Auch wenn in Anfang Mai die ersten Kinder und Jugendlichen wieder in die Schule kommen dürfen, regulären Unterricht wird es bis zum Sommer nicht geben. Der Lockdown ist noch nicht komplett aufgehoben, Angebote der Sozialen Arbeit sind immer noch weit davon entfernt wieder normal arbeiten zu können. Die finanzielle Absicherung von Trägern, Personal und Maßnahmen bestimmen weitestgehend die Debatte um die Auswirkungen des Lockdowns. Ergänzend dazu richten die “Jugendsozialarbeit News” in den nächsten Wochen den Blick auf die Kinder und Jugendlichen in den Projekten und Maßnahmen der Jugendsozialarbeit. Wir fragen “WIE GEHT ES EIGENTLICH…” und geben der Berichterstattung zur Coronakrise damit eine neue Ausrichtung. Heute schildert Susanne Gessat (IN VIA Köln) Erfahrungen aus der Schulsozialarbeit an sechs Kölner Grundschulen. Seitdem alle Schulen geschlossen wurden, versuchen die Schulsozialarbeiter*innen den Kontakt zu den Kindern und ihren Familien über andere Kommunikationswege aufrecht zu erhalten. Gut ist: Die Stadt Köln sicherte die Weiterfinanzierung des Angebots zu.
Wie geht es den Kindern? Wie gehen sie mit der Situation um?
Susanne Gessat: Viele Kinder vermissen die Schule, den Kontakt zu Freund*innen und erwachsenen Bezugspersonen. Sie fragen, wann es weitergeht und sind zum Teil sehr verunsichert und uninformiert. Manche sind einsam und gelangweilt und freuen sich deshalb über Briefe und Nachrichten von uns.
Was macht Ihnen Sorgen?
Susanne Gessat: Bei einigen ist besorgniserregend, wie schnell positive Entwicklungen nun offensichtlich wieder rückwärts laufen. Lehrkräfte berichten, dass sie teilweise von Eltern keine Rückmeldungen mehr erhalten zu den Lernzielen ihrer Kinder. Und sie machen sich Sorgen darüber, wie sie die Kinder so fördern können, dass sie nicht gänzlich den Anschluss verlieren.
Anderen Kindern geht es besser, weil sie emotional aufgefangen werden, Platz in der Wohnung und Möglichkeiten haben, nach draußen zu gehen.
Mit welchen Schwierigkeiten haben die Kinder noch zu kämpfen?
Susanne Gessat: Nicht wenige Familien leben auf engstem Raum und die Kinder haben kein eigenes Zimmer, wo sie in Ruhe lernen können. Familiäre Konflikte besonders auch unter den Geschwistern sind vorprogrammiert. Manche Kinder kommen nicht raus, weil Eltern sie aus Angst vor Ansteckung nicht vor die Tür lassen. Dass sie ihre Freund*innen nicht treffen können, macht die Kinder traurig und ihnen fehlt dadurch auch klar die Anregung.
Wie ist die Rolle der Eltern?
Susanne Gessat: Viele Eltern sind sehr bereit und gewillt, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen. Aber das kann kaum klappen, wenn ein ruhiger Rahmen fehlt. Beispielsweise bei Müttern, die im Homeoffice arbeiten, gleichzeitig mehrere Kinder betreuen müssen und keine Unterstützung haben. Oder wenn Sprachkenntnisse nicht ausreichen, wird es schwierig.
Auch die technischen Voraussetzungen müssen stimmen. Es gibt Familien, die überhaupt keine technische Ausstattung haben und dementsprechend Arbeitsblätter nicht erhalten oder ausdrucken können.
Wie gestalten die Schulsozialarbeiter*innen momentan ihren Kontakt zu den Kindern?
Susanne Gessat: Der Kontakt zu den Kindern läuft derzeit entweder über die Notbetreuung zu den Kindern, die dort hinkommen, per Elternbrief und über die Klassenlehrer*innen. Zu manchen halten wir per Telefon regelmäßig Kontakt oder organisieren kurze Haustürbesuche auf Distanz. Ein Kindersprechstunden-Spaziergang auf dem Sportplatz ist angedacht.
Was bräuchten die Kinder jetzt?
Susanne Gessat: Alle Kinder bräuchten Perspektiven, wie es weitergeht. Gerade Kinder mit besonderen Problemlagen brauchen die unmittelbare Betreuung und vor allem emotionale Unterstützung! Die Kontaktmöglichkeiten zu Bezugspersonen auch außerhalb der Familie, z.B. zu pädagogischen Fachkräften ist essentiell. Bei Ängsten und Sorgen der Kinder bzgl. der Corona-Krise wäre ein begleiteter Austausch der Kinder untereinander hilfreich. Das könnte die Kinder entlasten.
Wenn Eltern ihre Kinder nicht unterstützen können, müsste eine Person ihnen beim Lernen und bei den Schulaufgaben zur Seite stehen.
Wie sehen die Schulsozialarbeiter*innen ihre Rolle in dieser Zeit?
Susanne Gessat: Wichtig ist in dieser Zeit einfach „Präsenz“, damit die Kinder und Familien wissen: wir sind da und stehen als Ansprechpartner*innen zur Verfügung, auch wenn wir uns momentan nicht treffen können. Briefe, Videobotschaften und andere Wege der Kontaktaufnahme vermitteln den Kindern das Gefühl, dass wir an sie denken und sie nicht alleine sind.
Hier ist uns auch die Zusammenarbeit mit den Lehrer*innen sehr wichtig. Sie sollten uns als Schulsozialarbeiter*innen auf Kinder mit Unterstützungsbedarf aufmerksam machen und bei den Familien auf unser Angebot hinweisen.
Welche Rahmenbedingungen wünschen Sie sich in der aktuellen Situation von der Politik?
Susanne Gessat: Die Situation von sozial benachteiligen Kindern und Familien sollte mehr in den Blick genommen und nach Unterstützungsmöglichkeiten gesucht werden! Auch eine bessere digitale Ausstattung der Schulen und der Familien wäre dringend notwendig.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Julia Schad-Heim.
Quelle: IN VIA Köln – BGA KJS; Bildquelle: IN VIA Köln/Fotolia