In der Nacht des Monatswechsels (31.01. – 01.02.2022) wurde erstmals bundesweit die Zahl der wohnungslosen Menschen in Notunterkünften erfasst. Das ist ein Meilenstein für die Wohnungslosenhilfe, denn belastbare Fakten sind für politische Veränderungen nötig. Die rechtliche Grundlage der Zählung ist das „Gesetz zur Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung sowie einer Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen“, das im März 2020 in Kraft trat. Verantwortlich für die Zählung ist das Statistische Bundesamt. Alle Einrichtungen müssen die erfassten Personenzahlen bis zum 14. März an das Statistische Bundesamt übermitteln. Da es bislang keine genaue Zahl gibt, wie viele Menschen in Deutschland wohnungslos sind, legt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) jährlich Schätzungen vor. Für das Jahr 2020 hat die Organisation 417.000 wohnungslose Menschen geschätzt. Die Ampel-Koalition will den Wohnungsneubau drastisch auszuweiten. Wohnungslosigkeit soll bis 2030 überwunden werden. Im Koalitionsvertrag wird ein „nationaler Aktionsplan“ angekündigt. Wie dieser konkret aussehen und umgesetzt werden soll, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen.
Nicht alle Wohnungslosen werden bei der Zählung erfasst
Auch wenn es sehr wichtig ist, die Zahl der in Hilfseinrichtungen untergebrachten Personen zu erheben, wird ein großer Teil wohnungsloser Personen nicht erfasst werden. Dazu zählen etwa Menschen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben oder bei Verwandten und Freunden untergekommen sind, was auch als „Sofa-Hopping“ bezeichnet wird.
Wohnprobleme für Jugendliche in Armutslagen oder junge Menschen, die aus der stationären Jugendhilfe ausziehen, wird durch die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt verstärkt. Vor allem in den Großstädten und Ballungszentren finden Menschen mit geringem Einkommen oft keinen bezahlbaren Wohnraum. Ohne finanzielle Unterstützung der Eltern können sich die wenigsten jungen Erwachsenen eine eigene Wohnung leisten und bleiben auf der Strecke. Auch das Sofa-Hopping ist keine Lösung und keine passende Strategie gegen Wohnungslosigkeit junger Menschen
Neben dem konkreten Ausbau von Wohn- und Schutzräumen für junge Menschen, einer teilhabeorientierten Kinder- und Jugendgrundsicherung und einer Ausbildungsgarantie fordert die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. verlässliche Hilfen und Begleitung durch die Kinder- und Jugendhilfe auch für junge Erwachsene. Wenn die Selbstständigkeit noch nicht gesichert, die Wohnsituation offen oder Bildung und Ausbildung gefährdet sind gelte es ein rechtskreisübergreifendes Zusammenwirken im Sinne einer echten Übergangsbegleitung in die Eigenständigkeit sicherzustellen; auch müsste die Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII und das Jugendwohnen mit individuellen Rechtsansprüchen stärker abgesichert und ausgebaut werden
Wer und wie viele sind wohnungslos?
Die Jahresgesamtzahl aller wohnungslosen Menschen in Deutschland liegt nach Schätzungen der BAG W in 2020 bei ca. 417.000. Im Vergleich zu 2018 und 2019 ist die Jahresgesamtzahl rückläufig. Dennoch gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Denn die niedrigere Gesamtzahl der Menschen, die ohne eigene mietvertraglich gesicherte Wohnung in Deutschland leben, ist ausschließlich auf die rückläufige Zahl anerkannter wohnungsloser Geflüchteter zurückzuführen. Der Rückgang der Wohnungslosigkeit entspricht der seit 2017 abnehmenden Zahl von Geflüchteten, die in Deutschland Aufnahme gefunden haben.
Bei einer strukturellen Einordnung sind wohnungslose anerkannte Geflüchtete nicht berücksichtigt, da für diese Personengruppe keine entsprechenden soziodemografischen Daten zur Verfügung stehen. Die BAG W schätzt:
- Ca. 45.000 Menschen leben im Laufe eines Jahres ohne jede Unterkunft auf der Straße.
- Ca. 180.000 (70 Prozent) der wohnungslosen Menschen sind alleinstehend, ca. 75.000 (30 Prozent) leben mit Partnern und/oder Kindern zusammen. Die BAG W schätzt die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 8 Prozent (20.000).
- Der Frauenanteil unter den volljährigen Wohnungslosen liegt bei 33 Prozent (78.000 Frauen). Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 67 Prozent (157.000).
- Ca. 30 Prozent der Wohnungslosen (ohne Einbezug der wohnungslosen Geflüchteten) haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Das sind knapp 80.000 Menschen.
Armut und Wohnungsnot kann man nicht losgelöst voneinander betrachten
Als Hauptgründe für die steigenden Zahlen im Wohnungslosensektor werden von der BAG W und Wohlfahrtsverbänden das nach wie vor unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die weitere Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und eine Verfestigung von Armut genannt. Für Menschen im Niedrigeinkommensbereich und für die Menschen, die Transferleistungen beziehen, mangelt es an bezahlbarem Wohnraum. Fachkräfte der Wohnungslosenhilfe berichten, dass sich der Anteil an Klient*innen in den letzten zehn Jahren verdoppelt habe, die trotz Erwerbstätigkeit wohnungslos sind.
Quelle: Pressedienst des Deutschen Bundestages; BAG W; epd