechend eine Ausbildungsgarantie zu verwirklichen und die Zahl der jungen Menschen, die ohne Ausbildung bleiben, nicht noch weiter anwachsen zu lassen, fordert der afa e.V. darüber hinaus die sofortige Schaffung eines Sonderprogramms Außerbetriebliche Ausbildung zur Überwindung der pandemiebedingten Krise am Ausbildungsmarkt.
Wir brauchen jetzt kurzfristige Schritte zur Schaffung zusätzlicher Möglichkeiten. Mich überzeugt der Vorschlag verschiedener Organisationen, ein Bundesprogramm zur Schaffung zusätzlicher außerbetrieblicher, dualer Ausbildungsplätze aufzulegen. Diese sollten den Jugendlichen ein verlässliches Angebot für eine volle Ausbildung machen. Dies muss so gestaltet sein, dass es jederzeit flexible, betriebliche Anteile und Elemente geben kann. Der Übergang in reguläre betriebliche Ausbildung muss jederzeit möglich sein. Diese außerbetrieblichen Ausbildungsplätze müssen jetzt geschaffen werden.
Ich fordere die verschiedenen Seiten auf, ihre Vorbehalte gegen die außerbetriebliche Ausbildung aufzugeben und die Perspektive der Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen. Das System der überbetrieblichen Ausbildung in Österreich kann uns dabei als positives Beispiel dienen. Hier ist die sogenannte überbetriebliche Ausbildung ein anerkanntes System, das mit der betrieblichen Ausbildung zusammenarbeitet und von den Betrieben als System anerkannt wird. Die dort Ausgebildeten haben gute Chancen auf die Integration in den Arbeitsmarkt. Ich persönlich gehe davon aus, dass auch wir in Zukunft unser Ausbildungssystem um ein solches Element und weitere Elemente erweitern müssen, um allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen eine Perspektive bieten zu können. Die Stützung der Ausbildung in Betrieben und darüber hinaus durch die Elemente der Assistenz, Berufsvorbereitung und sozialpädagogische Begleitung wird zudem unverzichtbares Element eines funktionierenden Ausbildungssystems bleiben. Ich wünsche mir wirklich mehr Mut und Offenheit aller, um die Krise am Ausbildungsmarkt zu beenden. So kann aus dem Traum, eine Ausbildungsgarantie tatsächlich für alle Jugendlichen verbindlich einzulösen, dann doch noch Wirklichkeit werden.
Ludger Urbic ist Referent für Jugendsozialarbeit an der BDKJ-Bundesstelle und Fachreferent im Bereich „Berufliche Integration“ in der BAG KJS. Auf der Basis langjähriger Erfahrung in der Jugendberufshilfe ist er der Meinung, dass es in der aktuellen Krise am Ausbildungsmarkt neuer Wege bedarf und ein Programm „Außerbetriebliche Ausbildung“ aufgelegt werden muss, um die Perspektiven für alle Jugendlichen besser zu gewährleisten.
Quelle: Ludger Urbic (BDKJ)