In seinem Jahresbericht 2024 stellt der Internationale Verband der Sozialarbeiter*innen (IFSW – International Federation of Social Workers) das Engagement und die Widerstandsfähigkeit sozialer Arbeit weltweit heraus. Hervorgehoben wird zudem die transformative Wirkung der sozialen Arbeit bei der (Weiter-)Entwicklung innovativer, gemeinschaftsorientierter Ansätze mit dem Ziel, soziale Gerechtigkeit und Inklusion zu fördern.
Der Bericht informiert über die Fortschritte, Errungenschaften und Herausforderungen des Verbands sowie seiner Mitglieder im Jahr 2024. Detailliert wird über die wichtigsten Entwicklungen in den fünf geografischen Regionen des Verbandes Afrika, Asien-Pazifik, Europa, Lateinamerika und Karibik sowie Nordamerika berichtet. Die verschiedenen Projekte und Initiativen der jeweiligen Regionen spiegeln dabei die Diversität und Dynamik des weltweit agierenden Verbandes wider.
Buen Vivir – Das Konzept des „guten Leben“
Besondere Beachtung schenkt der Bericht dem globalen Thema 2024 der sozialen Arbeit: Buen Vivir. Verwurzelt in den indigenen Weltanschauungen der Andenregionen Lateinamerikas, insbesondere der Völker der Quechua, Aymara und Guarani, verkörpert Buen Vivir („Gutes Leben“) eine ganzheitliche Lebenseinstellung und -philosophie. Buen Vivir betont die Harmonie mit der Natur sowie dessen Rechte, den Zusammenhalt und die Bedeutsamkeit der Gemeinschaft und eine nachhaltige Lebensweise. Das Verhältnis zwischen Menschen und der Natur wird dabei auf ganzheitliche und relationale Weise betrachtet, bei dem die Gemeinschaft sowie die Prinzipien der Gegenseitigkeit und Komplementarität eine fundamentale Rolle spielen. Buen Vivir ist dabei mehr als nur eine Lebensweise, sondern dient vielmehr als politischer, sozialer und ökologischer Rahmen. Angestrebt wird ein Gleichgewicht zwischen Menschen und Natur, wodurch Buen Vivir im starken Kontrast zum westlichen, auf Wirtschaftswachstum und Ressourcenausbeutung ausgerichtete Entwicklungsmodell steht und dieses infrage stellt.
Mehrwert für die Praxis
Durch die Auseinandersetzung mit Buen Vivir sollen Sozialarbeiter*innen weltweit die Möglichkeit erhalten, ihre Perspektive jenseits des westlich vorherrschenden Weltbildes zu weiten. Es soll dazu ermutigt werden, sich mit anderen Philosophien und Vorstellungen zu befassen, was ein „gutes Leben“ ausmachen und wie ein (alternativer) Lebensstil aussehen kann – orientiert an den Grundsätzen der Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit. Durch das Auseinandersetzen mit Buen Vivir im Kontext von Sozialarbeit soll der progressive und inklusive Charakter der sozialen Arbeit betont und die lebenswichtigen Verbindungen und enge Verflechtung zwischen sozialem Umfeld, Menschen, anderen Lebewesen und der Natur hervorgehoben werden. Laut IFSW ermöglicht die Auseinandersetzung mit globalen Themen der Sozialarbeit nicht nur eine Erweiterung der individuellen Perspektive. Auch die dringende Notwendigkeit eines Übergangs hin zu einer ökosozial-gerechten Welt und die entscheidende Rolle der Sozialarbeit in diesem Transformationsprozess wird dabei betont.
Joachim Mumba, Präsident des IFSW, erläutert: „Buen Vivir ist nicht nur ein Thema, sondern auch eine Hommage an unsere Kolleginnen und Kollegen in der Region Lateinamerika und Karibik. Ihr Beitrag zur Auslegung und Unterstützung dieses Prinzips war von unschätzbarem Wert. Es ist ein Beweis für unser gemeinsames Engagement für eine Zukunft, die Menschlichkeit, Natur und transformativen Wandel schätzt.“
Das Jahresthema 2025, Solidarität zwischen den Generationen für ein dauerhaftes Wohlergehen stärken (Strengthening Intergenerational Solidarity for Enduring Wellbeing), schließt nahtlos an die inhaltliche Ausrichtung von Buen Vivir an.
Ausblick 2025 und Möglichkeiten der Weiterbildung
Das Ziel der Bildungskommission des IFSW ist es, eine Struktur für den Wissenstransfer zwischen der Theorie und Praxis in der Sozialarbeit zu schaffen, durch die beide Seiten profitieren und voneinander lernen können. Für 2025 plant die Kommission dynamische und relevante Foren zu entwickeln, die die Zusammenarbeit zwischen Akademiker*innen, Praktiker*innen und Studierenden fördern sollen. Diese Plattformen beabsichtigen dabei, drängende Probleme in der Sozialarbeit anzugehen und gleichzeitig Möglichkeiten zum Austausch innovativer Ansätze und bewährter Praktiken im Einklang mit den Globalen Standards für die Aus- und Weiterbildung in der Sozialarbeit zu bieten.
Der Jahresbericht beinhaltet auch einen Ausblick auf geplante Projekte, Veranstaltungen und Programme des Verbandes im Jahr 2025. Hingewiesen wird in diesem Zuge auf eine weltweite Umfrage zu Arbeitsbedingungen von Sozialarbeiter*innen, veröffentlicht vom British Journal of Social Work. Die Studie untersuchte die Arbeitsbedingungen und das (persönliche) Wohlergehen von Mitarbeitenden in der sozialen Arbeit auf der ganzen Welt. Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass Sozialarbeiter*innen weltweit zu der Profession mit den schwierigsten Arbeitsbedingungen im Bereich der menschlichen Dienstleistungen und ähnlichen Berufen gehören. Außerhalb des Vereinigten Königreichs, Teilen Europas und Nordamerikas gibt es jedoch nur wenige Untersuchungen über die Arbeitsbedingungen und das Wohlergehen in der Sozialarbeitsbranche. In der Kategorie „Veröffentlichungen“ finden sich Hinweise zu ausgewählten Fachbüchern und Fachartikeln der sozialen Arbeit im internationalen Kontext, größtenteils erhältlich als open access.
Der IFSW
Das IFSW ist das globale Gremium für die Profession der sozialen Arbeit, dem 141 Ländermitglieder angehören. Der Verband und seine nationalen Mitglieder setzen sich für soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und eine inklusive, nachhaltige soziale Entwicklung ein, indem sie bewährte Verfahren der sozialen Arbeit („Best Practice“) und internationale Zusammenarbeit fördern. Durch den Beraterstatus des IFSW in verschiedenen Institutionen der Vereinten Nationen sowie dessen Bestreben, sich für globale Partnerschaften, politische Interessenvertretung und die Förderung von globalem Lernen und Austausch von Erfahrungen einzusetzen, möchte der Verband Sozialarbeiter*innen weltweit eine Stimme verleihen. Der Bericht informiert zudem über die Arbeit der vier IFSW-Kommissionen – Bildung, Ethik, indigene Völker und Vereinte Nationen – und dessen Fortschritte und Herausforderungen im Jahr 2024, sowie zukünftige Vorhaben und Pläne.
Autorin: Mareike Klemz