In einem Plädoyer für einen befähigenden Sozialstaat betont Dr. Melanie Arntz: „Ein befähigender Sozialstaat nimmt die Lebenssituation eines Menschen umfassend in den Blick und erweitert durch gezielte Unterstützung den Raum der Handlungsmöglichkeiten und den Raum für Kompetenzerwerb”. Die Vizedirektorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung argumentiert weitgehend im Sinne der Jugendsozialarbeit und macht deutlich, dass es zu wenig gelingt, Teilhabechancen zu erschließen.
„Verbesserte Erwerbsanreize greifen dabei zu kurz, denn sie überwinden nicht die Zugangshürden zum Arbeitsmarkt, die ihren Ursprung in mangelnden Qualifikationen, Sprachbarrieren, gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Fürsorgearbeit haben”, erklärt Dr. Melanie Arntz. Zudem sei die Absicherung der Lebensrisiken in unterschiedlichen Rechtskreisen organisiert, deren Zuständigkeiten und Rechtsbegriffe nicht immer aufeinander abgestimmt sind, erläutert die IAB-Vizedirektorin und betont: „Dem steht jedoch eine Lebenswirklichkeit gegenüber, die an Rechtskreisen nicht Halt macht, wenn Menschen sich gleichzeitig in mehreren Rechtskreisen bewegen oder zeitlich zwischen diesen wechseln”.
Koordinierungsprobleme zwischen Rechtskreisen
Davon sind häufig auch junge Menschen mit geringen Chancen betroffen, die von der Jugendsozialarbeit begleitet und unterstützt werden. Sie bewegen sich häufig zwischen Jugendhilfe (SGB VIII), Leistungen der Grundsicherung (SGB II), Leistungen und Maßnahmen der Arbeitsförderung (SGB III) sowie der Leistungen aufgrund von Behinderungen oder drohenden Behinderungen (SGB IX). Koordinierungsprobleme führen aus Sicht der Expertin dazu, dass oft keine bedarfsgerechte Hilfe angeboten wird. „Im schlechtesten Fall werden aufgrund der Unübersichtlichkeit des Systems Leistungen in einem signifikanten Ausmaß gar nicht in Anspruch genommen”, sagt Dr. Melanie Arntz.
Lebenssituation in den Blick nehmen
Es brauche einen Sozialstaat, der die Befähigung stärker als bisher in den Fokus stellt, die Lebenssituation eines Menschen in den Blick nimmt sowie gezielt den Raum zum Handeln und zum Kompetenzerwerb erweitert. Im Idealfall ermöglicht aus Sicht der Expertin dieser befähigende Sozialstaat dauerhafte Beteiligung am Arbeitsplatz und wirkt präventiv. Drei entscheidende Ansätze sind aus Sicht der IAB-Vizedirektorin wichtig: Ganzheitlichkeit, Coaching und Flexibilisierung. Gerade für junge Menschen spielen die Jugendberufsagenturen eine wichtige Rolle in der rechtskreisübergreifenden Arbeit.
Reform des Sozialrechts
Dr. Melanie Arntz macht in ihrem Plädoyer deutlich: „Die Stärkung dieser befähigenden Elemente ist jedoch voraussetzungsvoll. Es braucht eine Reform des Sozialrechts, um Schnittstellen zwischen Leistungssystemen zu reduzieren, eine trägerübergreifende Zusammenarbeit zu fördern und die Unterstützung stärker am Bedarf auszurichten”. Und weiter: Ein befähigender Sozialstaat, der auf diese Weise Blockaden im Zugang zum Sozialstaat und in der Kooperation verschiedener Rechtskreise abbaue, habe ein großes Potenzial, zukunftsfest zu werden und das Versprechen der Teilhabe auch in Zeiten einer sich wandelnden Arbeitswelt glaubhaft zu erneuern.
Text: Michael Scholl