Vermittlungsvorrang darf nicht für junge Menschen ohne Berufsabschluss gelten

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es auf Seite 17: „Für die Menschen, die arbeiten können, soll der Vermittlungsvorrang gelten. Diese Menschen müssen schnellstmöglich in Arbeit vermittelt werden.“ Damit wird ein altbekanntes Mittel der Arbeitsmarktpolitik erneut hervorgehoben: die schnelle Vermittlung erwerbsfähiger Personen in Beschäftigung.

Für die Zielgruppe junger Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss ist dieser geplante Ansatz jedoch keineswegs zielführend. Um eine langfristige Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sollte für eben jene jungen Menschen Ausbildung und Qualifizierung Vorrang haben.

Erkenntnisse aus dem IAB-Kurzbericht 05/2025

Der aktuelle Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (05/2025) beleuchtet die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland und liefert u. a. folgende Ergebnisse:

  • Mehr als drei Viertel der arbeitslosen jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren haben keinen beruflichen Abschluss – ca. 195.000 von insgesamt ca. 253.000 Personen (Diese Zahlen gelten für Dezember 2024).
  • Berufliche Bildungsabschlüsse schützen junge Menschen wirksam vor Arbeitslosigkeit, vor allem in Regionen mit ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen.

Diese Befunde verdeutlichen, dass eine schnelle Vermittlung in Erwerbsarbeit allein nicht zu einer stabilen Integration in den Arbeitsmarkt führt. Vielmehr belegen sie: Ohne berufliche Qualifikation bleibt die Arbeitsmarktintegration brüchig und temporär, mit langfristigen Folgen für die ökonomische Absicherung und soziale Integration junger Menschen. Bekräftigt wird dies auch durch den Berufsbildungsbericht 2024 des Bundesinstituts für Bildung (S. 96).

Verschärfte Situation am Ausbildungsmarkt

Zusätzlich hat sich die Lage für ausbildungssuchende junge Menschen für den Nachvermittlungszeitraum 2024/2025 im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Januar 2025 noch 33.000 sogenannte „Restbewerber*innen“ unversorgt – ein Anstieg um rund 5.000 Personen im Vergleich zum Vorjahr. Gleichzeitig sank die Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen um 3.000 auf 15.000 (Bundesagentur für Arbeit: Nachvermittlung am Ausbildungsmarkt, Januar 2025, S. 5ff.).

Diese Entwicklung zeigt, dass der Übergang von der Schule in Ausbildung nicht einfacher geworden ist – und damit auch, dass mehr junge Menschen Gefahr laufen, dauerhaft ohne Qualifikation zu bleiben. Es braucht also mehr Unterstützung, nicht weniger.

Die Jugendberufshilfe braucht verlässliche Strukturen

Fachkräfte der Jugendberufshilfe wissen aus Erfahrung: Es braucht Zeit, verlässliche pädagogische Beziehungen, und individuell zugeschnittene Angebote, um junge Menschen mit multiplen Problemlagen zu stabilisieren und für eine Ausbildung zu motivieren.

Qualifizierungsmaßnahmen, berufsvorbereitende Angebote und sozialpädagogische Begleitung sind keine „Umwege“, sondern oftmals notwendige Voraussetzungen für nachhaltige Integration. Der Vermittlungsvorrang ist für diese Zielgruppe daher nicht geeignet.

Fazit: Vermittlung darf nicht vor Qualifizierung kommen

Die Ergebnisse des IAB-Kurzberichts verdeutlichen, dass ein kurzfristiger Vermittlungserfolg ohne vorherige Qualifizierung bei jungen Menschen nicht zu nachhaltiger Integration führt. Im Gegenteil: Für junge Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss muss Qualifizierung Vorrang haben. Dies sollte im Lichte des Koalitionsvertrags ausdrücklich klargestellt werden. Die Jugendberufshilfe gestaltet diesen Weg bereits gemeinsam mit jungen Menschen. Ohne politische und finanzielle Rückendeckung kann dies jedoch nicht gelingen.

Der Koalitionsvertrag enthält neben dem Vermittlungsvorrang an anderer Stelle aber auch auf Seite 17 folgenden Satz: „Damit der Übergang ins Berufsleben gelingt, wollen wir, gemeinsam mit den Ländern ermöglichen, dass jeder junge Mensch einen Schulabschluss und eine Ausbildung machen kann.“

Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass diese Aussage konkretisiert und in die Tat umgesetzt wird.

 

Autorin: Sarah Mans (Fachreferentin Jugendberufshilfe der LAG KJS NRW im Netzwerk der BAG KJS)

 

 

Ähnliche Artikel

Braucht das Schulsystem ein Umdenken?

Schule sollte mehr sein als ein Ort der reinen Wissensvermittlung – sie sollte ein Raum des sozialen Lernens, der Persönlichkeitsentwicklung und der demokratischen Teilhabe sein.

Skip to content