Ausbildung gefunden und trotzdem unsicher?

Mit dem neuen BIBB-Report 4/2025 „Geht da noch was anderes? – Warum junge Menschen nach Abschluss eines Ausbildungsvertrages weiter nach Ausbildungsstellen suchen“ legt das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) eine aufschlussreiche Analyse vor, die ein wiederkehrendes Problem sichtbar macht: Auch nach der Unterzeichnung eines Ausbildungsvertrages bleibt bei einigen jungen Menschen die Unsicherheit bestehen, ob die getroffene Wahl richtig ist.

Auch der vor Kurzem veröffentlichte Berufsbildungsbericht 2025 des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) greift diese Thematik auf: Trotz einer hohen Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen finden viele junge Menschen keinen passenden Ausbildungsplatz. Die Zahl der unversorgten Bewerber*innen ist im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent gestiegen. Neben strukturellen Ursachen, wie etwa regionalen Unterschieden oder betrieblichen Auswahlprozessen, betont der Bericht erneut die Bedeutung von frühzeitiger, individueller und begleiteter Berufsorientierung. Im Zusammenhang mit dem Thema des BIBB-Reports liefert der Bericht eine weitere wichtige Kennzahl: Die Zahl der Bewerber*innen mit Alternative und weiterem Vermittlungswunsch in Ausbildung lag mit 39.200 über dem Vorjahresniveau und verzeichnet einen Anstieg von 5,1 Prozent.

Wenn Ausbildung zur „zweiten Wahl“ wird

Laut BIBB-Report sind die Gründe dafür, dass junge Menschen auch nach Vertragsunterzeichnung weiter nach einer Alternative zu suchen, eine unzureichende Passung zwischen den eigenen Erwartungen und der gewählten Ausbildung sowie die Unsicherheit, ob es sich bei dem gewählten Ausbildungsverhältnis um das richtige oder beste Angebot handelt. Oftmals ist die getroffene Wahl eher ein „Plan B“ als eine echte Wunschoption. Weitere Gründe liegen in der Ausbildungsqualität, die zu Beginn der Ausbildung seitens des jungen Menschen in Frage gestellt wird oder in einer betriebsseitigen Vertragslösung.

Diese Erkenntnisse verdeutlichen: Eine gelingende Berufsorientierung darf nicht mit der Vertragsunterzeichnung enden. Für viele junge Menschen beginnt hier vielmehr eine besonders sensible Phase, in der sich zeigt, ob sie sich mit ihrer Entscheidung identifizieren können oder ob sie ins Grübeln geraten. Genau in dieser Übergangszeit kann die Unterstützung durch Fachkräfte der Jugendsozialarbeit entscheidend sein.

Unsicherheiten ernst nehmen und frühzeitig begleiten

Wie wichtig frühzeitige und passgenaue Berufsorientierung ist, wurde bereits in einem früheren Beitrag auf jugendsozialarbeit.news betont, der sich mit Berufsorientierung an beruflichen Schulen beschäftigt. Dort wurde hervorgehoben, dass viele junge Menschen nach dem Schulabschluss zunächst an beruflichen Schulen verweilen, weil sie sich über ihre berufliche Zukunft unsicher sind. Diese Unsicherheiten sind kein Ausdruck von Desinteresse, sondern von mangelnder Orientierung und fehlender Begleitung bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen, Fähigkeiten und Lebenszielen.

Eine gute Berufsorientierung beginnt also nicht erst kurz vor dem Schulende, sondern muss frühzeitig ansetzen, individuelle Interessen aufgreifen und Raum für Erprobung und Reflexion bieten. Hier kann die Jugendsozialarbeit ihre Stärken ausspielen: durch Beziehungsarbeit, durch kontinuierliche Begleitung und durch die Fähigkeit, Lebenslagen und berufliche Perspektiven miteinander zu verbinden.

Gute Orientierung braucht (inklusive) Begleitung

Das Projekt „Berufliche Inklusion für alle jungen Menschen – Ausbildung garantiert!?“ von IN VIA e. V. hat exemplarisch gezeigt, wie der Übergang in eine Ausbildung durch eine nachhaltige sozialpädagogische Begleitung gelingen kann. Im Projekt wurden erfolgreiche Praxisansätze analysiert und in einem begleitenden Workshop sieben Gelingensbedingungen für eine inklusiv ausgerichtete Berufsbildung für wirksame Unterstützung am Übergang Schule-Beruf herausgearbeitet.

Dazu zählen niedrigschwellige Zugänge zu den Angeboten, verlässliche Beziehungen zwischen jungen Menschen und Fachkräften sowie Flexibilität durch individuelle Unterstützung im Begleitprozess. Auch eine Orientierung an den Kompetenzen der jungen Menschen, ihre aktive Einbindung in Entscheidungsprozesse sowie die Nähe zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben sich als zentrale Erfolgsfaktoren erwiesen. Multiprofessionalität ermöglicht zudem, auf vielfältige Bedarfe einzugehen. Freiwilligkeit sorgt außerdem dafür, dass junge Menschen Angebote auch dann weiter nutzen können, wenn sie vorübergehend aussteigen mussten.

Der Ansatz verdeutlicht: Erfolgreiche Übergänge entstehen nicht allein durch Informationsvermittlung, sondern durch Beziehung, Reflexion und kontinuierliche Begleitung.

Was folgt daraus für die Praxis?

  • Früh beginnen, individuell begleiten: Berufsorientierung sollte nicht erst am Ende der Schulzeit einsetzen. Junge Menschen brauchen Zeit, um sich auszuprobieren, ihre Stärken kennenzulernen und eigene Ziele zu entwickeln.
  • Begleitung über den Vertragsabschluss hinaus: Der Ausbildungsvertrag markiert keinen Endpunkt, sondern einen kritischen Übergang. Jugendsozialarbeit kann hier stabilisierend wirken und bei Zweifeln oder Konflikten frühzeitig unterstützen.
  • Kooperationen stärken: Betriebe, Schulen, Berufsberatung und Jugendsozialarbeit sollten eng zusammenarbeiten, um jungen Menschen ein durchgängiges Unterstützungsnetz zu bieten.
  • Lebenswelt einbeziehen: Gelingende Berufsorientierung bedeutet, berufliche Entscheidungen in den Kontext der gesamten Lebenssituation zu stellen. Auch mit Blick auf Familie, Wohnsituation, Finanzen oder psychische Belastungen.

Instrumente wie die Assistierte Ausbildung (AsA flex) und die Berufseinstiegsbegleitung (BerEb) bieten bereits wirksame Ansätze für eine kontinuierliche Unterstützung vor und während der Ausbildung. Damit sie ihre Wirkung flächendeckend entfalten können, braucht es jedoch eine verlässliche und ausreichende Finanzierung, die derzeit vielerorts nicht gewährleistet ist. Aktuell überarbeitet die Bundesagentur für Arbeit das Konzept der BerEb. Genauere Informationen liegen bislang jedoch nicht vor.

Fazit

Der neue BIBB-Report unterstreicht, dass Ausbildungsentscheidungen oftmals unter Unsicherheit getroffen werden und dass viele junge Menschen selbst nach Vertragsabschluss noch nach Alternativen suchen. Für die Jugendsozialarbeit ist das ein klarer Auftrag: Sie muss Berufsorientierung nicht nur als Übergangsphase, sondern als kontinuierlichen Begleitprozess verstehen.

Denn nur wenn junge Menschen die Möglichkeit haben, ihre Entscheidungen zu reflektieren, Alternativen zu prüfen und sich selbst zu erleben, kann Ausbildung tatsächlich zum Erfolg werden und nicht nur zur „zweiten Wahl“.

Autorin: Sarah Mans (Fachreferentin Jugendberufshilfe der LAG KJS NRW im Netzwerk der BAG KJS)

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