Braucht das Schulsystem ein Umdenken?

Schule sollte mehr sein als ein Ort der reinen Wissensvermittlung – sie sollte ein Raum des sozialen Lernens, der Persönlichkeitsentwicklung und der demokratischen Teilhabe sein. Kinder und Jugendliche verbringen einen erheblichen Teil ihres Alltags in der Schule. Umso wichtiger ist es, dass sie dort nicht nur „ihre Stunden absitzen“, sondern Möglichkeiten erhalten, ihre individuellen Fähigkeiten zu entfalten und als selbstbestimmte Persönlichkeiten zu wachsen.

Eine Schule, die Demokratie fördern will, muss sich aber auch als politischer Ort verstehen – als einen Raum, in dem gesellschaftliche Herausforderungen nicht ausgeklammert, sondern aktiv bearbeitet werden. Bildung in diesem Sinne muss ganzheitlich gedacht werden: nicht nur als Wissensvermittlung, sondern als Befähigung zu verantwortungsvollem Handeln in einer vielfältigen, demokratischen Gesellschaft. Dabei darf Schule jedoch nicht als alleinige Akteurin für gesellschaftlichen Wandel überfrachtet werden. Vielmehr bedarf es eines breiten, strukturell abgesicherten Unterstützungsnetzwerks – mit klaren Zuständigkeiten, verlässlichen Ressourcen und multiprofessionellen Teams.

Multiprofessionalität als Schlüssel für ein zukunftsfähiges Bildungssystem

Ein zentrales Element für eine zukunftsweisende Schule ist die Verankerung von Multiprofessionalität im System. Noch immer sind es überwiegend Lehrkräfte, die als Hauptakteur*innen innerhalb des Schulalltags wahrgenommen werden. Dabei ist klar: Bildung – vor allem politische Bildung – braucht ein divers aufgestelltes Team.

Schulsozialarbeiter*innen leisten seit Jahren unverzichtbare Arbeit. Sie fördern soziale Kompetenzen, intervenieren bei Krisen, begleiten junge Menschen und leisten einen entscheidenden Beitrag zum sozialen Frieden an Schulen. Dennoch werden sie vielerorts noch als „externes Personal“ behandelt und sind oftmals befristet angestellt, nicht systemisch eingebunden oder gar in ausreichender Anzahl verfügbar. Ähnlich geht es den Fachkräften der Respekt Coaches und Mental Health Coaches: Sie stärken Jugendliche in ihrer Selbstwahrnehmung, Resilienz und demokratischen Haltung. Doch ihre Arbeit leidet unter projektbezogenen Förderlogiken, mangelnder Kontinuität und fehlender institutioneller Verankerung. Diese Programme zeigen jedoch exemplarisch, wie interdisziplinäres Arbeiten gelingen kann: an der Schnittstelle von Pädagogik, Sozialer Arbeit, politischer Bildung und psychischer Gesundheit. Sie nehmen Jugendliche als gesellschaftliche Akteur*innen mit ihren Belangen und Bedürfnissen, mit ihrer Stimme und gesellschaftlichen Rolle im System Schule ernst.

Politische Forderungen

Verlässliche strukturelle Förderbedingungen statt projektbezogener Jahreszuwendungen sind für die Verankerung von Multiprofessionalität im System unerlässlich: Die kontinuierliche Arbeit der Respekt Coaches darf nicht durch befristete Förderzeiträume und haushaltspolitische Unsicherheiten gefährdet werden. Es bedarf einer flächendeckenden, bundesweiten Ausweitung des Programms Respekt Coaches, mit besonderem Blick auf ländliche Räume. Die Notwendigkeit von multiprofessionellen Teams, mit den Respekt Coaches als Teil dieser Teams, muss anerkannt werden. Bundeseinheitliche Qualitätsstandards und Programmevaluation der Respekt Coaches sind für die Umsetzung und Zusammenarbeit vor Ort erforderlich. Es bedarf einer langfristigen politischen Absicherung des Programms Respekt Coaches als fester Bestandteil politischer Jugendbildung in der Schule – auch über Regierungswechsel hinaus.

Demokratiebildung sollte ein verbindliches Leitprinzip im Schulgesetz aller Bundesländer werden. Partizipationsstrukturen an Schulen – z. B. durch Schülerparlamente, Beteiligungsgremien und Feedbackformate – müssen gestärkt werden. Die Perspektiven junger Menschen sollten dabei in politischen Entscheidungsprozessen – etwa über Jugendräte, Jugendhearings oder projektbezogene Beteiligungsformate – einbezogen werden. Diskriminierungskritische und machtsensible Bildungskonzepte sind in der Lehrer*innenausbildung und Schulentwicklung zu verankern. Diese Maßnahmen würden nicht nur die Respekt Coaches stärken, sondern auch ein klares Signal an junge Menschen senden: Eure Perspektiven, eure Lebensrealitäten und eure gesellschaftliche Teilhabe werden ernst genommen.

Gerade in Zeiten, in denen die Herausforderungen durch die zunehmende Verbreitung von extremistischen Ideologien, gepaart mit der immer spürbareren Präsenz von rechten und radikalisierten Bewegungen auch und vornehmlich den Ort Schule betreffen, ist dringend eine verstärkte Prävention gefragt. Die Respekt Coaches und Mental Health Coaches können hier eine Schlüsselrolle spielen, indem sie einerseits die Bedarfe der Jugendlichen in ihrer Lebensrealität aufgreifen und andererseits mit ihrer Fachexpertise und Ressourcen eine Unterstützungsleistung für die gesamte Schule erbringen.

Die präventive Arbeit gegen Rechtspopulismus und Extremismus sollte durch gezielte Förderung von Programmen, wie den Respekt Coaches, ausgebaut werden: denn diese setzen frühzeitig an, um Jugendlichen eine klare Orientierung in Fragen von Demokratie, Toleranz und Vielfalt zu geben.  Projekte gegen Extremismus und Populismus müssen stärker mit schulischen und außerschulischen Akteur*innen sowie lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen vernetzt werden.  Die Respekt Coaches sollten zudem stärker in die Demokratieförderung eingebunden werden: Gerade in Zeiten zunehmender politischer Polarisierung müssen sie als strategische Partner*innen in der Auseinandersetzung mit populistischen und extremistischen Tendenzen angesehen werden.

 

Autorin: Maryam Tiouri

Ähnliche Artikel

Braucht das Schulsystem ein Umdenken?

Schule sollte mehr sein als ein Ort der reinen Wissensvermittlung – sie sollte ein Raum des sozialen Lernens, der Persönlichkeitsentwicklung und der demokratischen Teilhabe sein.

Skip to content