Ausbildungsabbrecherquote liegt bei den in Jugendwohnheimen lebenden Auszubildenden ’nahezu bei null‘

Auszüge aus dem Artikel ‚Jugendwohnheime in Deutschland. Rahmenbedingung für Mobilität im Übergang von Schule und Beruf‘, den Andreas Finke, Verband der Kolpinghäuser e.V. und Zentraler Beratungsdienst (ZB) in der Katholischen Jugendsozialarbeit, für die Zeitschrift ‚Durchblick‘ erstellt hat:

„[…] Die letzte im Jahr 2001 durchgeführte Erhebung der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit (BAG JAW) zu den Jugendwohnheimen in Deutschland weist ca. 275 Jugendwohnheime mit ca. 20.000 Plätzen für Jugendliche im Alter von 16 bis 27 Jahren aus. Insgesamt sind in diesen Jugendwohnheimen 3.534 Menschen beschäftigt. Davon sind knapp 2.000 pädagogische Fachkräfte. 41,8% der Jugendlichen, die in den Wohnheimen leben sind 18-21 Jahre alt, 35% sind 16- bis 18-jährige. Damit sind ca. Dreiviertel der jungen Menschen in dem biographischen Alter, in dem eine Erstausbildung absolviert wird. Dies spiegelt sich auch in der Verteilung der beruflichen Situation der BewohnerInnen wieder: 67,8 % befinden sich in der Berufsausbildung, 27,7% in berufsvorbereitenden Maßnehmen. Der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund beträgt knapp 20%. Haupteinzugsgebiet der Jugendwohnheime sind andere Gemeinden des gleichen Bundeslandes mit 65,7%. Einrichtungen des Jugendwohnens sind somit von enormer überregionaler Bedeutung.“

„Ihren Ursprung haben Jugendwohnheime im 19. Jahrhundert, in denen junge Menschen im Zuge des Wandels der Arbeitsbedingungen aus den personennahen Kontexten des Meisterbetriebes in die größeren industrialisierten Städte gingen und dort vielfach scheiterten. In dieser Zeit ist es der katholische Priester und Gründer des Kolpingwerkes, Adolph Kolping (1813-1865) gewesen, der Häuser erwarb, in denen er den jungen Fabrikarbeitern Unterkunft, Gemeinschaft und Bildung anbot. Wie wichtig dieser Auftrag auch heute noch ist, zeigt beispielsweise ein Vergleich der hohen Abbrecherquoten der Auszubildenden, die fern der Heimat einen Ausbildungsplatz annehmen und eigenen Wohnraum bewohnen im Verhältnis zu den Auszubildenden, die während ihrer Ausbildung im Jugendwohnheim untergebracht sind. Durch das Angebot sozialpädagogischer Begleitung und durch das Zusammenwohnen mit Gleichaltrigen in vergleichbaren Lebenssituationen sind die Abbrecherquoten derjenigen Auszubildenden nahezu bei null. Sozialpädagogisches Profil und Wohnraumangebot haben sich über die Jahre geändert. An dem ursprünglichen Auftrag halten Jugendwohnheime auch heute noch fest: Jungen Menschen fern der Heimat ein Zuhause zu geben und sie bei ihrer sozialen und beruflichen Integration zu begleiten und unterstützen.

Entwicklungsprozesse der Jugendwohnheime in Deutschland

Die erste Entwicklungsphase wird häufig unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges markiert (1945 bis 1950). Die zweite Entwicklungsphase (1951 -1965) ist gekennzeichnet durch eine enorme Steigerung des Bedarfs an Jugendwohnheimen (1949: 250 Jugendwohnheime, 1960: 1.204 in BRD). […] Die dritte Entwicklungsphase (1966 – 1989) gilt als eine Phase auf dem schwierigen Weg der „Neuen Normalität“. […] Die Zahl sank bis zum Ende der 1980er Jahre auf 484 Einrichtungen mit ca. 34.000 Plätzen. […] Die vierte Entwicklungsphase kann als Fortsetzung der dritten Entwicklungsphase charakterisiert werden, allerdings mit zwei wesentlichen Neuerungen: Zum einen das Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes am 1.1.1991, in dem erstmalig die Jugendsozialarbeit als eigenständige Jugendhilfe-Leistungsart und als Pflichtaufgabe der Jugendhilfe definiert wird (wenngleich das Jugendwohnen und die sozialpädagogische Begleitung des § 13 Abs. 3 als Kann-Leistung definiert wird. [‚Jungen Menschen kann während der Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen oder bei der beruflichen Eingliederung Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen angeboten werden.“] ).

Ein zweites Ereignis ist die Wiedervereinigung Deutschlands mit einer dadurch bedingten starken Zunahme beruflicher Mobilitätsbedürfnisse. Bedeutung und Herausforderung des Jugendwohnens Jugendwohnheime messen der Qualität ihrer Angebote einen hohen Stellenwert bei. Im Sinne der Leistungsbeschreibung des § 13 Abs. 3 KJHG wird dabei der Qualität der Unterkunft einerseits sowie der Qualität der sozialpädagogischen Begleitung andererseits besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In Zusammenarbeit mit den zuständigen Wohnungs-, Jugend- und Arbeitsbehörden sind seit der ersten Hälfte der 1950er Jahre in Ergänzung zur Neubaufinanzierung auch gezielte Bemühungen zur Verbesserung der Qualität der vorhandenen Bausubstanz und Einrichtungen unternommen worden. Nahezu der komplette Zimmerbestand der Jugendwohnheime ist mittlerweile auf Ein- und Zweibettzimmer (mit Nasszelle) ausgebaut. Neben den ursprünglich als einzigen Gemeinschaftsraum konzipierten Speiseraum als „Vielzweckraum“ sind differenzierte Angebote von Gemeinschaftsräumen für Zwecke der Gruppenpädagogik, der Bildungsarbeit und Freizeitpädagogik hinzugekommen. Am Ausbau des Fachkräftepotentials wird auch die Qualitätssteigerung in der sozialpädagogischen Begleitung deutlich.

Jugendwohnen unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit am Ausbildungsstellenmarkt – Politische Implikationen

Eine dramatische Zuspitzung erfahren hat die vierte Entwicklungsphase seit wenigen Jahren. Möglicherweise wird man in größeren historischen Zusammenhängen das Jahr 2003 als den Beginn einer sog. fünften Entwicklungsphase charakterisieren können, denn da haben sich die meisten Bundesländer aus der Bezuschussung der Jugendwohnheime verabschiedet. Wichtige Personalkosten- und Investitionskostenzuschüsse sind damit weggefallen. Einige Einrichtungen mussten bereits geschlossen werden. Die Jugendhilfe überträgt ihre Verantwortung für die Jugendwohnheime an die Arbeitsverwaltung, die ihrerseits Bedenken gegen ihre Zuständigkeit geltend macht. Zwar ist mit dem § 65 Abs. 3 SGB III grundsätzlich eine Förderung der Jugendwohnheime über das Instrument der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) definiert, allerdings bestehen teilweise Umsetzungsschwierigkeiten und Probleme hinsichtlich der Vereinbarung von Entgeltsätzen zwischen der Jugendhilfe und den Einrichtungen des Jugendwohnens einerseits und der Zahlungsverpflichtung der Arbeitsverwaltung über den individuellen Anspruch des Jugendlichen andererseits.

Darüber hinaus werden die institutionellen Zuwendungen an das Jugendwohnheim nun über individuelle Zuwendungen an die BewohnerInnen ansatzweise ausgeglichen. Die Folgen des Verschwindens von Planungssicherheit, erheblichen Verwaltungserschwernissen und fehlenden Ausgleichs- und Abfederungsinstrumenten für besondere Krisenzeiten für die Jugendwohnheime lassen sich noch kaum ermessen. Sollen Jugendwohnheime auch in Zukunft ihre wichtigen Aufgaben wahrnehmen können, ist es zwingend erforderlich, dass Einrichtungen und die sie repräsentierenden Träger Sensibilisierungsprozesse für die Notwendigkeit des Jugendwohnens gegenüber der Politik und der Gesellschaft einleiten. Gegenwärtige Umfragen zeigen, dass die noch verbliebenen Jugendwohnheime zum Teil stark frequentiert, in Ballungszentren sogar zeitweise überbelegt sind. Der Bedarf an Jugendwohnheimen ist vorhanden, die Nachfrage wesentlich höher als das Angebot, allerdings sind die öffentlichen Förderstrukturen derart reduziert, dass Jugendwohnheime in eine sehr ungewisse Zukunft blicken. Jugendliche und ihre Eltern sind nicht in der Lage, den tatsächlichen Preis des Jugendwohnens zu zahlen. Letztendlich verbindet sich mit der Zukunft des Jugendwohnens auch die Frage nach der Möglichkeit zur beruflichen Mobilität, nach dem Vorhandensein bezahlbaren Wohnraums, nach einer Begleitung sozial benachteiligter Jugendlicher, nach der Zukunft präventiver Jugendhilfeangebote und damit insgesamt nach der Chancengleichheit junger Menschen im Bereich der Ausbildung.

Zukunftsperspektiven – „Auswärts Zuhause“ – Ein Projekt zur Zukunftssicherung der Jugendwohnheime

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, haben sich die Trägerverbände des Jugendwohnens im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit (BAG Jugendsozialarbeit) darauf verständigt, einen Offensivprozess des Jugendwohnens zu starten, in dem auf der Grundlage einer sog. „Marktdiagnose“, Möglichkeiten und Zukunftsperspektiven des Jugendwohnens beleuchtet werden. Den Beteiligten ist klar, dass sich das Jugendwohnen zukünftig stärker dem Kräftespiel von Angebot und Nachfrage wird stellen müssen. In politischen Dialogen, gemeinsamen Kampagnen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen wollen die Vertreter der 275 Jugendwohnheime auf die Bedeutung des Jugendwohnens hinweisen. […] Gerade hinsichtlich des vereinbarten Ausbildungspaktes zwischen der Bundesregierung und den Wirtschaftsverbänden wird deutlich, dass junge Menschen Bereitschaft zur Mobilität und Flexibilität zeigen müssen, Betriebe bereits jetzt und zukünftig verstärkt ihren Fachkräftebedarf nicht mehr allein vor der Haustür decken können, Mobilitätshilfen sich nicht in Wohngeld und Wohnkostenzuschüsse erschöpfen können, berufliche Integration eine Herausforderung ist, die in Verbindung mit den Schwierigkeiten eines Ablösungsprozesses vom Elternhaus kaum zu bewältigen ist und dass Jugendwohnheime hier die richtige Antwort sind. Manche Betriebe machen den Nachweis eines Jugendwohnheimplatzes zur Voraussetzung für den Abschluss eines Ausbildungsvertrages Es bedarf intensiver Bemühungen um die Akzeptanz des § 13 SGB VIII (KJHG) und aller darin vorgeschriebenen Leistungen, gerade auch im Handlungsfeld Jugendwohnen. Denn der ihm vom Gesetzgeber zugewiesenen Stellenwert ist hoch. Deshalb sind in dieser Entwicklungsphase des Jugendwohnens unverzichtbare Aufgaben in der Jugendsozialarbeit u.a. Mitwirkung in Jugendhilfeausschüssen und Unterausschüssen, Beteiligung an der Jugendhilfeplanung, Zusammenarbeit mit den zuständigen politischen Behörden und Gremien, Bildung von Arbeitsgemeinschaften, Durchsetzung gesetzlich vorgeschriebener Leistungen und planmäßige Öffentlichkeitsarbeit. […] Letztendlich geht es dabei um Chancengleichheit von jungen Menschen, um bezahlbaren Wohnraum, um Standortvorteile der Kommunen sowie um Perspektiven hinsichtlich der Akquirierung von Fachkräften der Unternehmen. Hierbei sind die Folgen des europäischen Einigungsprozesses noch gar nicht in den Blick genommen. Inwieweit die Kommunen und Arbeitsverwaltungen, denen mittlerweile die Gesamtverantwortung für das Jugendwohnangebot übertragen wurde, diesen Herausforderungen allein begegnen können, darf hinterfragt werden. Wenn Jugendwohnen als Ermöglichungsbedingung für berufliche Mobilität und Integration eine Zukunft haben soll, bedarf es weit stärkerer und zahlreicherer Schultern, um dieses wichtige Angebot in die Zukunft zu tragen. […] „

Quelle: Andreas Finke: ‚Jugendwohnheime in Deutschland. Rahmenbedingung für Mobilität im Übergang von Schule und Beruf‘, in: DURCHBLICK – Zeitschrift für Ausbildung, Weiterbildung und berufliche Integration, Heft 4/2004, hiba, www.hiba-durchblick.de/…/dblk0404.htm
Kontakt: Andreas Finke, Verband der Kolpinghäuser e.V., Köln, andreasfinke@kolping.de

Neues zum Projekt ‚Auswärts Zuhause‘ „[…] Auswärts Zuhause ist ein Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit unter Beteiligung aller Einrichtungen des Jugendwohnens im Rahmen der Jugendsozialarbeit in Deutschland. Die Projektleitung wird von Andreas Finke, Referent beim Verband der Kolpinghäuser e.V., wahrgenommen. Ziel des Projektes ist, Zukunftskonzepte für die Einrichtungen des Jugendwohnens zu entwickeln und Jugendwohnheime stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit und Politik zu verankern. Am 31. Januar 2005 endet die Phase der sog. ‚Eigenmittelakquisition‘. Die beteiligten Trägergruppen und Verbände sind voller Hoffnung, dass ein Betrag zusammenkommt, der den Start des Projektes ermöglicht. […] Die AG Jugendwohnen der BAG Jugendsozialarbeit, als Steuerungsgruppe für dieses Projekt eingesetzt, hat sich nun auch auf ein Logo verständigt [siehe Anlage] […]“

Quelllen: www.kolpinghaeuser.de und www.bagjaw.de/presse.php#101
Infos: www.news.jugendsozialarbeit.de/041122AuswZuhause.htm, www.kolpinghaeuser.de, Projektleitung ‚Auswärts Zuhause‘, Andreas Finke, Köln, Tel. 0221/20701-160, andreasfinke@kolping.de
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