Im zweiten Heft des Jahres 2024 der Zeitschrift „Forum Jugendhilfe“ analysiert Dr. Frederike Hofmann-van de Poll vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) das Wahlverhalten junger Menschen, die sich in den unterschiedlichen EU-Ländern an der Europawahl 2024 beteiligt haben Grundproblem war, dass nur in einigen Ländern Daten zu den Wahlergebnissen erhoben wurden, die speziell das Abstimmungsverhalten Gruppe junger Menschen darstellen. Hinzu kommt, dass in jedem der EU-Mitgliedsstaaten die Wahlen unterschiedlich ablaufen. Selbst das Wahlalter ist nicht überall gleich geregelt. Dass in Deutschland zum ersten Mal junge Menschen ab 16 Jahren wahlberechtigt waren, ist eher die Ausnahme. In den meisten Ländern ist nach wie vor das Wahlrecht erst ab 18 Jahren möglich.
Soziale Sicherheit und Frieden standen für junge Wähler*innen bei der Europawahl im Vordergrund
In den meisten Ländern, von denen entsprechende Daten vorliegen, haben auch die Jungwähler*innen verstärkt rechtsextreme Parteien gewählt, beispielsweise in Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanien, Polen und Kroatien. Allerdings hatten in Italien und auch Frankreich dezidiert linke Parteien einen hohen Stimmenanteil bei der Zielgruppe. Auffällig unter den Jungwähler*innen war auch, dass viele für Kleinstparteien gestimmt haben (etwa in Deutschland VOLT), die eher liberale und linke Politikinhalte vertreten. In Kroatien, Spanien und Zypern konnten zum ersten Mal Parteien oder parteiunabhängige Personen (digitale Influencer), die ausschließlich in Sozialen Medien agierten, spürbare Wahlerfolge gerade unter jungen Wähler*innen erzielen. Bei den Umfragen noch einmal bestätigt wurde, dass sich junge Menschen ihre politischen Informationen hauptsächlich über Soziale Medien, vor allem TicTok, holen, zugleich über diese Medien ihre Meinung zu Politik und Politiker*innen äußern. Bei den Themen, die junge Wähler*innen wichtig finden, hat sich ebenfalls eine Verschiebung in der Priorisierung im Vergleich zu der vorangegangenen Wahl (2019) ergeben. Das Thema Umwelt und Klimaschutz ist nach hinten gerückt. Im Vordergrund standen Themen wie soziale Sicherheit und „Frieden“.
Junge Menschen mit ihren Sorgen und ihrer Unzufriedenheit ernst nehmen
Für eine zukünftige EU-Jugendpolitik bilanziert Van der Pool: „…, dass junge Menschen in ihren Sorgen und ihrer Unzufriedenheit mit etablierter Politik und Parteien abgeholt werden müssen. Hier liegt trotz aller Unsicherheit die Chance, eine EU-Jugendpolitik, die ihr Versprechen, die Belange junger Menschen zu berücksichtigen und ihre Interessen ernst zu nehmen, selbst ernst nimmt.“
Dies gilt ebenso für die nationale Ebene, gerade mit Blick auf die Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Deutschland. Wer junge Menschen für eine demokratie- und menschenrechtsgeleitete Politik gewinnen will, muss ihnen einen angemessenen öffentlichen Raum mit den entsprechenden materiellen Strukturen zugestehen und sich auch in den digitalen öffentlichen Raum begeben, wo junge Menschen mittlerweile primär ihre Meinung bilden und sich sozial bewegen: „…wir haben die jungen Menschen auf TicTok alleingelassen…“.
Das gilt auch für die Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Dies könnte in öffentlichen Räumen eine praktische Möglichkeit sein, junge Menschen abzuholen und ihnen Möglichkeiten der politischen und demokratischen Willensbildung zu eröffnen. Hierzu müssten Fachkräfte in den letzten drei Jahrzehnten eingeschliffene pädagogische Pfade verlassen oder sich zumindest an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen.
Quelle: AGJ; BAG KJS; Autor: Alexander Hauser, Fachreferent Europa & Jugendsozialarbeit im Netzwerk der BAG KJS